Die weißen Götter wollen nicht weichen


Bis zur Entdeckung des Chinin als Malariaprophylaxe war zumindest das Hinterland Afrikas relativ sicher vor den todbringenden, bleichgesichtigen Kolonialherren, die so bis circa 1850 wie ein Schimmelpilz nur an den Rändern des Kontinents ihre Ideen von Zivilisation zur Geltung bringen konnten. Bis 1900 schießlich ist der Kontinent durchsetzt von und aufgeteilt zwischen den europäischen Kolonialstaaten. Der Kongo wird persönlicher Besitz des belgischen Königs Leopold II.

Der Export von Sklaven ist weniger wegen seiner moralischen Komponente verpönt, sondern vorwiegend, weil diese nun in Afrika selbst benötigt werden, um Elfenbein, Kautschuk etc zu extrahieren - selbstverständlich weiterhin als Sklaven. Die überschüssigen Massen dieser "schwarzen Bestien" werden in wahren Blutorgien hingemetzelt. Ach, was nervt mich mein sachliches Geschwafel. Ein Blutrausch war das, was Europa da veranstaltet hat.

Daß die Blumenbeeteinfriedung von Herrn Marlow aus Joseph Conrads "Herz der Finsternis" aus den Totenköpfen der Abgemetzelten bestand, ist im Grunde ein Euphemismus - wer, dieser Opfer der aufgeklärten Zivilisationen, wäre nicht froh, wenigstens im Tode für etwas gut zu sein.

Geschichtlich verklärt begreifen wir die Expedition des Kapitän Voulet (siehe "The Killer Trail") als einen von uns abgetrennten Teil der Vergangenheit. Mit uns hat das nichts zu tun, wenngleich wir die hübschen Kolonialbauten unserer Hauptstädte auch gerne mal im Vorbeigehen bewundern, mit der Eiswaffel in der Hand.
"Klobb stieß auf Männer, die lebendig aufgehängt worden waren - niedrig genug, daß die Hyänen ihre Füße fressen konnte, während der Rest ihrer Körper für die Gier blieb." (Sven Lindqvist: "Durch das Herz der Finsternis"; S.240). Klobb der Gute, der Voulet des Kommandos entheben sollte, weil dessen Schlächtereien durch eine Art koloniales Wikileaks bis in die Sonntagszeitungen des Good Old Europe vorgedrungen waren.
"Am 13.Juli hatte Voulet einhundertfünfzig Frauen und Kinder hinrichten lassen ..." (S.242) Am 14.Juli ließ Voulet Klobb erschießen. ("Riding the Demon: On the Road in West Africa").
"Ich bin ab sofort kein Franzose mehr. Ich bin ein schwarzer Häuptling, sagte Voulet." (S.243) Und irgendwie muss man zwangsläufig an Kurtz denken - aber nicht jenen aus dem "Herz der Finsternis", sondern an sein Remake aus "Apocalypse Now".

Alles Filme, alles Bücher, alles Fetzen aus einem Geschichtsbuch. Nicht Teil unserer moralischen Fundamente, die den Westen heute zum Verteidiger der Demokratie und der Menschrechte machen. Auch kein Bezug zum Holocaust (siehe Historikerstreit), den Hitler mit ein paar Henkersknechten gepachtet hat.

Da mag die Bevölkerung des Kongo unter der Herrschaft König Leopolds II. um rund die Hälfte reduziert worden sein und einem großem Restanteil die Hand abgehackt (siehe Kongogräuel) ... mit uns hat das nichts zu tun. Und wir können auch nicht verstehen, warum sie jetzt plötzlich Geschäfte mit China machen. "Diesen Verachtern der Menschenrechte!"

Die freundliche Deutung dieser westlichen Sicht der Dinge ist, daß, was auch Voulet schließlich vorgeworfen wurde, uns einfach die Hitze zu Kopf gestiegen ist und wir komplett die Realität aus den Augen verloren haben. Eine andere Sicht wäre, daß wir im Laufe der Zivilisationsgeschichte so scheinheilige wie bleichgesichtige Monster geworden sind und uns die Leichenberge bei weitem noch zu niedrig sind. Daß wir im Endeffekt die Eliminierung von allem und jedem herbeisehnen, was wir nicht als unser Eigen sehen. Unser Motto hat sich zumindest in den letzten hundert Jahren in keiner Weise geändert. Wie Sven Lindqvist in seinem Buch zu Recht feststellt. Wir alle heißen Kurtz. "Exterminate all the brutes!"


jean stubenzweig am 10.Mai 12  |  Permalink
Ist es nicht so,
daß Geschichte kaum jemanden interessiert? Geschichte, aus der zu lernen wäre? Mir wurde mehr als dreimal gesagt, das sei doch langweiliger Kram.

Das wird's auch sein, was die Leutchens derart unempfindsam oder unempfindlich macht gegenüber den alltäglichen Geschehnissen in der weiten, nicht nur www.Welt. Ich beispielsweise möchte kein Urteil zu Frau Timoschenko abgeben, bevor ich nicht wirklich weiß, daß sie selbst keinen (Volks-)Schaden angerichet hat in der Ukraine. Denn die hat schließlich eine eigene Geschichte.

Wie das belgische Königshaus. Als in den Neunzigern ein Maler gezielt darauf aufmerksam machte, wandt sich das Auditorium von ihm ab und sprach über den (steigenden) Wert seiner Gemälde.

einemaria am 11.Mai 12  |  Permalink
Davon abgesehen,
daß die Geschichte eigentlich die besten Geschichten schreibt, wie Berichte aus der Zeit der Pornokratie oder dem Alltagsleben im alten Griechenland, ist es genau wie Sie sagen. Und ich denke mir selbst beim Schreiben "Das ließt doch kein Arsch. Und wenn, wird der Leser sich nicht nochmal auf diese Seite verirren."

So what. Wer schreibt, um nur gefallen zu wollen, der hat damit wohl ein Problem, doch wer es nebenher auch noch tut, weil es Lust und Laune macht, die gelesene Geschichte in eigenen Worte zu formen, den freut es dann um so mehr, wenn er, wie in dem Fall ich, Ihren Kommentar lesen darf und weiß, da war jemand, und hat das gelesen, was mir gefällt.

Meine 100jährige Großmutter sagt, daß man in ihrem Alter nicht mehr in der Heier liegt und übers Sterben nachdenkt, sondern darüber, ob man mit sich selbst im Reinen ist. Und das hab ich mir zu Herzen genommen. Mit ist es ein tiefes Anliegen, auszudrücken, was mir gerade so in der Birne herumschwirrt.

Die lustigen Reisebericht haben ein viel größeres Publikum, sind aber eben nur ein Teil von mir ... und gut lustig ist eben nur die Spitze eines Eisbergs, darunter liegt das Interesse an Hintergründigem.

Timoschenko, guter Einwurf. Der von einem Giftanschlag entstellte Ehemann hat nie so recht das Interesse unserer gutmenschlichen Politiker erregt. Und von der Regierungszeit von Frau Timoschenko sind mir nun auch keine Heldentaten bekannt. Wie es dem ukrainischem Volk geht interessiert im Grunde noch viel herzlich weniger. Ich würde meinen Arsch drauf verwetten, daß es tiefgreifende wirtschaftlich, finanzielle Gründe für die plötzliche Liebe des Westens zur ukrainischen Demokratie gibt. Im billigsten Fall will Deutschland einfach die Fußball-Europameisterschaft. Noch viel schlimmer verhält es sich mit dem belgischem Königshaus, jenen größeren Drahtziehern der Ausbeutung der Massen - damals wie heute. In einem Land, das so ausgezeichnete Pralinen macht, würde ich es eine Klabausterbeeren-Monarchie ohne Skrupel und Moral nennen. Ekelhaft wie die Dutroux-Affäre das Ganze.

Danke für Ihren Einwurf.

einemaria am 11.Mai 12  |  Permalink
PS:
Die Geschichte von der Geschichte Afrikas ist aber noch nicht fertig erzählt. Worauf es hinauslaufen wird ist, wie Lindqvist uns schreibt, daß der Holocaust eben nur eines der vielen sehr ähnlichen Gesichter der westlichen Zivilisation ist. Daß China im historischem Bezug eigentlich menschenrechtlich um einiges besser dasteht und das Gezeter, selbst der niedrigsten Schichten, Europas bezüglich Chinas eine Art von Verblendung ist, die es uns erlaubt, die Ausbeutung und -rottung weiter und weiter zu betreiben. Hauptsache die Schuhe und der technische Schnickschnack sind schön billig. Sich absichtlich blöd zu stellen, darin werden wir auch weiterhin Weltmeister bleiben, und genau das ist auch unser Niveau.

jean stubenzweig am 11.Mai 12  |  Permalink
Die Langeweile
dürfte doch bei Ihnen, bei mir und genauso bei anderen aufkommen, immer das zu lesen, das sogenannt alle lesen. Ich fühle mich dabei in diese neuere Art von Kabarett versetzt, diesen Zwitter zwischen Schichtl und nicht minder schaustellererischer Promibankhockerei, bei der die Leutchens immerfort gickern oder gar schallend laut an Stellen lachen, das mir nicht einmal ein müdes Grinsen abverlangt. Mir fällt dabei jedesmal der Kommentar eines Kollegen ein, als ich mich vor Jahrzehnten über den Andrang der besseren Gesellschaft auf den Grünen Hügel wunderte, auf dem diese eine mehr als dürftige Inszenierung rasend beklatschte. Er meinte, sie hätten viel Geld ausgegeben für diese Veranstaltung, seien also gezwungen, glücklich zu sein über ihre Anwesenheit, sie applaudierten sich selbst. Die Darbietungen sind nach meiner Perspektive oft (auch) deshalb so anpasserisch dünn, weil das Publikum immer weniger Hintergründe kennt, aus denen heraus, würde es sich mehr allgemein bilden, köstliche Miniaturen gestalten ließen: kleine, zurückgenommene, neudeutsch, ursprünglich aus der (bildenden) Kunst geboren, minimalistische Wortfiguren, die der Phantasie der Erinnerung von einstmals intellektuell Verarbeitetem aufhälfen oder gar weiterführten. Da es diese jedoch in der Regel nicht gibt, man also nicht nur eine, sondern die Geschichte nicht kennt, muß ein dünnes Brettchen die Bühne bohren, das kein weiteres (Nach-)Denken erfordert. Dann haben wir das Volkstheater, das keinen Deut besser ist als das vom Chiem- oder Tegernsee, über das die Nase gerümpft wird, das jedoch viele Politiker sich wünschen in dieser lieblichen Bildungslandschaft, in der kaum jemand den Mehrwert sehen möchte, um den als verborgenen Kernpunkt sie hin-, nein, drumherumgestaltet ist wie das Norwegen von Slartbartfast, in der nach Möglichkeit jedwede Energiebelastung ausgeschlossen sein möchte, die nicht der Wirtschaftskraft dient. Die heute so schlicht auf den Idiot reduzierte Privatperson, die jungdynamische Neupolitiker auch noch abgeschafft haben wollen und das dann aus ihrer Bachelor-Bildung heraus auch noch unter direkte Demokratie firmieren lassen, nähert sich unaufhaltsam dem, nein, nicht dem Mittelalter, in dem das Volk einfache Bildchen kuckte, weil es nicht lesen konnte, sondern eben der Antike, in der das Volk nunmal wirklich nichts zu sagen, geschweige denn zu lesen hatte. Vielleicht will die obere Kaste Europas, der «gebildeten» alten Welt ja deshalb Griechenland retten, um endlich den Urzustand wieder herzustellen. Man stelle sich vor, ein Kabarettist oder, die Damen erobern auch hier zunehmend die dünnen Bretter, eine Kabarettistin machte eine intelligent-witzige Andeutung über König Leopolds rasende Ritte durch den eigenen Vorgarten der mehrfachen Größe seines Landes, nicht eben wenige dürften das für eine komische, eigentlich seltsam meinende, vielleicht die Werbung karikierende Einblendung halten, über deren Inhalt sie sich zwar nicht im klaren sind, über die sie aber dennoch laut lachen würden, weil sie schließlich nicht ausgesperrt sein wollen aus der Unterhaltung.

Ich führe das besser auf meiner Seite fort, denn es dürfte mal wieder ausufern. Allerdings dürfte eine solche Thematik auch bei mir kaum gößeres Interesse wecken.