spielen wir die Leidensgeschichte bis zur Wiederauferstehung, dem Tag an dem wir den großen Stein vor dem Höhleneingang beiseite schieben.
Bis dahin in dieser toten Zeit die Fortsetzung von "Der Tod ist eine Endung":
Ich esse E-Food am Rande der Stadt, deren Puls hier nur noch vage zu spüren ist. Appetit und leichter Hunger sind für mich niedrige Beweggründe. Ich warte auf meinen Kollegen - das macht schon mehr Sinn. Leider flackert sie nicht, die Neonbeleuchtung, sondern leuchtet so gleichmäßig, daß kein mystischer Gedanke aufkommen will. Der Tag, der mein Leben um 180 Grad herumreissen wird, scheint wie jeder andere auch.
Ein müder Sommernachtstraum schwingt sich behäbe aus den Federn und wandelt sich ins Alltägliche. Noch keine Schlangen an den Kassen, denn alles, was sich ausbeuten läßt, drängt sich in den Linienbusen und deren Haltestellen. Wo man früher nicht mehr unterscheiden konnte zwischen gehobenem Dienst und den niederen Chargen, wo sich leitende Angestellte und das schlecht besoldete Volk aus den Werkstätten und Fabrikhallen gleichermaßen in Jeans und Jacke kleideten, trägt man heute wieder die Erkennungszeichen seiner Zunft. Maler in Weiß, Gärtner in Grün, Hausmeister in grauen und Mechaniker in schwarzen Cordura-verstärkten Arbeitshosen mit so vielen Taschen wie sich nur irgendwie anbringen lassen. Bessergekleidete fahren erst nach der Arbeiterschaft und den Schülern und zumeist nicht mit Bus oder Bahn, sondern sitzen im täglichen Stau, der unserer Marktwirtschaft mehr Arbeitskraft raubt als alle Grippewellen zusammen. Wenn ich an das Zitat von Karl Marx denke, Sprache entstünde, wie das Bewußtsein, erst aus dem Bedürfnis, der Notdurft des Verkehrs mit anderen Menschen, muss ich sagen, er war ein echter Seher.
Während alles to-go trinkt, esse ich Dinge, deren Namen ich noch nie gehört, und warte seelenruhig auf meine erneute Einberufung nach Jahren des Dahinsiechens, im Glauben zu vergessen, wenn man nur genug Hochprozentiges in sich hineinschüttet. Unabänderliches Schicksaal hält nicht sehr lange, wenn man sich selbst vorzeitig aufgibt. Und mein Kollege wird meinem Schicksaal schließlich den Rest seiner Unabänderlichkeit nehmen. Ich habe und konnte nicht vergessen und brauche keine bandagierte Hoffnung. Ich habe die Taschen voller Zukunft in Form einer SFP9 mit kurzem Abzugs- und Rückstellweg.
Auch von den Springfluten des Schicksaals darf man sich nicht hetzen lassen, sondern treiben wie ein Fisch im Wasser oder eben ein Revolutionär im Volk. Wie ich es gehasst habe, das ewige Durchkauen einer Ideologie. Um wieviel leichter geht einem da die synthetische Alge und das Laborfleisch in diesem E-Food-Imbiß runter, wenn man sich sicher sein darf, nie wieder mit der Mao-Bibel oder Sun Tzu aneinanderzugeraten. Nie wieder Tactical Field Guides oder Room Clearing Procedures, keine Trainingseinheiten oder Indoktrinationen, sonder freies Bewegen auf dem Feld der Möglichkeiten. Kein theater of war and operations, sondern einfach nur der Lebenskampf, live.
Wirklich neu für mich ist die Abwesenheit von Nußschnaps, ohne den ich mich irgendwie nackt fühle. Mein Leben war so durchdrungen davon, er war atomarer Bestandteil all meiner Habseligkeiten. Jetzt steckt mein schnapsdurchwachsener Körper in der Hülle nagelneuer Funktionskleidung. Das Innenfutter meiner Hose knistert bei jeder Bewegung und beim Gehen reibt das Pseudo-Gore-Tex so hörbar, dass man denken könnte, ich wäre eine Grille auf Partnersuche. Die Jacke nicht zu eng wegen der SFP9 SK-OR, subkompakt, optic ready, Heckler und Koch - buy local, think global. Ich bin so nussschnapsfrei, so trocken, daß man aus den Resten einer im Wüstensand Babyloniens gereiften Mumie mehr Saft herauspressen könnte.
Auf die goldenen Ähren der Vorstadtfelder träufelt bereits erstes Sonnenlicht. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Ich taste nach dem Sicherungshebel meiner Finsterzwille als zwei weniger eilende Herren mit Gesichtern wie Klarsichfolien von der anderen Straßenseite meinen Blick kreuzen. Maria Becker, das klingt nicht wie Margarete oder Sulamith. Das klingt eher wie Erbsensuppe aus dem Dachauer Hinterland. An mir haftet kein Stäubchen Verdacht. Ich hatte nun so viele Jahre in einem Wohnblock verbracht, daß ich mich selbst schon rechteckig fühle. Niemand könnte glauben, daß ich bin, was ich war und wieder werde. Ausser scheinbar meinem ehemaligem Kollegen, der mich hierher bestellt hat.
Kollege ist der falsche Ausdruck für jemanden, mit dem man seine gesamte Berufslaufbahn verbracht hat, mit dem man all den Schweiß und sehr viel Blut anderer geteilt hat. Wir waren Spitzensportler, gemischtes Doppel, in einer Extremsportart, wo man entweder einen der vorderen Plätze belegt oder zwei Meter unter der Erde mit den Würmern sein postmortales Dasein fristet. Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, ich hatte mir das ausgesucht, weil ich am Ende meines Lebens nicht die ausgetragenen Pakete oder verkauften Topfpflanzen zählen, über alte Kantinenwitze lachen oder meinen Rentenbeginn im Wirtshaus um die Ecke feiern wollte. Ich wurde hineingeboren in die Welt der Politik mit anderen Mittel.
Mein Urgroßvater war Wünschelrutengänger in den verhassten Gräben der Westfront. Jede Nacht gruben wir uns ein. 3 oder besser 4 Meter tief, jede Nacht. Und man durfte nie auf Wasser stossen, sonst hieß es, die Nacht im Freien, im Sperrfeuer und im Granatenhagel zu verbringen. Wenigstens ein paar Stunden nachts in einem Erdloch ehe man andertags wieder in den sumpfigen Gräben die faulige Haut im Brackwasser treiben ließ.
Im Grunde waren es seine Abenteuergeschichten und seine Geschichten der Kameradschaft, die meine Vorväter schließlich dazu brachten, auch dieser Art von Kameradschaft nachzueifern. Da reicht kein Flugzeugabsturz in den Anden oder der Ausbruch des Krakatau. Nur ein noch blutigerer Krieg bietet diese Zwangslage, in der sich Wildfremde zu solch grenzenloser Aufopferung hinreissen lassen. Vom Sog des Heldentums erfasste Männer und deren Frauen, die sich wie eine Eva Braun an den Feldmantel eines verkappten Vaters klammern, um Teilhaber der Macht zu werden. Die Väter sind die richtungsweisende Schiene und die Mütter die mitochondriale Lokomotive. Der Weg ist vorgegeben von den Erzählungen und Märchen der Väter. Hingetrieben aber wird man von den Müttern.
Der Zweite Weltkrieg war im Grunde die zweite Halbzeit eines generationsübergreifenden Mythos, der nach dem aufkeimendem Nihilismus der Jahrhundertwende wieder eine Religion schuf, der neue Götter hervorbrachte und mit seinem unerschütterlichem Glauben an Ideologien in der Lage war den Fanatismus des Christentums zu ersetzen. Eine neue Religion, die wieder einherging mit Kolonisierung und Glaubenskriegen. Wie sonst ließe sich erklären, dass sich Menschen hipp hipp hurra ins Gemetzel stürzen für eine Nation, die gerade mal drei Generationen alt ist.
Vor dem Imbiss wird es schlagartig heller. Die Wolkendecke reißt auf, die Historie ab. Der Traum ohne den die Wirklichkeit nicht existieren kann wird neu geboren. Kann man aufstehen ohne gelegen zu sein? Ein Aufstand ohne Grundlage gegen etwas, das es nicht mehr gibt. Der Geistesblitz aus heiterem Himmel, ohne Wettervorwarnung, ohne historischen Bezug. Der Akt ohne Re, ohne Parkmöglichkeit, eine Einbahnstrasse mit Höchstgeschwindigkeit, das Vor ohne Zurück. Eine Knalltüte mit Überraschungseffekt, Phosphor, der zum ersten mal das Wasser gesehen hat, und die Lösung der Elemente. Der Orgasmus von Materie und Antimaterie. Der erste Urknall vor und nach einer Geschichte, in einem Jetzt, das wir bis dahin nie erleben durften. Wir sind der unerklärte Krieg der Gedanken, wir sind das Wilde im Dienste des Geschehenen. Zumindest ich, in meiner Funktionskleidung von der die aufkommenden Skrupel augenblicklich abgleiten.
Der sorgsam gestaffelte Olymp des Dritten Reichs mit einem Postkartenmaler als neuer Zeus. Ein vegetarischer, abstinenter Zeus ohne Hera. Vielleicht wäre es ganz anders gekommen, wenn Geli Raubal am 18. September 1931 nicht vom Blitz ihres Zeus in Form einer Walther vom Kaliber 6,35 mm danierdergestreckt worden wäre. Sie hätte seine erste Hera, zwar nicht Schwester und Gemahlin, so doch Nichte und Gemahlin sein können. Oder auch nicht - wer kann das schon sagen bei einer Generation von Männern, die sich en gros an ihrer Nachkommenschaft vergreift. Er hätte sich das quälende Magenleiden durch intesiven Konsum von Bohnen erspart und vielleicht sogar mal das Oktoberfest besucht. Als Mannschaftskapitän für die zweite Halbzeit der neuen Religion war ein vom Gasangriff kurzzeitig erblindeter böhmischer Gefreiter ohne Mittelschulabschluss wie geschaffen. Ein an den Schlägen des Vaters Herangereifter aus einer Familie von Halbidioten und Irrsinnigen der Linie Schicklgruber, wie einer Aloisia Veit. In diesem historischem Dilemma wirkt ein an die Brust der Mutter getriebener, der in seinen Jugendträumen gescheitert und im Milieu von Männerwohnheimen großgeworden, wie ein aus den Ruinen des ersten Weltkriegs und einer Weltwirtschaftskrise auferstandener Kamerad. Erst der große Krieg Teil 2 konnte für eine krisengeschüttelte Generation schwacher Söhne sinnstiftend wirken. Da reicht es aus, wenn nur ein Teil der Bevölkerung von diesem Eifer gepackt wird, um den Rest mit in den Abgrund zu reissen.
Radikalisiert heißt für mich, dass der Zahn abgestorben ist und nur noch eine Wurzelbehandlung eine Linderung des Schmerzes. Der erste Sonnenstrahl schlägt ein wie ein Blitz ohne Donner durch die matte Scheibe des E-Food-Imbiss.
Ich möchte den ausdifferenzierten Leserbriefen des Postillons noch ein paar unerwähnte Facts angedeihen lassen. Denn Solidarität, kann das nicht auch heissen, dass man jemandem einfach mal die Daumen drückt?
Das ist natürlich alles ganz ganz schlimm und solidarisch lässt sich bei einem 330 Milliarden-KW-Gesellschaftsspalter nicht mehr viel erreichen oder verhindern, aber (sic!) man muss was sagen, wenn man nicht schweigen möchte. Die Auseinandersetzung mit dem Ableben geht derzeit ja sozusagen viral.
Letzte Woche ist jemand bei uns im Haus an einer Art Nasenbluten gestorben. Sido hätte vielleicht, wenn er nicht von Clans und Rockerbanden in den Hausarrest verbannt wäre, ein schönes Lied vom Reim gebrochen, dass man die Nase eben nicht so voll nehmen soll. So aber muss ich mit literarischen Referenzen wie der Abhandlung Rudolf Steiners über den Christus-Impuls als Überwinder der Materie Vorlieb nehmen. Der Tod wird transzendiert. Das unerträgliche Ende des Körpers wird gewürzt und garniert und mit so viel Vanille-Sauce bestrichen, bis es irgendwie gefressen wird. Das Postmortem wird bebildert mit 99 Jungfrauen, mit Hossiana und einem Erlösungsgedanken. Leben ist Leiden, erst nachher wirds lustig. Die Besten mussten als Märtyrer ihr Leben lassen bis die Menschheit endlich zu begreifen schien, dass erst im Ableben die Seele ihre Bestimmung findet. Der Tod als Chance!
Leider - lag es nun an der überhöhten Kirchensteuer oder am geschmacklosen Leib Christi in Form einer Oblatte - hat diese vordergründig zölibate Gedanken- und Machtformation eine Zerfallsgeschwindigkeit von nicht mehr als 2000 Jahren. Und schon will keiner mehr sterben, geschweige denn sich einem Leben voller Demut unterwerfen.
Der von Rudolf Steiner beschriebene materialistische, körperbehaftete Zyklus scheint sich wiederholen zu wollen. Der Ägypter, so er es sich leisten konnte, hatte bei der Ausbeutung seiner Umwelt und Mitmenschen vorwiegend im Sinne möglichst viel materielles Hab und Gut durch den Kreislauf des Lebens mitzuschleppen. Im Paradies gab es keine 99 Jungfrauen. Man musste sie sich schon mitbringen. Im Zenit des christlichen Urglaubens, verkörpert durch meine Oma, hat sich das schließlich auf das Kleben von Rabbatmarken im Sterbebücherl und das Dogma "des bisserl Sterben" reduziert. Nur beim Sterben will man selten der Erste sein. Jetzt wolllen plötzlich wieder alle ewig Leben. Meine Empfehlung, um Folgendes besser zu verstehen, ist der Film: Wer früher stirbt, ist länger tot.
Letzteres ist nicht wirklich durchdacht. Denn in der Möglichkeit des Ewigen Lebens sitzt der Teufel. Bei einer Lebenserwartung von (Kindersterblickeit mal garnicht mitgerechnet) 50 Jahren, freut man sich mit 55 wie ein Schnitzel. Beim ewigen Leben allerdings - und wie Karl Valentin richtig bemerkt: ewig, des dauert wirklich lang - gibt es zwei gravierende Probleme.
Zum einen ist es das Problem der ewigen Jugend, der sogenannte der Tithonos-Effekt - oder wie von meiner Großmutter verbal artikuliert durch den Satz "Gott hat mich vergessen".
Und sollte es bald möglich sein, uns durch ständigen Organaustausch für immer zu regenerieren, so wird die Angst davor, mal in einer Gletschspalte nicht mehr rechtzeitig gefunden, durch eine Explosion pulverisiert oder unter einem Gesteinbrocken begraben zu werden, ohne die Chance auf Neuzusammensetzung und Wiederbelebung, zur Mutter aller Ängste. Denn wenn einem plötzlich nach 398.789 Jahren der Rest des Ewigen Lebens genommen wird, so ist das, wie Karl Valentin andeutet, wirklich viel.
In Anlehung an den pekuniären Wert des Lebens von heute könnte man sagen: Wer den Tod nicht ehrt, ist des Lebens nicht wert.
Pro-Inside-Fact: Liebe & Frieden dem Stubenzweig :-* Es war nie vergebens und es wird nicht vergessen
Und weil es ja eine Fortsetzung der Leserbriefe sein sollte, hey, der adipöse Kinderartikel: fett geil.
Eating out on the edge - Abendessen mit der Waffen-SS
oder schreiben sich die nach den neuesten Regeln jetzt mit scharfem ß?
"Nationalsozialismus" sag ich noch, "naja, ich weiß ja nicht. Der Mussonlini kam jetzt nicht gerade aus deutschsprachigen Ländereien, sondern schon aus einer Ecke, die ihr heute eher Afrika zurechnet als dem italienischen Norden. Mir ist da nicht ganz klar, auf welcher Nation sich dieser Sozialismus gründen sollte. Von einem großen Italien, das es so eigentlich nie gab, kann man auch nur sprechen, wenn man 90% der Realität ausblendet. Mir geht das als Bayer ja nicht anders mit dem Begriff Deutschland. Die Nation scheint hier eine eher abwägige Erscheingunsform angenommen zu haben. Die Nation sind hier alle, die dem Faschismus anhängen und Sozialisten sind hier alle, die den Kommunismus Scheisse finden." Mein Gegenüber lächelt.
Egal. Es gibt Pasta mit Hirsch, der Fernseher läuft mit der italienischen Fassung von Wer-wird-Millionär. Der Saft der Refosco-Traube liegt schwer und tief im Glas. Ein bicchiere da ner, also ein Gläschen Schwarzen, und nicht Rotwein, wie man meinen möchte. Das Mussonlini-Bild ist politisch ganz korrekt tagsüber abgehängt, wie auch die Großdeutsche und japanische Flagge. Nur in Sedegliano darf das 6 Meter hohe murale vom Duce auch das Tageslicht erspähen, weil sich eine Wandmalerei eben nicht so leicht abhängen lässt. Die Rutenbündel mit den Äxten lagern im Keller und warten auf die nächste Hexenverbrennung.
Faschismus hat in Norditalien ihren Anfang, aber nie ihr Ende gefunden. Selbst der Duce kam erst Jahre nach dem ersten Aufmarsch in Triest 1920 und dem Brandanschlag auf das Hotel Balkan. Und als er ging, war das dem Faschismus nicht abträglich. Denn hier ist er anders als in Deutschland nicht personengebunden, sondern im Herzen der Menschen verankert. Hier käme auch niemand auf den Gedanken, die Liebe Mussolinis zu seiner jüdischen Biographin und Mätresse Margherita Sarfatti, oder seinen engen Bezug zum Anarchisten Errico Malatesta als widersinnig zu empfinden.
Wer die Lega Nord als extreme Rechte bezeichnet, hat hier noch nicht gegessen. Und wer die hiesigen Faschisten als rechts bezeichnet, kennt scheinbar auch nicht die Kommunisten, die keine zehn Kilometer weiter im letzten stalinistischen Dorf mit Hammer und Sichel zur Ernte schreiten. Man redet vielleicht nicht gemeinsam über politische Einstellungen, aber man versteht sich und klaut nach Feierabend auch gemeinsam Holz. Wer hier keinen Fuß auf den Boden bekommt, sind die Carabinieri, die multinationalen Konzerne oder Umweltbewegte, die abends nachhause fahren und ihre Zentralheizung anwerfen. Mit denen versteht man sich hier im Land der Faschisten und Kommunisten nicht und für die ist die Kneipe dann auch mal geschlossen, selbst wenn das Lokal überquillt mit Roten wie mit Schwarzen. Man könnte sagen, wen man hier nicht so mag, ist die selbsternannte Mitte.
Selbst die Jäger und Wilderer sind sich hier näher als Menschen, die keine Paarhufer verspeisen.
Man sitzt also bei Pasta und Hirsch, ob roter Stern auf der ölverschmierten Kappe oder Runen auf der Lederjacke, und streitet sich über die Vor- und Nachteile von luftgekühlten Deutz-Traktoren, schickt sich die letzten Gerüchte über die Herren aus Rom und Brüssel und wenn es mal richtig hitzig wird, dann geht es fast immer darum, dass man dem anderen vorwirft, weit mehr Holz als man selbst illegal geschlagen zu haben. Aber kaum erwähnt einer den pädophilen Pfaffen herrscht schon wieder jene Einigkeit, die hier die Farben Rot und Schwarz so gleich erscheinen lässt, dass man sich frägt, ob man selbst nicht einfach farbenblind ist. Denn zehn Kilometer auf der anderen Hangseite sitzt, so das alle vereinende Narrativ, die Mafia des Vatikan, das Dorf der Bigotten. Und dort, das muss auch ich bekennen, will man nachts wirklich keine Reifenpanne erleben.
So schmeckt mir meine Pasta hier zwischen den Überresten der Decima Mas, den Futuristen aus Torviscosa und den letzten Stalinisten aus der Felsspalte ganz ausgezeichnet. Und schon beim zweiten Gläschen Refosco scheisse ich dann nicht nur auf die Kirche, sondern auch auf die politisch korrekte Allgemeinheit, denn in deren Kneipen darf ich im Anschluss an das Abendmahl, wie auch in der Kirche, schon lange nicht mehr meine Zigarette rauchen.
Ich bin nur froh, dass das Wifi hier nicht mehr als Edge hergibt, sonst wär das schon alles auf Facebook gepostet; so bleibt man unter sich.
Augen auf beim App Use - Der Tod ist eine Endung Kapitel 2 Teil 1
Ich weiß nicht, ob Sie's schon mitbekommen haben, aber auf Skype lassen sich nur rechte Arme darstellen. Das Emoticon mit dem Muskelarm, also dem Arm, der reich an Muskeln. Kann man sich direkt bildlich vorstellen, wie dieser sich martialisch streckt. So ein klassischer SA-Arm, der die Hand zum Gruße hebt. Jene Drecksbande um Ernst Röhm, die, nachdem sie die Drecksarbeit für die Nazis erledigt hatten, mal schnell '34 vom schönen Tegernsee weg im Zuge des Röhm-Putsches liquidiert wurden, also in den Dreck beißen mussten.
Der Röhm-Putsch, ein politischer Klassiker wie auch kürzlich der Schlag gegen das organisierte Verbrechen der Rocker, nachdem die SPD in Rente ging, da beide nach meiner Hannover-Theorie nicht nur aus der gleichen Quelle allen Übels stammen, sondern viel mit der Röhmputschvariante gemein haben. Oder denken Sie an die APO Dutschkes, dahingeraft. Die Revolution beliebt nach wie vor, ihre Kinder zu verspeisen. Als Totengräber steht man sehr nah am Grab.
Und so schleicht der faschistische Gedanke mit all der seltsamen Mystik um sich herum bis in die heutige Zeit. Bis hinein in die netten Apps wie Skype, wo es eben nur rechte Arme gibt. Recht haben statt jemanden zu linken, von Rechts wegen mit Rechts schreiben, jemandem seine Rechte vorlesen, das Rechtsfahrgebot (obwohl wir das eigentlich Napoleon verdanken) und rechts stehen, aber links gehen.
Da freu ich mich doch mal auf Urlaub. Norditalien, also gefühltes Nachbarland, weil man die Nächsten, die Österreicher einfach nicht mögen kann. Dafür sind sie eben zu nah. Dank ihrer großen Anzahl in der SS und nicht nur weil sie einen Hitler zeugen konnten, sind sie eher ungeliebte, und wenn sie beim Blitzen so weitermachen, als Transitvolk, das seinen K&K-Komplex noch nicht überwunden hat, auch eher unbeliebte Nahbarn, zu nah. Desshalb Norditalien.
Da weiß man, wo man hinfährt. Da werden die Kinder nicht wie in Österreich im Keller versteckt, sondern man bildet ein eurokonformes Gesellschaftssystem, das verhindert, dass sie es finanziell überhaupt aus dem Elternhaus rausschaffen. Hausarrest durch finanzielles Aushungern der jungen Italiener.
Hier in der Hochburg des italienischen Faschismus kamen auch keine Amerikaner durch, die Waffen eingesammelt hätten. Im Gegenteil, sie hätten sie gerne verteilt, wenn ihnen noch welche übriggeblieben wären, nach ihrer Landung auf Sizilien, nachdem sie die Mafia wieder nach Italien zurückbrachten. Für die tatkräftige Unterstützung des in den USA inhaftierten Mafia-Bosses Lucky Lucianos wurde er 1946 begnadigt unter der Auflage, daß er nach Sizilien zurückkehrt. Die beiden Paten der Cosa Nostra Calogero Vizzini und Giuseppe Genco Russo wurden kurz nach der amerikanischen Invasion die ersten Bürgermeister der Nachkriegsjahre, der deportierte Vito Genovese immerhin Übersetzer des amerikanischen Gouverneurs. Diese Rekonsolidierung der Mafia durch die USA hatte zudem zur Folge, daß allein auf Sizilien 1944 bis 1949 über 500 Sozialisten und Kommunisten von der aus dem amerikansichen Exil zurückgekehrten Mafia eleminiert wurden. Ein voller Erfolg also.
Mit der Mafia gegen die Faschisten, aber mit beiden gut Freund, so sind sie eben, die Amerikaner. Kaugummis für die Kinder, Fluchthilfe für die Nazis und Care Pakete für die Daheimgebliebenen. Stinger Raketen für die Taliban, Giftgas für den Irak und Drogen für die, die es daheim bezahlen. You name it, irgendwie kriegen sie dich immer rum. God’s own country. So is er, der amerikanische Gott, könnte einen ganzen Planeten haben und nimmt sich nur ein Land. Deshalb muss die USA auch so eng mit Israel zusammenarbeiten. Das reicht diesem Gott und er sagt, Jungs, nehmt euch den Rest, macht euch die Erde Untertan. Bescheiden für sich selbst, aber alles für die Sache. Toller Bursche, dieser amerikanische Gott.
Aber lassen wir die Kirche mal im Dorf. Wir sind hier in Norditalien. Hier konnte die Loge P2, also Italiens Jahrzehnte währende Schattenregierung unter der Medusa Licio Gelli bis hin zur ihrer ultimativen Ausgeburt, Silvio Berlusconi, ihre schlagkräftigen Erfüllungsgehilfen von der Avanguardia Nationale oder der daraus entstandenen Ordine Nuovo, bzw den NAR in den Kampf gegen die italienische Linke schicken. In Norditalien hatte diese Schattenarmee ein gutes Auskommen und einiges zu tun. Die ganzen Bombenanschläge der tempi di piombo muss man erst mal planen und bezahlen. Im Norden waren sie auch gut stationiert, diese Legionäre des rechten Wegs, denn über Sizilien wie die Amis würde der Russe wohl kaum kommen. Hunderte Kilometer kultureller Wüste. Wenn kam er aus dem Norden und eigentlich war er ja schon mitten im eigenen Land. Hätte man Aldo Moro, den Christdemokraten, der mit den Kommunisten koalieren wollte, nicht in letzter Minute hingerichtet, wären die Kommunisten, zumindest jene, die den Faschismus, die Mafia und die Amis überlebt hatten, 1978 mit ihm an die Regierung gekommen.
Vor der Grenze zieh ich noch mal raus auf die letzte Tanke in Österreich. Es ist auffällig, dass gerade in den krisengeschüttelten Staaten Europas das Benzin gleich um knapp 50Cent der Liter teurer ist, wie auch die Grundnahrungsmittel. Aber dem in den Schrank gehängten Faschismus Norditaliens ist das sicher nicht abträglich.
"Noch n Bier?" "Ich würd schon noch eins trinken," ist meine Antwort, obwohl die rethorische Frage eigentlich an den blinden Scheich gerichtet war. Wir spielen Mensch-ärgere-dich nicht bei Ottfrid im Keller. Mir schwant Böses, denn scheinbar bin ich die einzig Unbekannte in dieser muffigen Holzvertäfelung. Der Scheich spielt Grün, der Rebell Blau, ich Gelb.
Mit dem Versprechen auf einen feuchten Keller hatte man mich aus meiner Stammkneipe gelockt, wobei ich mir nicht mehr sicher bin, ob ich da an Unmengen von Alkohol dachte oder an die Unmöglichkeit, dass es in diesem Leben bei mir unterm Rock noch einmal zu Tröpfchenbildung kommt. Obwohl ich weniger als die mir kleinste bekannte Zeiteinheit von 3 Bier am Tresen verbracht hatte, im Grunde also grade reingekommen war, wäre ich nicht im Traum auf die Idee gekommen, dass mit feuchtem Keller wirklich ein muffiger unterirdischer Verschlag gemeint sein könnte, in dem wir nun sitzen. Alle noch etwas verkrampft, alle noch in den Wehen eines vielleicht doch vielversprechenden Abends.
"Ein Kurzer dazu wär natürlich wie Weihnachten," versuche ich, wenn schon nicht die Situation, so doch mich zu retten. Die folgenden Blicke zeigen aber nur Unverständnis, mit dem auch ich mich quäle bei dem Gedanken, ob der Scheich sich mit Gottes Hilfe zum Sieg würfelt, denn schließlich ist er blind und kann Spielfeld und Figuren eigentlich nicht sehen. Aber was soll's, ich freue mich über die unerwartete Einladung und das Freibier.
Mit den anderen gut befreundet scheint auch der vierte Spieler, nennen wir ihn sinnigerweise Mister Rot. Ein sympathischer Mittfünfziger, der aussieht als würde der Keller aufgrund seiner so muffeln. Er lacht, er würfelt, scheint sich um das Spiel nicht besonders zu kümmern, doch er nuckelt auffällig langsam an seiner Flasche, was meine spontane Sympathie für ihn etwas schmälert.
Und dann gibt es seltsamerweise noch einen Fünften, der nicht mitspielt. In seinem weichgspültem Trainingsanzug wirkt er auf mich wie der Schiedsrichter und so ist er auch jener, der am meisten Interesse zeigt an unserem Brettspiel. Gleich zu Beginn hatte ich mir von ihm eine Ermahung eingefangen, für meine mangelnde Konzentration. "Sie haben Fünf gewürfelt. Also müssen Sie auch fünf Felder vorziehen." So weit, so gut, so trocken, so schlecht. Er trinkt wie auch der Scheich keinen Tropfen und im Gegnesatz zu diesem nicht mal Wasser. Ich kenne ihn nicht und will das auch weiterhin so halten, und doch wünsche ich ihm schon die Schuppenflechte nicht nur an den Hals.
Brettspiel ist nicht meine bevorzugte Abendunterhaltung. Wenn schon würfeln, verknüpfe ich das gerne mit daraus resultierendem Trinken. Trinkspiele also, wie im alten Europa. Eine Fünf korreliert in meiner Raumzeit mit fünf Bier oder wenigstens fünf Schluck Bier. Doch ich weiß mich als Gast zu verhalten und bin an anderen Kulturen wie diesem Gremium hier durchaus interessiert. "Do as the Romans do, egal wo du bist," sag ich immer. Und so nimmt der Abend seinen Lauf ohne grössere Stockungen und Staus im Alkoholfluss meinerseits. Ottfried hat auch das mit den Kurzen inzwischen verstanden und ich darf mich inzwischen selbstständig aus der Bommerlunderflasche im Regal bedienen. Für mich ein Maikäfergetränk, weil es mich an Pommernland und meinen inneren Frieden erinnert. Dem Schiedsrichter scheint es nicht so zu gefallen, weil ich des öfteren vom Nachschenken nicht rechtzeitig zum Würfeln am Tisch zurückkehre. Selbst mein Scherz, dass Nachschenken doch eine grossartige Nachrüstung für Weihnachten wäre, lockert seinen Missmut keineswegs.
Auch bei Ottfrid und Mister Red summieren sich inzwischen die Promille und so werde ich, nach Stunden zwar, aber doch höflich nach meinem Namen gefragt. "Maria, Maria Becker, wie der Bäcker nur mit e wie Semmel. Und vorne eben wie die Mutter von Jesus. Unten übrigens auch." Ein Kalauer, so flach wie meine Brüste, hat zwar selten Reichweite, aber er erreicht den lauschenden oft da, wo er es nicht vermutet. Kneipenpsychologie von der der Schiedsrichter so einiges lernen könnte, denn die darin vermittelte Unbekümmertheit erzeugt das Gefühl, dass man gefahrlos mit allem antworten könnte.
broken secure digital
"Ich bin Offrid." Da zeigt der Genuss also schon seine oftmals fatale Wirkung. "Das ist," damit wird nun auch Mister Red enttarnt, "Hänschen, aus ihm wurde Hans, ne, Spaß, aus ihm wurde Volker-Ernst.Wir kennen uns noch aus Frankfurt und schließlich von Briesen, Objekt 74. Zudem sprechen wir beide ganz anständig palästinensisch."
"Ach, Staub." Das erklärt dann auch, warum er sein Bier nicht so richtig runterzubekommen scheint, das dann aber doch augenblicklich in seine Gehirnzellen einzusickern scheint. Ich gönne mir noch ein paar Schluck und versinke wie so oft im Akt des Trinkens, so dass ich vom Namen des Scheichs nur noch den letzten Teil mitbekomme "... Rahman. Ist zum ersten mal dabei, bei unserer geselligen Brettspielrunde. Wie Sie ja auch." "Maria, Offrid, also Du, nicht Sie." "Wie Du ja auch, Maria." "Also, Offrid," ich fühle mich zu diesem Versprecher geradezu hingezogen, "Ernst, Rahman und ...?" Ich schiele zum Schiedsrichter. "Er ist unser Handler." Klar, wenn bei fünf Leuten nur vier einen Namen besitzen, klappt das ja trotzdem. "Mister Handler." Ich versuche ihm bei aller Abneigung zumindest einen Titel zuzusprechen. "Ja, er ist der Spielleiter."
"Darf ich nochmal vom Bommerlunder, Offrid?" Ich warte nicht auf die Antwort, denn bei mir dämmert da eine Ahnung, so dunkel wie keine nächtliche Sonnenfinsternis sein könnte. "Du willst mir doch nicht sagen, ich sässe hier mit dem ersten Teil der Hepp-Kexel-Gruppe, der dritten Generation der RAF und dem angeblichen Urheber des WTC-Anschlags '93 an einem Tisch? Dann wäre der Spielleiter ja zwangsläufig die NATO und die westlichen Geheimdienste in einer Person?" "Ach, Maria, Du sitzt hier mit Offrid, Hänschen, einem blinden Mann im Pyjama und unserem Personal Trainer beim Mensch-ärger-dich. Nicht?" "Wahr, allzu wahr. Was haben wir denn noch an Bommerlundervorräten?"
Für all jene, die sich bisher noch nie ein Bewerbungsschreiben als Handlanger der Terrordienste eingereicht haben, sollte man vielleicht vorab erklären, dass der erste und einzige Scheideweg eines solchen Werdegangs darin besteht, sich vor dem Hintergrund der dualen Propaganda zwischen links und rechts zu entscheiden. Wie Josef Mengele mit seinen weißen Handschuhen an der Sortierrampe von Ausschwitz wird man sie fragen, ob sie lieber hochrangige Persönlichkeiten, das wäre links, oder einfach gerne wahllos Frau Meier Huber Müller und ihre Schrazen ins Jenseits befördern, das wäre dann rechts, der schwarze Terror.
Linksrechts - das ist die blinde Dualität des etwas unbeholfenen Zweibeiners, der das Laufen noch nicht so recht zu lernen gewillt oder gewollt. So kommt es im Schafspelz, das Linksrechts der Propaganda, die uns auf 2D einstampfen will. Wir können nicht mehr gehen, wenn wir unsere beiden Beine nicht mehr koordinieren können.
Die Begriffe links und rechts treiben uns in eine sozusagen lobotomische Sackgasse. Wenn rechts mit links nicht mehr kommuniziert, wenn der lobotomische Eingriff beide Gehirnhälften trennt, haben wir die sanftesten Schafe. Es ist diese Dichotomie, dieser linke Haken mit der rechten Geraden, die wir verpaßt bekommen, die unseren Geist nicht mehr auf die Beine kommen läßt.
Linksrechts ist der vergiftete Kuchen einer Diktatur mit repräsentativer Demokratie als Topping, als ausgleichende dritte Position. Es ist dieses durch und durch verlogene Paradigma, das jene weiter oben schwimmen läßt, die sich auf Kosten anderer zu bereichern belieben. Denn nur mit diesen Extremen zur Seite erscheinen sie als scheinbar in der Mitte, die sie doch eigentlich mit ihren Herrenstiefeln auf uns stehen, mitten drauf.
Wie es in The Fourth Position and the New American Revolution heißt:
"It allows us to see the possibility and desirability or a multi-polar world. These ideas will allow for an exact programmatic expression to flower. As far as Americans are concerned, it will be understood finally that the American Empire is itself neither ‘left’ nor ‘right’ – Bush or Obama were neither fascists or socialists. It is the Liberal Atlanticist paradigm itself which creates the illusion of ‘left’ and ‘right’; we see and understand finally that ‘left’ and ‘right’ are all but subsets of the present paradigm."
Von diesem Thron gilt es sie zu stürzen. Oder wie Gramsci sagen würde: diesen historischen Block gilt es zu brechen.
Und wenigstens zu Weihnachten darf man den Adepten des Terrors hinzufügend erklären, dass es anschließend keinen zweiten Scheideweg mehr gibt. Da beginnt schon die Sackgasse für die Laufburschaft, den ärmsten aller Schweine im Saustall der Politik, die schon auf dem Weg zum Futtertrog zu Kanonenfutter werden.
Wem sein Leben und das der anderen nicht gefällt, hat mit diesem Berufwunsch auf jeden Fall einen Volltreffer gelandet.
Es ist der 22.Juni 2012. “L’aquila e il condor” im Teatro Anfitrione, Via di San Saba 24, zwischen der Pyramide und dem Zirkus Maximus, hoch auf dem Aventin..
Alfredo di Stefano liest, ich vermute mal, aus seinem Buch. Was will ein Mann mit seiner Geschichte noch Umwerfendes verraten auf seine alten Tage hin. Ich hau mir lieber ne Pizza nebenan bei Angeli & Diavoli rein und passe ihn am Ende des Vortrags ab. Heute 76. Ein freundlicher Herr mit Seitenscheitel und einer eher weniger faschistischen Krüke. Die Oberlippe entenmäßig und einem südlichen Dialekt.
Eine Zeitreise, denn hier steht sie still. Es sind zumeist noch die alten Gestalten wie eh und je. Die Drahtzieher. Ihre Financiers im Hintergrund, von Francois Genoud, dem schwarzen Financier, mal abgesehen, Nachlassverwalter von Goebbels und Bormann, der auch die Verteidiger von Adolf Eichmann, Klaus Barbie und dem Topterroristen Carlos finanzierte - die feine Gesellschaft will dabei lieber nicht erwischt werden. Die wenigen, die finanziell die Sache am laufen halten, die der Soldaten Sold zahlen, tun dies eigentlich nur, um sich abzusichern, daß ihre eigenen Fäden nicht gezogen werden. Strategisch bringen sie sich lieber nicht ein. Dafür gibt es uns Spezialisten und Generäle wie jenen Alfredo di Stefano.
Ein Faschist der zweiten Generation mit besten Referenzen also, dieser Alfredo di Stefano. Beste Kontakte in Italien und noch unverbranntere in Südamerika, speziell in Argentinien und Bolivien. Inzwischen im inaktiven Dienst. Keine Tatorte mehr und keinen Verfolger, keine Paranoia mehr, aber eben auch nicht mehr der Kick. Wer schon Bücher schreiben muß, nur um die Zeit zu füllen, dem muß langweilig sein. Vielleicht läßt er aber auch nur nochmal den öffentlichen Teil seiner Terrorkarriere Revue passieren. Ist er einfach nur froh, daß nicht mehr viel passiert oder was für Ziele hat man mit knapp 80?
Unser Gespräch konzentriert sich auf das Wesentliche. Er weiß, daß ich für befreundete Dienste die Hintergründe für den Castor-Anschlag aufdecken soll. Wie das Gaby Weber schon öffentlich gemacht hat, wurden ähnliche ziviltechnischen Atombomben, die sogenannten Mini-Nukes, im Rahmen der Operation Plowshare bis 1960 entgegen dem Testmoratorium in der Wüste Nevadas ausgetestet und erstmals im Mai 1960 in Argentinien zum Einsatz gebracht. Das Ding hieß 'Ditchdigger' und wurde mit schwerem Seekonvoi von den USA nach Puerto Deseado verschifft und zum Zwecke des Kanalbaus unterirdisch gezündet. Man könnte in Bezug auf das us-amerikanische Mobbing gegen das iranische Atomprogramm fast sagen: Wer mit Atombomben wirft, sollte nicht im Glashaus sitzen.
Gleiches gilt in diesem Zusammenhang auch für Deutschland, das zur selben Zeit mit allerhöchster Geheimhaltung unter Umgehung des Parlaments mit 2 Milliarden das israelische Atomprogramm mitaufbauen half. Und man darf vermuten, daß die Beschäftigung Herrn Globkes als engsten Berater Adenauers durchaus im Zusammenhang gestanden haben könnte - Schweigegeld für Ben Gurion und die Zionisten und Schmiergeld für den Eichmann-Prozeß, daß dieser auf keinen Fall Herrn Globke erwähne.
Als Faschist war man unter Peron gut aufgehoben und während der zwischenzeitlichen Militärdiktaturen aufs Höchste umworben. Und als Nebenjob oder in den Gurkenzeiten des Terrors gab es immer noch den BND, siehe Walter Rauff und Klaus Barbie.
Der zauberhafte Reigen des Vorabends hat sich in alle Winde zerstreut. Ich sitze, noch etwas angemattet von der gestrigen Kotzerei, mit Vincenzo auf der paradisischen Terasse, auf der man diesen Ort nur als Quell des Friedens empfinden kann.
Nachdem die zerstörerische Lebenskraft in meinen trauten Leib zurückgekehrt ist, durchwandert mich nun schon den ganzen Tag der Gedanke, besagten "Urlaub in Argentinien" anzugehen. Ob man vordergründig den neugewählten Papst wohl als Zugpferd für diese Unternehmung anführen könnte? Auf den Spuren des Franziskus, dem ersten Papst, der sich schon mal vor Gericht zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verantworten hatte, durch die Folterkammern des argentinischen Militärs.
Meine Adressliste für Argentinien ist mehr als spärlich. Vincenzo wird mir über den ein oder anderen Kollegen von der Avanguardia Nazionale den roten Teppich bereiten für meine erste Anlandung in Südamerika. Meine Behörde dürfte das gehaltstechnisch fast als Inlandseinsatz betrachten, so eng wie die BRD zu Südamerika stand und wohl noch steht, wenn nicht alle Entchen schon gestorben sind, die damals, 45 und folgend, über den See geschwommen sind. Ich könnte mal auf ein Bierchen rüberfahren in die Kneipe "Bavaria" in La Paz, um zu sehen, ob von Klaus Barbies Nazischergen noch der ein oder andere rumhängt - tot oder lebendig, was hätten wir gelacht.
Um die Entscheidung zu beschleunigen, reicht mir Vincenco seine, ich finde, ausgeleiherte Makarov PB. Nach einem satten Klick, noch bevor die Patrone den Lauf verläßt, steht für mich fest, daß Argentinien ausreichend Informationen für mich bereit hält, um in der Sache "Dirty Castor" etwas mehr Durchblick zu bekommen. Auch für das Rotkehlchen hat sich hierdurch sozusagen eine Entscheidung gefunden. Wo vorher Vogel, sieht es nun aus als hätte sich Frau Holle mal so richtig ausgeschüttelt. Wie positiv sich doch solch ein Gefiederregen auf meine Einsatzfähigkeit auswirken kann.
Auch Agenten haben zuweilen einen Sinn für das Historische und so laufen vor mir die Bilder aus der südamerikanischen Nachkriegsgeschichte des Terrors ab. Könnte man doch mal für interessierte Touristen eine "Tortour Argentine" anbieten, auf der man auch mal, als Tortourist, einen Bungee-Sprung aus einer Transportmaschine wagt, um nachzufühlen, wie es den Gegnern, also Opfern des Vidal-Regimes, der bleiernen Zeit Argentiniens, so zumute war - so ohne Gummiseil.
Eine Terrorherrschaft mit den Methoden der französischen OAS aus Algerien und den geübten Händen der Eurofaschisten. Nicht ohne Grund mag der faschistische Ersteinsatz von einer Legion umgesetzt worden sein, die sich nach einem Flugtier der Anden benannt hatte, der Legion Condor im spanischen Bürgerkrieg, und der bisher letzte bekannte Einsatz unter dem Titel Operation Condor, im Lande des Vogels selbst.
Semantisch durchgängig, aber was will man auch von faschistischen Ganglien wie uns erwarten.