Endstation Kaufbahnhof

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An welcher Realität hält sie denn fest, die sogenannte Gesellschaft - die gute wie die schlechte. Wie ein Affe am Seil hangelt sie über dem Nichts von Statistik zu Statistik, von Bezugspunkt zu Bezugspunkt, gleitet durch den Tag wie ein Aktienchart mit Schlußkurs zum Börsenende. Wie mit Bambus und Kabelbinder rüsten wir unseren Realitätssinn ein mit Tabellen und Theorien. Warum habe ich den kältesten Winter seit 40 Jahren wohl schon mehrmals erlebt?

Über Jahrtausende benzen Philosophen an die Gesellschaft hin, daß wir doch eigentlich garnix wüssten. Dem stellt sich aus der Beschränktheit der menschlichen Erkenntnis die Religion und (Hilfs-)Wissenschaft Scienzia die längste Zeit entgegen, bis letztere selbst seit rund hundert Jahren auf den Kurs der Bewußtlosigkeit einschwenkt, daß wir nämlich wirklich überhaupt nichts wüßten ... zumindest nicht so genau und wenn bliebe es uns verborgen.

Wir aber wurschteln mit Sicherheitseinstufungen, Plaketten und Ernährungshinweisen, als ob wir die Weisheit mit Löffeln gefressen hätten. Wir verlieren unsere letzten Dioptrin bei der Entzifferung der Zusatzstoffe, wohlwissend daß wir den Rest lieber nicht wissen wollen. Wir sind die universellen Meister im Selbstüberlisten. Unsere Lernfähigkeit muss im Alter nicht degenerieren, unsere Lernwilligkeit tut es offensichtlich. Pragmatisch ja, aber dumpf und unüberlegt. Ohne unseren Wissensvorteil zu nutzen, ergeben wir uns der eigenen Fata Morgana und sperren uns in unser eigenes Gefängnis. .

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In beiden Fällen laufen wir blind durch den Wald, doch im Falle der Wissenschaft stopfen wir uns noch Ohropax in den Gehörgang.

Warum sprechen wir davon, daß wir so vieles nicht ändern könnten, wo wir eigentlich wissen, daß wir das garnicht beurteilen können? Weil wir gerne blind bleiben wollen. Endstation Kaufbahnhof. Weil es eben bequem ist zwischen Sportschau und Tatort.

Um der Aufklärung nachträglich Sinn einzubleuen und auch einem Herrn Ohnesorg nicht ohne Ehr dahinwesen zu lassen, geziemt es sich immer wieder mal an der milchglasigen Schale zu klopfen. Immer wieder mal den Hoffnungsschimmer gedeihen lassen, daß sie bricht.

Versammelt in der enggewordenen Fruchtblase des Kapitalismus geht es zu wie in einem Sack Hackfleisch. Doch wenn die Schale bricht, stößt der MutBurger die Semmelhälfte auf und erblickt das Licht, die Liberte, die gurgenfreie Zeit. Und jedesmal wenn es besonders weh tut, denk ich mir: Endlich die Wehen! Finalmente.
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