Dienstag, 7. Juni 2011
Endstation Kaufbahnhof

.
An welcher Realität hält sie denn fest, die sogenannte Gesellschaft - die gute wie die schlechte. Wie ein Affe am Seil hangelt sie über dem Nichts von Statistik zu Statistik, von Bezugspunkt zu Bezugspunkt, gleitet durch den Tag wie ein Aktienchart mit Schlußkurs zum Börsenende. Wie mit Bambus und Kabelbinder rüsten wir unseren Realitätssinn ein mit Tabellen und Theorien. Warum habe ich den kältesten Winter seit 40 Jahren wohl schon mehrmals erlebt?

Über Jahrtausende benzen Philosophen an die Gesellschaft hin, daß wir doch eigentlich garnix wüssten. Dem stellt sich aus der Beschränktheit der menschlichen Erkenntnis die Religion und (Hilfs-)Wissenschaft Scienzia die längste Zeit entgegen, bis letztere selbst seit rund hundert Jahren auf den Kurs der Bewußtlosigkeit einschwenkt, daß wir nämlich wirklich überhaupt nichts wüßten ... zumindest nicht so genau und wenn bliebe es uns verborgen.

Wir aber wurschteln mit Sicherheitseinstufungen, Plaketten und Ernährungshinweisen, als ob wir die Weisheit mit Löffeln gefressen hätten. Wir verlieren unsere letzten Dioptrin bei der Entzifferung der Zusatzstoffe, wohlwissend daß wir den Rest lieber nicht wissen wollen. Wir sind die universellen Meister im Selbstüberlisten. Unsere Lernfähigkeit muss im Alter nicht degenerieren, unsere Lernwilligkeit tut es offensichtlich. Pragmatisch ja, aber dumpf und unüberlegt. Ohne unseren Wissensvorteil zu nutzen, ergeben wir uns der eigenen Fata Morgana und sperren uns in unser eigenes Gefängnis. .

.
In beiden Fällen laufen wir blind durch den Wald, doch im Falle der Wissenschaft stopfen wir uns noch Ohropax in den Gehörgang.

Warum sprechen wir davon, daß wir so vieles nicht ändern könnten, wo wir eigentlich wissen, daß wir das garnicht beurteilen können? Weil wir gerne blind bleiben wollen. Endstation Kaufbahnhof. Weil es eben bequem ist zwischen Sportschau und Tatort.

Um der Aufklärung nachträglich Sinn einzubleuen und auch einem Herrn Ohnesorg nicht ohne Ehr dahinwesen zu lassen, geziemt es sich immer wieder mal an der milchglasigen Schale zu klopfen. Immer wieder mal den Hoffnungsschimmer gedeihen lassen, daß sie bricht.

Versammelt in der enggewordenen Fruchtblase des Kapitalismus geht es zu wie in einem Sack Hackfleisch. Doch wenn die Schale bricht, stößt der MutBurger die Semmelhälfte auf und erblickt das Licht, die Liberte, die gurgenfreie Zeit. Und jedesmal wenn es besonders weh tut, denk ich mir: Endlich die Wehen! Finalmente.
.
 651 klicks
Die Bank bin ich
Jedes Staubkörnchen ist ortbar, jeder Herzschlag einer Krankenversicherungsnummer zuordenbar. Personenkennung wohin man geht, woher man kommt. Kein anonymer Kauf von Sim-Karten, kein anonymes Internet. Die bargeldlose Feinmechanik der Datenbeschaffung. Und wer sich windet, dem wird der Zensus ins Haus geschickt wie Knecht Ruprecht.

Aber wo so mancher Burger sein Hab und Gut versteckt, ist nicht rauszukriegen. Wer am 11.September Millionen gegen amerikanische Fluggesellschaften gewettet hat, ist trotz Clearstream nicht zu ermitteln. Und welche Gelder ein deutscher Minister versteuert, muss erst auf CD gebrannt werden, ehe es ans Licht gerät. Die letzten Geister und Geheimnisse scheinen in der Finanzwelt zu existieren.

So gespenstisch geht es auf den Cayman Inseln dann doch nicht zu, auf denen vorwiegend keine caymanischen Banken tätig sind. Es sind einige private, aber auch ganz dicke Internationale "too big to fail". In unserem Fall die Deutsche Bank, die mit Filialen in fast allen Steuerparadiesen vertreten ist, in manchen mehrfach.

Sagen wir mal, ich wäre die Bank von hartelinieLand. Jeder Burger vertraut mir 10 Euro an, macht rund 800 Millionen Euro in meinem Safe, Eigenkapital. 10 mal soviel darf ich als Bank nun verleihen, macht 8000 Millionen.
Und wer will die? Zum einen der deutsche Staat, um seine Verschuldung weiter voranzutreiben - derzeit fast 1800 Milliarden

- bei gleichzeitigen Ausverkauf des Staatseigentums. Und das gibt es nun billig für jene, an die ich die restlichen Milliarden verleihe. Gut 7000 Millionen aus dem Hut gezaubert und zinsreich verliehen. An meine ursprünglichen Sparer gehen jährlich gerade mal vielleicht 15 Millionen an Zinsen, was sie im Namen des Staates zigfach als Zinsen an mich zurückzahlen.
Bei 7 Milliarden läge die Rückzahlung vielleicht bei einer Milliarde, minus 15 Millionen, macht 985 Millionen Reingewinn für mich - bezahlt vom Burger. Für das leisten Banken sich einen Staat. Daß wir ihn bezahlen, soll uns vermutlich das Gefühl vermitteln, daß es unser Staat wäre.

So wächst mein Geldsäckle schneller als das von Onkel Dagobert. Und nach mehreren Jahrzehnten gehört mir der Staat. Da stellt sich nicht mehr die Frage, wer hier wen reguliert. Und weil wir es uns nun auch noch leisten, das deutsche Liebespärchen Banken und Wirtschaft im Ausland unter militärischem Begleitschutz spazieren zu lassen, so wird das richtig teuer. Das werden wir mit einer gekürzten Heizkostenpauschale für Sozialhilfeempfänger nicht stemmen können.

Ich bin mein eigener IWF, ich bin die Bank. Le Banque am I. Parkbank, unverrückbar, keine Schraube locker. Denn Sie müssen ihr Geld nicht selbst ausgeben. Das tun andere für Sie. Wer trägt das Risiko?
 595 klicks