Mittwoch, 23. Mai 2012
Mensch ohne Eigenschaft
Ich verstehe jetzt warum man Latex beim Sex verwendet: daß man wenigstens ein bißchen Grip und Halt in all der Gleitcreme findet, in der Splattergruppe der Ü40, wo die Soße schon beim Anschauen fließt. Es wirkt bullemisch, dieses Ausrotzen aller möglichen Körperflüssigkeiten. Viele vergessen all den Talg, der Raum sucht, der hinaus will in die ungesunde Welt. Der Körper hat gute Gründe, Dinge auszuscheiden. Wer hebt schon Fingernägel auf? Obwohl, das Haar im Brief der ersten Freundin, die Genprobe, die Spermarückstellung und ähnliche Absonderlichkeiten.



Es ist die Vergänglichkeit, unsere Vergänglichkeit, der wir Einhalt zu gebieten versuchen, indem wir den sich verändernden, fließenden Körper in Lack und Leder pressen wie Chicken-Mc-Nuggets-Preßformfleisch, auf daß wir jeden Tag wie gestern aussehen.

Die letzten werden die ersten sein, sprach der Meeresgrund zum Berg. Eine plattentektonische Herangehensweise an unser Sein käme unserem Wohlgefühl zu Gute, denn wer früher stirbt, ist eben auch wirklich länger tot. Ohne Gestern kein Heute. Oder ist es wirklich so, daß wer mit der Zeit geht, sich nicht bewegt, únd was dem Fahrradschlauch die Pumpe ist unserer Haut die Faltencreme?

Wer sich aber dem Älterwerden verwehrt, wäre im Grunde immer ein Embryo, der sich im Fruchtwasser verspreizt. Eine Art Lebensverweigerung, die dem Erlebnis eine Absage erteilt - eine Made im ewigen Babyspeck, eine Frucht, die niemals reift, krumm wie eine geschwefelte Banane, die nach nichts schmeckt, weil sie niemals wurde, was sie hätte sein können, eine Hülse ohne Inhalt, die personifizierte Angst vor der Eigenschaft.
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Samstag, 19. Mai 2012
Do sans,
de Vattern, in frisch gebügelten Lederhosen. Der Vatertag revoltiert, das verbotene Bier im öffentlichen Verkehr verstohlen hinter den aufgeweichten Hüftknochen. Humpahumpatätarä, sind wir heute mal locker. Den Dienstausweis haben wir zuhause gelassen und tun, was wir eigentlich jeden Tag gern tun würden. Vatertag? Eigentlich der Tag des männlichen Tieres - Rüdenausgang.

Irgendwie paßt mein kolabierender Lungenflügel nicht in das allgemeine Erscheinungsbild. Bin ja auch kein Vater, sondern ein Mann; allerdings ein Mann mit Lust auf Bier auf dem Weg zur Arbeit. Auf dem Weg ...
aber noch nicht angekommen, baut sich vor mir eine Mauer der Überwindung auf, eine Unlustgrenze. Von unsichtbarer Hand wird Stacheldraht ausgeworfen, so messerscharf wie die Abgabenpolitik eines Staates ohne Staatsvertrag - der ähnlich dem Generationsvertrag von mir auch niemals gegengezeichnet worden wäre.

Die Schlagzeilen der unitären Presse bepflastern meinen Weg. Die Grünen stemmen eine Kulturabgabe gegen die Kirchenaustritte, die Polizeifestspiele blockuppieren das Frankfurter Bankenviertel, Verena Becker sagt mal ganz deutlich, daß der Verfassungsschutz keine Alt-Nazis niedermetzelt und wer nicht mehr zahlen kann, wie Griechenland, bekommt auch keinen Stehplatz im Gesindelhaus.

Die Steine vom Pflaster Strand haben sich dank der magischen Schwerkraft wieder alle auf dem Trottoir versammelt. Und dank der parlamentarisierten Piraten ufert nun auch nichts mehr aus - der neue Tellerrand zeigt sich in nervenschonendem Krankenhaus-Orange.

Revolution? Nicht die Bohne unter dem Futton, den wir einrollen, wenn wir aufstehen. Nicht um in die Arbeit zu gehen. Ein Wecker, der auch mal länger klingeln dürfte, wenn es denn wirklich ums Aufwachen ginge und nicht ums Einschlafen. Ein Traum, der auch mal tagsüber stattfinden dürfte in unserem Leben, das wir bei Fahrtbeginn entwerten. Es wäre, rein rechtlich, Zeit für Frühling und zwanzig Blumen.
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Mittwoch, 16. Mai 2012
Mexico is auch am Arsch
... weil sie das falsche Bier trinken.


Beve, muchacho, beve mucho. Dann siehst du 98 Leichensäcke an der Schnellstraße nach Reynosa statt 49. Im Grunde tut es auch nichts zur Sache in einem Land wie Mexiko, wo jährlich rund 10.000 Menschen ein ähnliches Schicksaal erleiden.
Hingerichtet, geköpft und die Gliedmaßen abgeschnitten geht es bei den Opfern weniger um die getötete Person selbst, sondern um eine Meta-nachricht, um "narcomensajes", um eine Art der Kommunikationsform der Drogen-etc-Kartelle, bei der die Anzahl und die Darbietungsform der Leichen einen wesentlich größeren Stellenwert darstellen.

Trink, Freundchen, besauf dich bis zum umfallen. Vielleicht schaffst du es dann, einen angenehmen, so zumindest besinnungslosen Aufstieg auf den Leichenberg zu schaffen. Vielleicht stirbst du so narkotisiert, während du an deiner eigenen Kotze erstickst. Nicht an einer Brücke hängend. Drink my friend, drink. Just dont buy no drugs to deploy arms trade! Aber ... es gibt auch einen Weg, ohne trinken zu müssen.
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Bamako Blues I
Meine Unterlippe ist von einem Stich so geschwollen, daß wie halbseitig gelähmt beim Trinken die Hälfte wieder entweicht und mein verschwitztes Hemd durchtränkt. Die vom Stich geschwollene Lippe muß eine der Grundlagen der afrikansichen Sprachen sein und hat sich so vermutlich genetisch gehalten.
Meine verbrannte Haut ist so gespannt wie eine afrikanische Trommel. Leicht erhitzt, eine subkutane Hitze - hoffentlich von der Sonne und nicht von Würmern die es sich unter der Epidermis bequem gemacht haben. Ich fühle mich fiebrig unter einer Dusche von kaltem Schweiß; ein seltsames subtropisches Fieber bei leicht unterkühlter Körpertemperatur. Die Körperheizung kann mit den Außentemperaturen nicht mithalten.

Die ausgesprochen enge Koexistenz zwischen Mensch und Insekt in äquatorialen Breitengraden - die furchtlosen Kakerlaken im Abendessen und all die Käfer jeder Knopfgröße - zeichnen jeden Tag ein neues Tatoo auf meine exponierten Körperstellen.
Die Stiche sind nur schwer zu unterscheiden von den Blasen und entzündeten Stellen, an denen täglich nicht körpereigene Objekte entweichen. Letztere nützen jede Chance, sobald sich genügend Körperflüssigkeit ansammelt. Allerdings bin ich ständig dehydriert, sonst sähe ich wohl eher wie ein vereitertes Kuheuter aus. Das Gute daran: sobald ich mich verletze, schließt mein Körper dieses Einfallstor für Infektionen augenblicklich in einer Art Schockreaktion.

Ich habe vergessen, meine chronisch laufende Nase zu erwähnen, die sich in Kombination mit der subkutanen Hitze wie Erkältung anfühlt. Ein klassisches Problem für Reisende in wüstenähnlichen Gebieten und ein bizarres Gefühl bei 40 Grad im Schatten. Wüstenfieber eben. Ganz im Gegensatz zu Asien sind Taschentücher in Westafrika erhältlich, während Toilettenpapier seinen Weg hierher noch nicht gefunden hat; oder sind es die Importbeschränkungen.

Mein Bäuchlein wächst trotz Mangelernährung. Man kennt das von den Hungerkatastrophen im Sahel. Die Innereien arbeiten jedoch ganz regulär. Und obwohl wir nicht nur aus verschweißten Flaschen trinken, Salat und Früchte essen, und vorwiegend Dinge bestellen, von denen wir noch nie gehört hatten, zeigt sich bisher kein Durchfall - genannt der Banjul belly.

Nachdem wir uns mehr aus nostalgischen denn aus Kostengründen dem lupenreinem Hotel Tamana
verweigern, sind wir im Hotel Lac Debo, Ex-Majestic,
abgestiegen. Der Patio, mit seiner bemoosten Glasüberdachung, ist vollgestellt mit Reliquien, die noch aus der französischen Kolonialzeit stammen sollten.
Ganz allgemein scheint die Unterkunft mehr zu verwittern als sie jemals existiert hätte. Die einzige Putzfrau sind die lauen Lüftchen, die hin und wieder durch die Gänge streifen. Einzig koloniale Restbestände wie der ermattete Badezimmerspiegel zeugen von besseren Zeiten. Die wie ein magisches Artefakt in der Ecke lehnende Clobürste, der man nicht zu nahe kommen sollte, scheint dafür geschaffen, den Enddarm davon abzuhalten, seine Arbeit zu tun, dafür geschaffen, das Essen da zu halten, wo man es nicht sehen kann. Auch die vorhandene Seife ist diebstahlsicher mit dem Waschbecken verwachsen. Der Stoffetzen, der die Toilette vom Zimmer trennt hängt an einem Besenstil mit Nägeln, der sich wie eine Giftschlange auf einen stürzt, sobald man versucht, das stille Örtchen zu besuchen. Das Schloß an der Tür wird auch ohne Berührung keine Woche mehr überleben, ehe es komplett als staubiger Rost mit den lauen Lüftchen weiterreist. Im Zimmer ist nichts außer einer Glühbirne und zwei Betten, die von den Tonnen an Fleisch, das sich bisher über sie gequält haben, so ausgelegen ist, daß es mehr Illusion als Matratze.
Jesus hätte sich hier pudelwohl gefühlt, denn einzig die Ecken erinnern noch entfernt an Schaumstoff. Um nicht direkt auf den Holzlatten zu liegen, strecke ich mich des nachts wie ein Gekreuzigter und benütze meinen aufgeblasenen Bauch als Luftkissen.
Im Endeffekt finde ich es sehr löblich, daß in Afrika Fensterputzen unter Todesstrafe zu stehen scheint, denn so fühlt man nur, was man nicht sehen kann.

Warum man das Ex-Majestic unbedingt dem Tamana vorziehen sollte ist die Lage. Denn im alten Zentrum - heute gibt es wohl eher kein Herzstück mehr in Bamako - liegt auch das libanesisch geführte "Cafe Central",
in dem an genau jenem Tisch auch schon Pabst Johannes XII. saß.
Vermutlich hat auch er in genau jenem Bett übernachtet, in dem man sich wie Jesus am Kreuz fühlt.
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Dienstag, 15. Mai 2012
Afrika muß sterben - heute Mali
"Die Nationen der Welt lassen sich, grob gesprochen, in zwei Gruppen einteilen: die Lebenden und die Sterbenden." Lord Salisbury, Premierminister GBR, 1898 i Royal Albert Hall, zitiert aus "Durch das Herz der Finsternis" von Sven Lindqvist (S.204)


Wir fahren Richtung Mali und zum Glück ist es noch 3 drei Jahre hin, ehe 2012 Präsident Präsident Amani Toumani Touré vom Militär gestürzt wird. Abermals - wir kennen das von einem Afrika, dessen Bevölkerung noch eine Alterspyramide bildet, die an einen Weihnachtsbaum erinnert und nicht vergreist mit Rollatoren über die Steppe fegt - ist es ein junger Offizier, namens Amadou Haya Sanogo, der den alten Präsident - selbst durch einen Coup an die Macht gekommen - vom Hocker holt. Al Jazeera gibt uns hier einen kleinen Einblick.Anders als Thomas Sankara, der Che Afrikas, ist es diesmal ein von den Amerikanern ausgebildeter Offizier. Was ist passiert und wie dürfen wir das westliche Pressegezeter von wegen "Och, es war doch so stabil und demokratisch." deuten. Mali war und ist in jedem Fall stabil bitterarm, das "Och" hätte eigentlich schon früher mal ausgesprochen werden sollen, wenn es denn von Herzen käme. Ich spreche die Gefühlsregung des Mitleids selbst den Gutmenschen nicht ab - immer in Verbindung mit der Angst, daß sich dadurch der eigene Lebensstandard nicht ändert und die Importgüter nicht so 'unverschämt' teuer werden.

Gutmenschentum und Demokratie sind Gewächse, die sich vom Überfluß nähren, jenem Überfluß auf Kosten anderer. Und damit war Mali auch vor Jahren nicht gesegnet. Präsident Toure war Herrscher eines Landes, das als Drehscheibe und Transitland im Drogenhandel gedient hat - wie der Absturz einer venezolansischen Boing 2009, beladen mit mehreren Tonnen Kokain, zeigt.

Der Sahel ist schwer zu kontrollieren und bietet hierfür alle Voraussetzungen.

Auch die Entführungen von Touristen im Norden des Landes, wo nun die Tuareg sich militärisch nach Süden bewegen und inzwischen die Gebiete bis Timbuktu erobert haben.
Beides wird von Präsident Toure in einem gewikileaktem Dokument angeschnitten.

Wie ernst die Sorge Toures um die Stabilität des Landes war und ob es seine angebliche Bereitschaft war, mit den rebellierenden Tuareg konstruktiv zu verhandeln, die schließlich zu seinem Sturz geführt hat, ist schwer zu sagen.
Namibia jedenfalls wirft der Nato vor, nach deren Unterstützung für den Umsturz in Libyen auch den in Mali voranzutreiben, um seinen eigenen Nutzen aus dem Chaos zu ziehen.

Denn beide Konflikte, der Bürgerkrieg in Libyen und das Vordringen der Tuareg-Rebellen bis Timbuktu/Gao, stehen im engen Zusammenhang.

Auch die kleine Ethnologin stellt sich diese Fragen mit dem Hinweis darauf, daß der Coup in Mali nur wenige Wochen vor der Wahl stattfand, bei denen Toure zurücktreten wollte. Auch daß der malische Putschist Sanogo von den den USA ausgebildet wurde, rückt die Situation in ein gewisses Licht.

Festzustellen ist, daß sich die wunderschöne Reise auf dem Niger von 2009 durch Mali nun nicht mehr so schnell wiederholen läßt. Für die leidgeprüfte Bevölkerung Malis wird sich die Situation weiter verschlechtern, der Drogenhandel wird sich weiter ausbreiten und wenige reiben sich ihre gierigen Hände. Mich würde es wundern, wenn diese Hände nicht weiß wären. So schreibt sich also die Wassermusik dieser Tage.
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Freitag, 11. Mai 2012
Der europäische Völkermord im Herz der Finsternis - damals wie heute
Hintergründe sind der Bildzeitung eigentlich nur aus Zeiten der halbnackten Covergirls bekannt und so darf es nicht verwundern, daß wir beim Thema Charles Taylor, dem Schlächter von Liberia und Sierra Leone, nicht ein Wort über den historischen Bezug des Händeabhackens erfahren. . Da läßt sich leichter vergessen, daß es sich sozusagen um eine belgische Erfindung unter Leopold II. handelt, wie der Film "White king, red rubber, black death" uns das vor Augen führt.
"Ich werde ihnen meinen Kongo geben", hatte Leopold II. verfügt, "aber sie haben kein Recht zu erfahren, was ich dort getan habe." (Die Zeit - "Gulag im Dschungel")
Mark Twains Buch "König Leopolds Selbstgespräch" zeigt uns, daß dieser belgische Schlächter in seinen Bemühungen keineswegs allein stand.

Nun haben wir endlich einen Namen - Charles Taylor - mit dem wir die Vergangenheit überkleben können. Kindersoldaten und Blutdiamanten - letztere waren es schließlich, mit denen die internationale Gemeinschaft ihn vor dem internationalen Gerichtshof zu Fall brachte. Wer diese Diamanten schließlich gekauft hat, um seinen Heiligenschein zu schmücken, sollte uns allerdings nicht interessieren.
Selbst der heutige Blick auf den Kongo Leopolds verdeckt, daß es sich hierbei vorwiegend um ein gesamteuropäisches Projekt handelt - siehe Kongokonferenz von 1885/1885.

Die europäische Geschichte des Kongo hat sich bis heute nicht geändert. 1961 wurde Patrice Lumumba unter belgisch-amerikansichem Beistand gestürzt und ermordet, ehe er den Kongo für die Kongolesen demokratisch zurückeroben konnte. Und so herrscht Europa mit Gewalt und Elend ohne Ende bis heute über sein von Untermenschen und Bestien bewohntes Rohstoffreservoir. Die Schuld trägt Afrika allein - "Exterminate all the brutes".
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Mittwoch, 9. Mai 2012
Die weißen Götter wollen nicht weichen


Bis zur Entdeckung des Chinin als Malariaprophylaxe war zumindest das Hinterland Afrikas relativ sicher vor den todbringenden, bleichgesichtigen Kolonialherren, die so bis circa 1850 wie ein Schimmelpilz nur an den Rändern des Kontinents ihre Ideen von Zivilisation zur Geltung bringen konnten. Bis 1900 schießlich ist der Kontinent durchsetzt von und aufgeteilt zwischen den europäischen Kolonialstaaten. Der Kongo wird persönlicher Besitz des belgischen Königs Leopold II.

Der Export von Sklaven ist weniger wegen seiner moralischen Komponente verpönt, sondern vorwiegend, weil diese nun in Afrika selbst benötigt werden, um Elfenbein, Kautschuk etc zu extrahieren - selbstverständlich weiterhin als Sklaven. Die überschüssigen Massen dieser "schwarzen Bestien" werden in wahren Blutorgien hingemetzelt. Ach, was nervt mich mein sachliches Geschwafel. Ein Blutrausch war das, was Europa da veranstaltet hat.

Daß die Blumenbeeteinfriedung von Herrn Marlow aus Joseph Conrads "Herz der Finsternis" aus den Totenköpfen der Abgemetzelten bestand, ist im Grunde ein Euphemismus - wer, dieser Opfer der aufgeklärten Zivilisationen, wäre nicht froh, wenigstens im Tode für etwas gut zu sein.

Geschichtlich verklärt begreifen wir die Expedition des Kapitän Voulet (siehe "The Killer Trail") als einen von uns abgetrennten Teil der Vergangenheit. Mit uns hat das nichts zu tun, wenngleich wir die hübschen Kolonialbauten unserer Hauptstädte auch gerne mal im Vorbeigehen bewundern, mit der Eiswaffel in der Hand.
"Klobb stieß auf Männer, die lebendig aufgehängt worden waren - niedrig genug, daß die Hyänen ihre Füße fressen konnte, während der Rest ihrer Körper für die Gier blieb." (Sven Lindqvist: "Durch das Herz der Finsternis"; S.240). Klobb der Gute, der Voulet des Kommandos entheben sollte, weil dessen Schlächtereien durch eine Art koloniales Wikileaks bis in die Sonntagszeitungen des Good Old Europe vorgedrungen waren.
"Am 13.Juli hatte Voulet einhundertfünfzig Frauen und Kinder hinrichten lassen ..." (S.242) Am 14.Juli ließ Voulet Klobb erschießen. ("Riding the Demon: On the Road in West Africa").
"Ich bin ab sofort kein Franzose mehr. Ich bin ein schwarzer Häuptling, sagte Voulet." (S.243) Und irgendwie muss man zwangsläufig an Kurtz denken - aber nicht jenen aus dem "Herz der Finsternis", sondern an sein Remake aus "Apocalypse Now".

Alles Filme, alles Bücher, alles Fetzen aus einem Geschichtsbuch. Nicht Teil unserer moralischen Fundamente, die den Westen heute zum Verteidiger der Demokratie und der Menschrechte machen. Auch kein Bezug zum Holocaust (siehe Historikerstreit), den Hitler mit ein paar Henkersknechten gepachtet hat.

Da mag die Bevölkerung des Kongo unter der Herrschaft König Leopolds II. um rund die Hälfte reduziert worden sein und einem großem Restanteil die Hand abgehackt (siehe Kongogräuel) ... mit uns hat das nichts zu tun. Und wir können auch nicht verstehen, warum sie jetzt plötzlich Geschäfte mit China machen. "Diesen Verachtern der Menschenrechte!"

Die freundliche Deutung dieser westlichen Sicht der Dinge ist, daß, was auch Voulet schließlich vorgeworfen wurde, uns einfach die Hitze zu Kopf gestiegen ist und wir komplett die Realität aus den Augen verloren haben. Eine andere Sicht wäre, daß wir im Laufe der Zivilisationsgeschichte so scheinheilige wie bleichgesichtige Monster geworden sind und uns die Leichenberge bei weitem noch zu niedrig sind. Daß wir im Endeffekt die Eliminierung von allem und jedem herbeisehnen, was wir nicht als unser Eigen sehen. Unser Motto hat sich zumindest in den letzten hundert Jahren in keiner Weise geändert. Wie Sven Lindqvist in seinem Buch zu Recht feststellt. Wir alle heißen Kurtz. "Exterminate all the brutes!"
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Dienstag, 8. Mai 2012
A short history of killer nations - Europa in Afrika
Das Thema Kolonialismus scheint nicht vergessen, aber doch verwischt. Um zu zeigen, daß wir eben doch die Erfinder des humanistischen Ideals und der Menschrechte sind, erfinden wir wie im Stakkato immer neue Wörter für das, was wir innerlich immer noch Neger nennen. Erst schwarz, dann farbig, schließlich Afroafrikaner, andersfarbig oder Inhabitant des Trikont. Im Grunde bleibt es ein unterentwickelter Neger.

So lehrt uns die Bundeszentrale für politische Bildung: "Demokratien werden unglaubwürdig, wenn sie sich nach außen hin nicht denselben Werten verpflichtet fühlen, die sie nach innen als verbindlich erachten: Frieden, Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, Gleichheit und Recht auf individuelle Entwicklung. Die meisten dieser Werte liegen in Afrika noch immer im Argen. Deutschland kann zur Überwindung dieses Mißstands einen Beitrag leisten.""

Vermutlich ließe sich argumentieren, daß nur wir Europäer und Nordamerikaner durch unsere Geschichte des Massenmords und Genozids ein modernes Menschenbild und eine so ehrenwerte Form der Demokratie entwickeln konnten, daß es einzig uns vorbehalten ist, andere darüber aufzuklären und zu lehren, wie es läuft.

Wie dreist, wenn der derzeitige Präsident Tunesiens Marzouki in einem Interview mit Julien Assange davon spricht, daß er sich von Personen im Weißen Haus lieber nicht erklären läßt, wie sich diese herrliche Demokratie nun auch in seinem Land einführen ließe.

Die westliche Welt entrüstet sich über den wachsenden chinesischen Einfluß in Afrika. China, das die Menschenrechte so wenig achtet wie ... wir? China, das nur daran interessiert ist, so viele Rohstoffe wie möglich, so billig wie möglich dem afrikanischen Kontinent zu entreißen. Selbst das bundeseigene Sprachrohr für politische Bildung gibt zu bedenken, daß wir das eigentlich niemals anders gehandhabt haben:
"Vor ihrer Unabhängigkeit in den 1950er und 1960er Jahren war bis auf die Länder Äthiopien und Liberia der gesamte afrikanische Kontinent in den Händen europäischer Kolonialmächte. Die Kolonialisierung Afrikas blieb wie schon auch der Sklavenhandel ab dem 15. Jahrhundert nicht ohne Folgen für die weitere politische und wirtschaftliche Entwicklung des Kontinents. Um nur ein Beispiel zu nennen, in der kolonialen Epoche nahm die einseitige Ausrichtung der afrikanischen Wirtschaften auf den Export von Rohstoffen ihren Anfang und hat bis in die heutige Zeit den Entwicklungsprozess Afrikas erschwert. ... Solange die EU-Agrarpolitik weiterhin subventionierte Produkte auf den Weltmarkt bringt, die die heimische Produktion in Afrika verdrängen, ist auch nicht zu erwarten, dass die afrikanischen Länder von diesen neuen Handelsregelungen profitieren."

Bevor wir also unsere Reise Richtung Mali fortsetzen, wollen wir in den nächsten Tagen erstmal einen korrigierenden Blick in den Spiegel werfen, auf unser eigenes Erscheinungsbild in Afrika, auf eine ausgebleichte Fratze von Neid und Mordgier. Und wer möchte, darf als Hausaufgabe gerne schon mal im "Herz der Finsternis" von Joseph Conrad schmökern und sich Gedanken darüber machen, warum auf unseren Fahnen eigentlich abgehackte Hände wehen sollten.
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Mittwoch, 2. Mai 2012
Kanalmatrosen im Ruhrgebiet
Eine Motorbootreise von Bergkamen ueber den Ruhr-Herne-Kanal an die Ruhr, rheinabwärts - sog. Talfahrt - rechts, in der Bergfahrt in einem Land, dessen Hügel sich Abraunhalden schimpfen, den Wesel-Datteln-Kanal zurück.
Das Ruhrgebiet zwischen Uferböschung und Sportboot-Marinas, letztere mit zunehmendem Dieselpreis zu schwimmenden Dörfern mutierend. Rostende Stege an denen nicht nur die Motorjachten vergreisen, sondern auch so manch anderes abgetakelte Treibgut im Fluß des Lebens - denn wie Du, lieber Jean, wohl bemerkst, ist das Leben ein Meer, ein Meer von Flüssen und Strömungen und wir ein schwacher Motor mit feststehender Welle - manche linksgängig, andere rechtsdrehend.
So mancher Hafenmeister kennt die Welt hinter der nächsten Schleuse nur vom Hörensagen. Andere sind noch von der letzten Lackierung ihres geliebten Tuckerschiffleins so pleite, daß sie aufs nächste Hochwasser warten müssen, um sich weitertreiben zu lassen.

Schade um dieses Völkchen der Binnenschiffer mit ihren befremdlichen Zeichen und ihrer noch fremderen Sprache. Kanalmatrosen in der Curryklemme zwischen Hundsfott und Kielschwein. Da, wo auch mal die Schotten dicht gemacht werden.
Da darf es nicht wundern, daß ich die roten und grünen Tonnen anfangs für Mülleimer hielt, bis unser Kiel zuerst die Erfahrung machen durfte, daß es sich hierbei um Fahrrinnenbegrenzungstonnen handelt - grün für steuerbord, also rechts. Für mich verwirrend, da sich unser Steuerrad links befindet.
Auch als ich die österreichische Nationalflagge an einer Brücke im Ruhrpott entdecke, sind es nur noch wenige Meter, ehe ich die ethymologische Bedeutung bei Durchsicht unserer Schildertafel wiedererkenne: "Durchfahrt verboten!" Das macht nun in jeder Hinsicht Sinn, nur mir hilft das in diesem Moment wenig. Und wieder heult der Keilriemen bei voller Fahrt zurück.

Glücklicher verläuft meine erste Begegnung mit dem doch etwas ungastlichem Warnschild "Begegnen verboten",
da meine Augapfelnavigation diesmal weit und breit keinen Kohlendampfer anpeilt - in der stets latenten Angst, an die Spundwand gedrückt zu werden oder mein Kleinboot im Malstrom seiner Schraube wiederzufinden.

Das Kanalmatrosenleben hat so seine Tücken. Einzig das kappen der Leinen, der zahllosen, widerrechtlich in der Fahrrinne fischenden Freizeitangler und ihr sinnloses Fluchen läßt einem Binnenschiffer wie uns das Herz höher schlagen. Schon allein dafür lohnt die Reise. Fisch ahoi!
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Montag, 30. April 2012
Aufschleusen a d Ruhr - mit Haken und Ösen
"Wir sind die Hannibal, Sportboot mit 12 Metern, und würden gerne aufschleusen."
"Muss noch nen Berufsschiffer abschleusen. Legt ma an der Spundwand vorne und achtern klar."
"Wos?!"
"Dat Boot an der Eisenwand mit de Seile anbinden!"
"Ok ..."

Hannibal hat grünes Licht - eigentlich zwei - kann einfahren und tut dies auch. Die Frau- und Mannschaft mit zittriger Hand vom Vorabend.
"Menno, ist das eng," als das Heck an die Schleusenwand kracht. Gut vertäut längsseits liegen wäre jetzt der Quell allen Seelenfriedens. Wir aber treiben hilflos wie ein räudiger Hund an der Vorleine, bis uns das gütige Schicksaal wieder mit dem Heck an die schleimige Schleusenwand presst und wir endlich auch dieAchterleine um den Poller bekommen.

"Allet klar?" tönt es hämisch aus der Videoüberwachung. Wir antworten wortlos mit dem uns verbliebenem Restlächeln, während der Schleusendrempel arschknapp an unserem eh schon ramponiertem Heck vorbeieiert.

Jetzt fühlen auch wir uns schiffig und schwojen halb verkatert, halb seekrank im einströmendem Wasser der Ruhr. Man könnte sagen, wir fühlen die Ruhr, die zu Wasser gewordene Shigellose - heute die Trinkwasserversorgung des Ruhrgebiets.
Kurzfristig sieht alles ganz gut aus.
Ups, warum läßt sich die Vorleine nicht fieren, sondern liegt friedlich, weil fest verzurrt mit einem engen Palsteg um den Schleusenpoller, der sich immer weiter in die Tiefe bewegt und uns demnächst auf den Schleusengrund zieht, dessen Wanne sich unerbittlich mit den Wassermassen füllt, die die gesamte Sahelzone über die Dürreperiode bringen könnte.

"Kappt die Vorleine!" für die sich natürlich keiner verantwortlich fühlt. Nicht die halbe Mannschaft, die sich im Schiffsrumpf in die Bewußtlosigkeit säuft, nicht die Damen in der Kombüse und ebensowenig die Kollegen vom Sonnendeck.

Einzig der Bootsführer, der allerdingshilflos in Vor- und Achterspring verwickelt sich mit den Zehen am Steuerrad einkrallt. Aber bei 12 Tonnen Gewicht hilft alles Stemmen und Drücken herzlich wenig.

"Volle Kraft zurück!" schreit einer der Besoffenen, die sich urplötzlich für das Geschehen an Bord interessieren. Der Keilriemen heult auf und der Motor übertönt all die gutgemeinten Ratschläge, die sich der Schleusenwärter aus der Kehle quält.
Die teuflische Vorleine endlich von einer der Kombüsendamen gekappt, wummern wir wieder quer und drohen uns an der Schleusenwand mit der Reling zu verhaken. Selbst das Bugstrahlruder zieht uns nur noch tiefer ins Verderben.
Scheiß auf den Bootslack, der doch so billig im Baumarkt zu bekommen ist. Besser Lack als Leck.

Wenn wir jetzt ein Hütchen und auch nur eine freie Hand hätten, die umherstehenden Schaulustigen würden nur allzu willig etwas zur Schadenssumme beisteuern. So schenken sie uns dennoch ein herzliches Johlen und für uns wird es nur ein teures Unvergnügen, das die nun gesamtaktive Crew mit allen noch nicht von Bord gegangenen Fendern abzufedern sucht. Wer kann sich in solchen Urmomenten noch an Webeleinsteg oder irgendeinen Knoten als an den im Hirn erinnern? Die letzte Scham geht Flöten und der Restverstand gleich mit, wenn es um die eigene Haut geht.

So tauchen wir auf aus der Schleuse als hätte sich Moby Dick mehrfach auf unser Boot geworfen. Unser Bootsführer sichtlich ergraut wie Käptain Ahab am Ende seiner Reise, die Crew verbeult wie der gesamte Bootsrumpf, mit gekenterten Gesichtern - schiffig und froh, lebendig aufgeschleust zu haben. Ahoi Ruhr.
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Dienstag, 24. April 2012
Westafrika - im Kreuzfeuer des Drogenhandels
Toleranz ist ein dehnbarer Begriff und so flexibel wie der Drogenhandel selbst. "Zero Tolerance" - das hat man schon gehört, von bedeutenderen Personen als vom Präsidenten Gambias, Yayha Jammeh. Derzeit etwas überlagert vom "War against Terror" glimmt noch ganz schwach der "War against drugs" in unserem Gedächtnis, propagiert vom Ex-Alkoholiker George Bush, dem auch Kokain und dessen Vertriebswege nicht ganz unbekannt sein dürften (siehe auch), und Bill Clinton, dem ehemaligem Governeur von Arkansas, Heimat des Drogenumschlagplatzes Mena. (siehe und siehe und siehe)

Zwei Namen, ein Gesicht - zwei Gesichter, ein Prinzip. Selbst der Drogenhandel wird heute unilateral betrieben. Es wird klar, daß es für den Waffenhandel von enormer Bedeutung ist, nicht nur Kriege, sondern auch den Drogenhandel zu kontrollieren und am Laufen zu halten wie in "Where the War on Terror Meets the War on Drugs" beschrieben und erst kürzlich im Dezember 2010 in der Operation Fast and Furious oder der etwas abgewandelten Variante deutlich zu Tage getreten ist. Sprich: daß es für die führenden Waffenexportnationen überlebenswichtig ist, daß der Krieg gegen die Drogen eben nicht gewonnen wird.

Die Links sind nur ein kleiner Querschnitt der schier inflationären Dokumentation, denn irgendwo wollen wir auch wieder zurück nach Afrika und speziell nach Gambia, wo wir all das am eigenen Leib erleben durften.

Was sollten wir von Westafrika auch erwarten, als daß es genau in diesen Strudel hineingezogen wird - als Spielball der "Big Players". Kriege und Chaos, Menschenrechtsverletzungen, sich selbst überschlagende Umstürze am Transit zwischen Südamerika und Europa und, weil das noch nicht reicht, Öl und Bodenschätze. Sozusagen eine Art Anzuchterde für die sich weltweit ausbreitenden Machenschaften der politischen Pestilenz.

Vergeßt die Erdnussfarmer im Senegal. Hier spielen die ganz Großen, the main-fuckers of politics and crime, hier verstehen wir, was mit Toleranz gemeint ist, bzw. der Nulltoleranz - zwei Begriffe, ein System. Ob War on Terror oder War on Drugs, wichtig und im Gedächtnis, in der Ader, im Körper des Bürgers, bleibt nur ein Grundtenor, eine alles überlagernde Melodie: Krieg, Terror, Drogen und all ihre kleinen Geschwister.
Wer würde sich da noch wundern, das Gambias Präsident Jammeh den Drogenhandel als Hintergrund für den Umsturz in Guinea-Bissau hält, womit er auch nicht so falsch liegt, und wie sein amerikanischer Kollege Bush "zero tolerance" fordert, wenn eine ganze Reihe von hohen Offiziellen, inklusive dem Direktor der gambischen Drogenbehörde, beim Drogenhandel erwischt werden.

Warum sollte er nicht auch ein Stück vom Kuchen wollen, wenn andere - oder war es doch sein Deal - mit über 2 Tonnen Kokain durch seine geliebte Heimat schippern, ohne die übliche Transitsteuer zu entrichten. Nennen Sie mir einen einflußreichen Politiker, der sich bei dieser Profitrate von den Kollaterlschäden auf die Zivilbevölkerung abschrecken läßt. Selbst wir als touristisches Treibgut profitieren zumindest vom Zigarettenschmuggel, die seit Gamiba für unter einen Euro zu bekommen sind - Guinea-Direkt-Import.

Wir haben das schon begriffen, wenngleich wir uns auch streuben, Gebühren für nicht notwendige Visa zu entrichten. Aber wir wußten, wo wir in der Hackordnung stehen, als weiße Touristen in Soma.

Unser Bus füllt sich letztendlich doch, ohne daß wir Schmiergeld zahlen und es geht weiter. Weiter weg von deutschen Botschaften und Hubschrauberlandeplätzen, weiter weg von der uns bekannten Zivilisation,
Richtung Janjanbureh, der ehemaligen Hauptstadt. Jetzt endlich auf den Spuren von Mungo Parks, die wir nun nach über hundert Jahren endlich riechen und schmecken können, am Malariagehalt der einheimischen Bevölkerung. Nicht nur die Zeit hat ihre Grenzen verloren, sondern auch Moral und das Vertrauen in europäische Weltbilder verschwimmen immer mehr in der Gluthitze und dem täglichen Kampf um das Wesentliche
... und wir stehen erst am Anfang unserer Reise.
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Montag, 23. April 2012
Gambia
Gambia kennen die meisten nur von seiner schmalsten Seite her, dem Küstenstreifen rund um die Hauptstadt Banjul. Wir aber nehmen es in der vollen Breitseite, also an seiner schmalsten Stelle, seiner Taille mit rund 40km im Durchmesser. Ehe wir bemerken, daß wir wirklich schon im Land sind, haben wir es mit unserer Reisegeschwindigkeit, die wir nun endlich aufgenommen, auch schon halb durchquert, den Gambia River bereits überquert und kommen erst kurz vor der südlichen Grenze zur Casamance in Soma zum Stehen. Soma, ein ausgetrockneter Trans-Gambia-Zellkörper. Bisher alles ohne Grenzkontrolle oder sonstige Offizialitäten. Wir sollten uns einfach bei der örtlichen Polizeistation melden.
Endlich englischsprachig. Wir können wieder ganze Sätze bilden und verstehen auch plötzlich die Antworten, was die Sachen nicht unbedingt einfacher macht, denn nun können wir uns aus verschiedenen Stiuationen nicht mehr mit unserer sprachlichen Unbedarftheit davonstehlen.
Um den Einreisestempel zu bekommen, bedarf es schließlich eines gewisssen Verhandlungsgeschicks, ohne für ein Visa, das wir aus unserer Sicht nicht benötigten, bezahlen zu müssen. Selbst die wiederholte Drohung, uns nach Banjul zu schicken, was wir unter allen Umständen zu vermeiden suchen, scheitert an der resoluten Weigerung meines Reisekollegen - ein sonst eher ruhiger, besonnener Mensch, der sich in dieser Sitaution lieber die Hände abgehackt hätte als auch nur einen Dalassi (so die Währung) aus der Tasche zu ziehen. Das hat dann schließlich die nötige Wirkung auf den örtlichen Polizeichef. We win.
Soma, das keine westlichen Touristen kennt, bietet uns alles, was es auch Einheimischen zu bieten hat. Eine sporadische Unterkunft im Truck-Stop Moses Motel
am sandigen Trans-Gambia-Highway, der es nicht schaffen wird, jemals mit Asphalt in Berührung zu kommen.
Horden von Mosquitos, die auch vor Spray und Netzen nicht zurückschrecken. Immerhin ein Ventilator, der, wenn mal Strom ins Netz geschossen wird, mehr Lärm als Wind von sich gibt. Endlich im tropischem Gürtel, raus aus dem Sahel. Die Luftfeuchtigkeit nimmt stark zu, so daß ab heute jede Nacht schweißgebadet und man aufpassen muss, sich im Schlaf nicht selbst zu water-boarden.
Inzwischen hab ich auch T.C.Boyles "Wassermusik" im Gepäck gefunden, kann ihn aber nicht lesen, denn entsprechend der Stromsituation ist man sich auch nicht sicher, ob die Glühbirne nun brennt oder nur so tut.

Den Tag verbringen wir zum Großteil damit, unter dem "bus-stop tree" in die große afrikanische Familie hineinzuwachsen.
Seit Mbour/Senegal hat die Zeit aufgehört zu existieren. Dinge passieren unabhängig von jeglichem Zeitplan. Wir warten apathisch, in der Hoffnung, daß sich genügend Mitreisende finden, der Bus um ein mehrfaches seines Eigengewichts beladen wird und der Troß sich in Bewegung setzen möge.
Innerhalb weniger Stunden haben wir etliche "best friends", die alle "best soccer" spielen und eigentlich nur auf den geeigneten Moment warten, um in erste deutsche Liga berufen zu werden.
Man mag vor Abreise sich über all die traumatischen Tropenkrankheiten informiert haben. Bei Temperaturen um die 40 Grad sind diese Gedanken wie weggewischt. Wir essen und trinken, was sich uns bietet.
Salat, Früchte, Wasser aus unverschweißten Flaschen und die selbstgemachte Eiscreme. Assimilierung ist ein oft harter, so doch langfristiger Überlebensplan.
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Donnerstag, 19. April 2012
Bill Gates oder wie wir die Welt vor dem Menschen retten
Ups ... Bevölkerungsreduktion durch Impfungen? Das Publikum lacht. Wie darf man das verstehen? Bill Gates, der Philantrop, uns auch bekannt durch seine selbstlose Zusammenarbeit mit Monsanto (Bill Gates And Monsanto Team Up To Fight World Hunger), , den Erfindern des Entlaubungsmittels Agent Orange im Vietnamkrieg, des Zuckerersatzstoffes Aspartam und natürlich Round-Up, deren Großaktionär er ist, erklärt uns, wie wir durch Impfung und andere Wundermittelchen die Bevölkerungszahl auf beinahe Null reduzieren. Ein mehr als mathusianischer Plan, der die Eugenik in neue Dimensionen treibt. Bin ich im Rahmen dieser "Bill of Gates"der Vernichtung preisgegeben, oder darf ich letztendlich des entvölkerten Planeten geniessen? Ich befürchte fast, dass ich die Schlüsselqualifikationen für Letzteres nicht erfülle. Hm ...
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Kurzmeldung:
Dr.Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben


... eine Frau soll Pakistan regieren. Und dann sagt sie so etwas. Hören Sie sich speziell die Aussage zwischen 2.22 und 2.25 an: "Omar Sheikh who murdered Osama bin Laden" Eine Frau, ganz abgesehen von ihrer ansprechenden Erscheinung, Tochter des ehemals ermordeten pakistanischen Präsidenten Zia ul-Haq, die kurz vor ihrer eigenen Ermordung ihrem Konkurrenten, dem nachfolgendem Präsidenten General Pervez Musharraf, ihre vermutlichen 3 Mörder nennt, und zugleich Osama bin Laden 2007 für bereits ermordet erklärt!

Verwirrend ist auch, daß sich unter den drei möglichen Mördern der Sohn von Osama befindet, Hamsa bin Laden - warum haben wir von ihm nicht schon gehört - und zugleich der Mörder seines Vaters, Omar Sheikh.

Soviel Verwirrung und Offenheit, das kann doch irgendwie nicht angehen ... dachten sich da jene, die eben diese Befriedung Pakistans für nicht so erwünschenswert hielten.
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Mittwoch, 18. April 2012
DIE BEDINGUNGSLOSE LIEBE
"Es hat angefangen ein neuer Akt der göttlichen Komödie, und sein Leitspruch lautet: Die Menschen wissen, daß sie im Himmel sind."
Die acht Weltsätze des Meisters Johannes Baader über die Ordnung der Menschheit im Himmel nebst Erklärungen desselben

Die Wolkendecke reißt auf, die Historie ab. Der Traum, ohne den die Wirklichkeit nicht existieren kann, wird neu geboren. Kann man aufstehen ohne gelegen zu sein? Ein Aufstand ohne Grundlage gegen etwas, das es nicht mehr gibt. Der Geistesblitz aus heiterem Himmel, ohne Wettervorwarnung, ohne historischen Bezug. Der Akt ohne Re, ohne Parkmöglichkeit, eine Einbahnstrasse mit Höchstgeschwindigkeit, das Vor ohne Zurück. Eine Knalltüte mit Überraschungseffekt, Phosphor, der zum ersten mal das Wasser gesehen hat, und die Lösung der Elemente. Der Orgasmus von Materie und Antimaterie. Der erste Urknall vor und nach einer Geschichte, in einem Jetzt, das wir bis dahin nie erleben durften. Wir waren der unerklärte Krieg der Gedanken, wir sind das Wilde im Dienste des wortlos Guten.

Der versteinerte David wurde mit seiner eigenen Zwille vom Podest des Stillstands und der Ewigkeit geholt; wir sehen ihn fallen und sich erheben wie ein stürmisches Meer aus Stein. Wir sind die Überholspur der Mitte ohne ein Links und Rechts, die Mittel- und Maßlosigkeit des Moments. Das nie Dagewesene und niemals Werdende, die Vorhut der Geburt. Wir sind die Unvollständigkeit und die Gesamtheit der Unvollkommenheit, das Gegengewicht zur Philosophie, auf daß diese weiter bestehen kann, das eine, das das andere fordert, der Traum ohne den die Wirklichkeit nicht bestehen könnte.

Warum füllen wir uns leer? Warum fühlen wir ein Faß ohne Boden? Warum hat unser Alphabet keine Buchstaben? Unsere Sätze des Inhalts beraubt hat das Wort keine Wert.
Weil wir auf das eine reduziert, das andere genommen. Warum sehen wir mit dem einen besser und schreiben alle mit rechts? Auf ein Rumpfdasein begrenzt, unter Beleerungen lastend, kaufen wir mit Geld, das es niemals gab, Dinge, die wir niemals besitzen werden.

Wir wollen heute sterben, nicht in einem unbekanntem Morgen. Denn jeder Tod ist ein Abschied und der Fruchtwasserabgang einer Geburt des Neuen.
Wir wollen den Frieden und den Krieg nicht der Gefühllosigkeit überlassen. Wir wollen leben und lieben.
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Ich bin zerschuettelt und zerrrührt ...
noch gefangen in einem Traum an einem Ort, deren Namen es nicht mehr gibt, einer Ort, der mit dem Ende des Traums auch seinen bereits vergessenen Namen verlor.

Wir kamen als Ausflugsgruppe an diesen Ort und wohnten als fremde Gäste in zerschlissenen Holzbaracken. Obwohl wir uns alle scheinbar kannten, war mir eigentlich nur ein Gesicht vertraut. Ich will sie zum Schutz der Persönlichkeit mal nach dem alten, ehemaligem Namen der Stadt benennen: Madame Flora. Sie war diejenige aus der Gruppe, die mit der Beschaffenheit der Schlafplätze am wenigsten zurecht kam. Selbst mein Bemühen ihr das beste aller Betten, bestehend aus bunt zusammengewürfelten Teilen von Federkernmatratzen, zu richten, ließ sie nachts kein Auge zumachen.

Anfangs noch ein wenig wie ein schlechter Urlaub, staunten wir über die wenigen Einwohner, deren Tag daraus bestand mit Bunt- und Filzstiften, so groß wie sie selbst, zu hantieren, bis diese jeden Abend fein säuberlich geschichtet zusammenlagen wie in einem Etui.

Doch schon bald wurden wir vom Gefängniswärter dieses Ortes, ehemals genannt Flora, in den örtlichen Knast umgesiedelt, bestehend aus aneinandergereihten Stockbetten im Freien.

Wir waren Gefangene und unsere Aufgabe bestand darin, Schwellen aus Bleistiften zu verlegen, je nach Bodenbeschaffenheit ein H für hart an weichen Stellen, ein B an harten, dazwischen ein HB. Weil es allerdings keine Gleise gab, mussten wir Bleistift an Bleistift legen, um den Anschein einer Trasse zu erwecken, für einen Zug, der niemals kommen würde. Immer in der Angst, Günther Grass könnte uns bombadieren.

Doch schon beim Herannahen der ersten Nacht, weigerte sich Madame Flora, für die ich mich mit meiner gesamten Existenz ob ihrer Schlaflosigkeit, und ich darf gestehen, auch aus tiefster Zuneigung verantwortlich fühlte, sich diesem Schicksaal zu beugen. Die letzten mir noch bekannten Umstände sind verworren und blass, denn im Zuge meines Versuchs, mit dem Gefängniswärter ein klärendes Gespräch zu führen, bekam ich einen Schlag auf den Hinterkopf und seitdem sitze ich nun hier, wach aber immer noch gefangen.

Was ist passiert, Madame Flora, in der Stadt der Stifte?
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Montag, 16. April 2012
Senegambia, Erdnüsse, britische Kolonialgrenzen und der Guinea-Wurm im Senegal
Die heimlichen Herrscher des Erdnussbeckens
Ich kann mich nicht entsinnen wirklich Erdnüsse gesehen zu haben, schließlich wachsen sie ja auch unterirdisch. Es scheint sich um ein ähnliches Prinzip zu handeln wie beim Kaffee in Guatemala, der im Land selbst eigentlich nur als dünne Brühe aus nicht-exportierten Restbohnen serviert wird. Dennoch ist Senegal einer der wichtigsten Produzenten von Erdnüssen.
Die Monokultur von Erdnüssen (weit über die Hälfte des Exports) macht das Land zu einem Importeur von Grundnahrungsmitteln wie Reis und Weizen.
Einer der Hauptprofiteure der verfehlten Agrarpolitik und des Niedergangs der Subsistenzwirtschaft ist Frankreich, das den Ausbau der Erdnussmonokultur vorantrieb und treibt, aber auch die sunnitischen Marabuts, die heimlichen Herrschern der Erdnüsse.

Selbst die zentralistische Regierung - nicht nur unter Abdoulaye Wade - ist aufs Engste mit den Entscheidungen der Sufibruderschaften verknüpt. "Ohne die Kalifen wäre Senegal nicht regierbar." Ihr politischer Einfluß reicht bis in die höchsten politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen, die sich vorwiegend an den persönlichen Interessen der Marabuts orientieren denn an denen der Bevölkerung.
Seit Cheikh Ahmadou Bamba 1883 die Sufi Bruderschaft in Touba gründetete wuchs das Dorf mit 3000 Einwohnern zur zweitgrößten Stadt Senegals und die Sufi-Bruderschaft neben der Präsidentenfamilie zur einflussreichsten Gruppe Senegals, um das Land sozusagen in einer Zangenbewegung plündern.

So bleibt gesichert, daß an Senegals postkolonialen Küsten nicht mehr Fische, sondern nur noch westliche Exportgüter anlanden, und ausschließlich die Erdnüsse das Land verlassen.

Und wir wissen inzwischen, wie wichtig für uns die Preisstabilität im Supermarktregal ist und wie wichtig die Preisspirale für unseren Lieferanten. Wer möchte schon mehr als 99 Cent für eine Packung Erdnüsse bezahlen oder für tiefgerorenen Fisch von den Küsten Senegals?


Eintauchen in den "stinking fever-belt of Gambia" T.C.Boyles
Mit unserer Abreise aus Dakar Richtung Gambia verlassen wir die Küste im doppelten Sinne, da sich hier auch die Südgrenze der Sahelzone befindet, das "südliche Ufer der Sahara".

Ähnlich dem Guinea- oder auch Medinawurm zieht sich das englischsprachige Gambia von der Küste mitten durch den Senegal und teilt den Norden von der rebellischen Casamance im Süden. Die Volksgruppe der islamischen Wolof im Norden, die nach Unabhängigkeit sinnenden, christlich geprägten Diola im Süden - was die Problemlage etwas verkürzt und verfälscht (siehe amnesty-Bericht von 1998 und den aktuellen amnesty-Bericht 2011).
Die berüchtigte Art der Briten, durch die Ziehung fataler Landesgrenzen ihre ehemaligen Kolonien, nicht nur in Britisch-Westafrika, in fragile Staatsgebilde zu verwandeln, tritt hier deutlich zu Tage. Die Grenze erstreckt sich entlang des Flusses Gambia; links und rechts mit der Reichweite einer Kanonenkugel - wobei die Windverhältnisse die Flugweite an manchen Stellen beeinflußt zu haben scheinen.
Versuche die Problemlage zu entschärfen, wie die Schaffung einer Konföderation Senegambia, wurden konterkariert und waren nicht von langer Dauer. Bis und vor allem heute hat die Destabilisierung Westafrikas einen entscheidenden Einfluß auf die dadurch nicht unbedingt einfachere, so doch billigere Ausbeutung der Rohstoffe und den Drogenhandel, dem wir uns im nächsten Abschnitt der Afrikareise mit Hingabe widmen möchten.
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