Es gibt nicht mehr genügend Raum. Wir sind eine bewegte Gesellschaft und da gibt es keinen Platz für Rumstehen. Ich will es mal ganz deutlich sagen: Wir benötigen verschiedene Fahrspuren für verschiedene Leben. Oder noch deutlicher:
Schon Minuten vor Ankunft an meinem Heimatbahnhof bewegen sich ganze Horden von Rentnern, Rollkoffern, Invaliden, Kinderwägen und ganz allgemein Leuten die eigentlich Zeit haben, zu den ersten Türen des Nahverkehrsmittels - scheinbar aus Angst, den Exit nicht zu erwischen. Oder - wie ich vermute - aus Boshaftigkeit. Bei SeniorInnen ist das ja bekannt, aber auch bei Kinderwägen?
Vom gegenüberliegenden Bahnsteig muss es herrliches Schauspiel sein, wenn sich die Türen öffnen wie beim Theater und sich die komplette Palette an möglichen Gehbehinderungsarten in Zeitlupe zur einzigen Treppe bewegt - daß es die Einzige ist, scheinen allerdings alle instintiv zu wissen.
Einige flinke Lichtgestalten können sich vorneweg retten, ehe sich die Masse kurz vor der Treppe anstaut und nun hunderte von Augen stumm und starr Zeugen ganz rührseliger Szenen werden. Die gehbehinderten Leithammel meiner Heimatgemeinde helfen sich gegenseitig die steile Flucht hinab. Kinderwägen werden getragen, als ginge es ums Barrikaden oder Straßensperrung. Selbst sportlich wirkende Anführer dieser Stampede an Lähmung verfallen in tiefgreifende Gespräche und scheuen sich nicht zurückzublicken, ob alle noch da wären.
Ja, ich bin noch da. Und ich kann die Muskeldystrophie spüren, während ich in dieser zähen Masse gefangen bin, den Knochenverfall. Ein fliesender Übergang zwischen Gehen und Vergehen. Mein Gestänge blockiert.
Viele Rollkoffer-User erkunden am Treppenabgang zum ersten mal wie ihr Koffer überhaupt funktioniert - ist ja auch die Flughafenlinie. Verstehen sich mich nicht falsch ich bin kein Deutscher, aber wenn ich die Deutschen für etwas bewundere, dann für "Rechts stehen, links gehen" und die Höflichkeit, Menschen erst aussteigen zu lassen, bevor man sich im Nahkampf auf die freien Sitze stürzt. Bei Treppen würde ich sagen: vorne links schnell, hinten rechts langsam ... oder garnicht.
Die deutsche Höflichkeit schien für mich immer gepaart mit dem Sinn für die Sinnigkeit von Ordnung. Ich glaube allerdings nicht, daß das verloren gegangen ist. Ich vermute, daß diese Höflichkeit und Ordnung gezielt untergraben wird. Ich vermute, daß der soziale Friede ein By-product, ein Abfallprodukt des kalten Krieges war, und daß sich das nun ändert ... also garnicht. Tötet den öffentlichen Verkehr.
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Ich vermute, daß ich keine eigene Fahrspur, oder wenigstens eine Fahrrinne bekomme. Für mich als Spitzmaus ist das besonders schlimm. Zu Raum und Zeit ... ein Livebericht von der harten-front-linie:
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