Der Tod ist eine Endung - Kapitel 1 Absatz 5
Ich höre den Motor laufen, als ich zu mir komme und das Blut mir aus der Nase auf die Stirn tropft. Vincenzo hängt seltsam verdreht im Gurt. Die Blutmasse in seinem Gesicht ist, so weit ich das in der Dunkelheit erkennen kann, schon leicht krustig. Ich versuche die Wagenbeleuchtung anzuschalten, doch offensichtlich hat es die Elektrik erschwischt, denn der Schalter ist funktionslos. Als die ersten Gedanken aus der Bewußtlosigkeit zurückkehren, nimmt die Geschichte Gestalt an.
Ich sehe die revolutionär aerodynamische Limousine der NSU rechts an uns vorbeiziehen. Doch anstatt das Rennen einfach gewinnen zu wollen, zieht der Fahrer mit dem breiig-weißem Gesicht plötzlich nach links, um unseren Karren in den Dreck zu drängen. Bei unserem Geschäft ist der olympische Gedanke, einfach dabei zu sein, eher nachrangig. Man fährt, läuft und tötet lieber alleine - ohne Konkurrenz. Mir dämmert zudem, gehört zu haben, daß man in Träumen nicht in der Lage ist Lichtschalter zu betätigen, als sich langsam ein naßkalter Tropfen von meiner Stirn löst, um mit einer kleinen elektrischen Ladung auf meinem Kinn zu landen.

Ich schrecke auf und sehe, in meinem verschwitztem Hemd fröstelnd, Vincenzo mit einem Lächeln auf dem Gesicht in die pannonische Nacht hineinsteuern. Diesmal ist es nicht die NSU, die uns rechts überholt, sondern wir ziehen an den letzten Ausläufern des Straßenstrichs von Codroipo vorbei. Blondierte, osteuropäische Frauen in Kleidern, die sich selbst noch an Enver Hoxhas und Ceausescus Zeiten erinnern.

Was wäre das für eine Welt mit einem Italien, das nur aus Essen und einem Stiefel voll Geschichte bestünde, ein Italien, in dem Rom während der Völkerwanderung ausgestorben wäre und die päpstlichen Sittenstrolche endgültig nach Byzanz übergewechselt hätten ... was hätte uns das alles erspart, uns, den Italienern und der ganzen Welt.

Ich könnte nicht im Petersdom stehen, mit einem gewaltigem Ständer in der Hose, und mir vor Augen führen, wie sich die jugendliche Marozia von Papst Sergius III. über den Altar vögeln ließ, wie sich, jetzt ohne Ständer, drei Huren während der pornokratischen Phase mit Mord, Tücke und Inzest den Vatikan unter den Nagel rissen.
Was müßten wir noch aus den Geschichtsbüchern streichen? Den Faschismus der Rutenbündel, jenen futuristischen Motor von Menschenverachtung, die internationale Mafia und somit vielleicht auch den Aufstieg der USA zur Weltmacht. Es hätte keine Kommunisten gegeben, die es beinahe ins römische Parlament geschafft hätten. Die südamerikanischen Diktaturen mit Pinochet, Hugo Banzer und den 30.000 Verschwundenen in Argentinien hätten sich ohne Italien für eine vorwiegend anglizistische Version der Operation Condor entscheiden müssen. So deutsch-amerikansich Klaus Barbie alias Altmann auch sein mochte, geliefert hat ihn, wie auch Mengele, Eichmann bis hin zu jenem blutbesudeltem kroatischem Bollwerk gegen den andersgläubigen Osten, vertreten durch Ante Pavelic, letztendlich der Rattenspieler von Rom,der Vatikan, über die Klosterroute.

Ich würde nicht hier neben Vincenzo sitzen, den ich nie kennengelernt hätte, und wäre entweder arbeitslos oder Sachbearbeiter bei einer deutschen Behörde - dann lieber arbeitslos.
Nun hat sich aber die Geschichte für diesen Weg entschieden und wir uns für den Weg in jenes Norditalien, das sich gerne als das fleissige Italien darstellt. Einem Landstrich der Kleinbetriebe, die selbst vorgeben, zumindest meistens ihre Steuern zu zahlen. Das Land der Polentoni, der Guten, weil sich das Schlechte eben immer im Süden verwurzelt. Der Po als magische Grenze, die die Mafia nicht zu überwinden in der Lage ist.

Ein wenig in den historischen Hintergrund gedrängt werden hierbei jene Tatsachen, die mich und Vincenzo genau hierher führen. Seine ehemaligen Kollegen von der Avanguardia Nazionale, dem schon seit so vielen Dekaden bestehendem Private Public Partnership zwischen staatlichen Geheimdiensten und effektiven Privatinitiativen, den Schnittstellen, an denen sich das Private und das Öffentliche die Hände reichen. Man hilft sich.
Seien es Aktionen wie das Attentat von Gioia Tauro oder der Anschlag auf den Bahnhof von Bologna, oder Geschäfte wie sie von der milanesischen Firma Stipam International Transports in einem Umfang durchgeführt wurden, zu dem eine parlamentarisch überwachte Staatsform nicht in der Lage wäre. Für solche und andere Altruismen benötigt es besser organisierte Gesellschaftsformen wie die vom norditalienischem Matratzenfabrikant geleitete Loge P2.
Wo sonst könnten wir die Fragen stellen, die uns beschäftigen. Ohne uns in den letzten Tagen darüber unterhalten zu haben, ist uns klar: durch diese hohle Gasse an den Südausläufern der Alpen muß sie gekommen sein, die dirty bomb, die uns nun soviel Kopfzerbrechen bereitet.

Vincenzo drückt dreimal auf die Hupe, als wir in den schmalen Forstweg einbiegen. Der ewige Fahrt hängt mir in den Knochen, aber wie man so schön sagt, viel hilft viel.


lalol am 14.Aug 12  |  Permalink
Margot et son Escargot
Nein, nein , nein, - wie gemein.
Wissen Sie, was „a Mogngratzerl“ is?
Der erste Absatz in Ihrem fünften Absatz.
Beim Lesen der ersten Worte, öffne ich in Gedanken einen gut gekühlten, fruchtig, leichten Weißwein. Dazu werde ich ein frisches halbes dutzend Austern schlürfen.
Etwas köstlich, euphorisierendes zu köstlich, schaurigen Zeilen.
Beschäftigt, mit Weiterlesen, entgeht mir „an escargot“ auf meinem Teller. Gedankenverloren, schiebe ich das Teilchen in den Mund.
Grusel und Schauer der anderen Art.
Es schüttelt mich, das Stück Masse in meiner Wange wird immer fülliger, es ist mir unmöglich, sie im Mund zu bewegen, geschweige denn zu schlucken.
Keine Serviette zum Entsorgen, ich kann nur noch gestikulieren, der Mund ist vollgestopft.
So bleibt nichts anderes, als Ihnen die eingespeichelte Meeresschnecke vor die Füße zu spucken – sorry!
Ich Kostverächter!
Gerne würde ich mit Ihnen, der Mutter des Hi(cks)landers, und Ihren Anhängern das Tischgebet sprechen.
Wieso kann ich nicht Johannes an Ihrer Tafel sein?
Oh Gott, warum bürgst du mir den Judas auf?

einemaria am 15.Aug 12  |  Permalink
Besser vor die Füsse spucken als auf die Füsse treten. Das geht schon in Ordnung. Aber das mit dem Judas ;( ... never fuck with the Jesus.

lalol am 15.Aug 12  |  Permalink
never ever ;)

lalol am 05.Apr 21  |  Permalink
Frohe Ostern in diesen stürmischen Zeiten
Weiß nicht, wieso ich damals so kritisch war.
Vielen Dank für Kapitel 1 Absatz 5.

einemaria am 05.Apr 21  |  Permalink
literarisch wertvoller Beitrag - wie immer bei Ihnen. Auf die Vorzeichen achte ich im Allgemeinen nicht so. Danke. Ihnen auch eine frohe Wiederauferstehung und viel gesundes im Nestchen. Nicht so Schokoladeneier von Elly Seidl, sondern Hochgeistiges, Nusssschnaps ohne viel aussen rum.

lalol am 07.Apr 21  |  Permalink
Während ich mir Ihre Zeilen zu Gemüte führ,
raten Sie was ist dabei?
Natürlich, das Elly Seidl Schokoei,
im knisternden Zellophanpapier.

Und wenn es aufgeschlabbert
wird wieder Gemüse geknabbert ;-)