Mittwoch, 6. Juni 2012
Der Geruch des Niger - von Segou nach Mopti
Daß sich in den letzten 20 Jahren nicht viel getan hat, zeigt der olfaktorische Eindruck von Achill Moser, den es damals in die gleiche, von mir in "Bamako Blues I" beschriebene Herberge verschlagen hat. "Nur mit Mühe und Not konnten wir im Hotel 'Majestic' Unterschlupf finden, wo ein schlimmer Modergeruch herrschte. Es stank nach Schweiß und Küche, nach dem Atem der Menschen und nach Abfall. Überall hatte sich dieser faulige Geruch festgesetzt, in jeder Ecke, unter der Treppe, hinter den Schränken und unter dem Fußboden."
(Achill Moser in "Nil und Niger - Abenteuerliche Flußfahrten durch Afrika", 1989, S.75)



Meine Nerven entkrampfen sich, als wir Bamako verlassen.
Heraus aus dem ölig-schwarzem Stadtschlamm in den trockenen Lehm, raus aus dem in Smog getauchtem Niedergang - wobei Städte für mich ganz allgemein eine moralische Abwertung darstellen.
Ein Dorf mag zumeist noch viel ärmer sein; seine Lehmhütten wirken ohne Kontrast dennoch nicht wie ein Slum.
Mag dieser Eindruck noch so falsch sein, mir tut's gut.
Auf nach Segou
um wie Mungo Parks endlich einzuschiffen, der unendlichen Wassermusik zu lauschen - die nun an Bord nicht mehr so "malienne" klingt, sondern stark nach DJ Arafat von der Elfenbeinküste. Keine Kora mehr und kein Balofon, sondern aussagekräftige Wummerboxen.
und das Land in einer gewissen Entfernung an sich vorbeischaukeln zu sehen. Und wir haben Glück, daß auch das Schiff
zum gleichen Zeitpunkt auftaucht wie wir, dorthin will, wohin wir wollen, und sich auch noch Tickets ergattern lassen.
Die Plastikschüsseln und Nylonsäcke weggedacht, wähne ich mich im 19.Jahrhundert, während das Schiff den ganzen Tag über beladen wird.
Ich halluziniere eine steifes Englisch aus der Nachbarkabine. Mungo? Nicht die Bohne. Es sind die sprechenden Insekten, die uns auf unserer Fahrt begleiten, und derentwegen man nachts lieber nicht noch ein Buch im Schein der Lampe ließt.
Nachdem wir überraschenderweise nicht von Wilden mit Pfeil und Bogen beschossen und nicht von räuberischen Kanuten geentert werden, genießt der Uferrand unsere volle Aufmerksamkeit.
Der Uferstreifen wirkt wie ein Bilderrahmen und läßt die afrikanische Weite nochmals expandieren. Das auf Lehmschichten ruhende Grün der Steppe läßt uns vergessen, daß wir eigentlich durch das von Dürre heimgesuchte Sahel treiben.
Erst als ich den aufgedunsenen Kadaver einer verhungerten Kuh seitschiffs entdecke, fällt mir wieder ein, daß nicht nur Menschen hier reihenweise verhungern - eine Dürrezone direkt am Wasser, wie seltsam.
Vermutlich verhungern sie aber nicht freiwillig. Bei uns an Bord gäbe es ausreichend zu essen.
In der Trockensteppe vor einem endlosem Resservoir aus Wasser zu stehen und dann zu verhungern - irgendwie bizarr.

Daß Afrika auch schon vor der Ankunft der ersten Weißen ganz gut zu helfen wußte und der Kulturimport Europas vorwiegend aus billigen Glasperlen und Waffen, um sich gegenseitig abzuschlachten, bestand, zeigen die mehrstöckigen Lehmbauten, die sich in das Landschaftsbild einpassen wie Termitenhügel.
In der zweiten Nacht wirft mich ein Ruckeln fast aus der Koje. Der Schiffsmotor heult auf als hätte er einen Alptraum. Im Flutlicht des Beiboots sehen wir, daß wir uns eigentlich schon an Land befinden. Von der Schiffsschraube aufgewühlt wirbelt hellbraunes Wasser auf aus der Ritze zwischen Ufer und Bordwand. Wir stecken so gut wie fest. Unser Boot wird zum Amphibienfahrzeug und wandert zentimeterweise vorwärts. Wir graben uns stundenlang den Niger abwärts. Jetzt leuchtet auch ein, warum sich ein Zeitplan für dieses Schiff nicht wirklich lohnt. Der afrikanische Zeitbegriff ist nach meinem Empfinden viel bodenständiger als der eines heimatlichen Busfahrplans. Wenn man ankommt, ist man da.
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