Winsch dir was - Sturmsegeln in der Aegaeis
Vorab stellt sich zuallererst die Frage, warum man steuerfrei rauchen und trinken darf, nur weil man fliegt, an Bord geht oder Ländergrenzen ueberschreitet. Vermutlich weil es sich eben weit besser in Kerosinsteuer anlegen lässt.

Kein Troja und kein Raub der Helena, sondern gleich aufs Schiff und rein in die Wanten; zurück Richtung Helena. Da ist man doch froh, wenn es nicht ganz steuerfrei ist, sondern man das Ruder wieder selbst in der Hand hat.

Kapitän, alle Bierventile geöffnet


Nix da! Kein Aufsteher-, kein Ableger- und kein Wendebier. Diesmal auch beide Frischwassertanks nicht mit Alkohol befüllt, sondern mit arschtrockener Leber hinaus auf die hohe See.
Wieder mal Backschaft, in Päckchen liegen, Auge an Zeh und 3 Kubikzentimeter Raum fürs Private, eingepfercht zwischen Motorraum, Ruderanlage und Frischwasserpumpe.

Doch die Zeit in der Koje gilt eh als verloren. Das Seglerblut pumpt nur auf Deck. Man fühlt sich wie die Zutat in einer burmesischen Gemüsesuppe, dichtgedrängt mit ungeduschten, salzverkrusteten Kollegen. Man schwimmt in der gleichen Suppe und wird schlimmstenfalls von Poseidon auch gemeinsam verschlungen.

So findet jedes Gemüse an Bord seine Bestimmung. Nachdem ich ausser dem Skipper kotzresistent bin, ich also nicht die Fische füttere, wie man sagt, fällt mir automatisch die Rolle des Navigators zu. Und weil es oben keinen Kartenplotter gibt, weile ich bei Sonne und Regen, verlassen von der Crew, in der Messe. So bin ich auch Herr über den Kühlschrank und somit über die Biervorräte, an die der Rest der Mannschaft dank der starken Dünung sowieso keinen Gedanken verliert.

Über Kanal 24 brettert der Wetterbericht, der auf englisch genauso unverständlich wie auf griechisch. "chrherölksadf Northwest 4 to 5, lkjdflksjdf Northwest 4 to 5, usw". Mit der Realität hat das so viel zu tun wie die Horoskope aus einer Tageszeitung. Draussen presst der Wind mit 9 bis 10 Beaufort gegen die bereits gerefften Segel und der Bug knallt mit seinen Tonnen Gewicht in jedes Wellental. Der Meltemi, der bei Kay Papas wie durch eine Turbine beschleunigt, gibt heute richtig Vollgas. Mit einer Kränkung von 30 Grad fühlt es sich an als bewege man sich quer zur Eiger-Nordwand. Alles was nicht niet- und nagelfest fliegt quer durch die Kabine. Frühstücksbretter, Tassen, Messer und, oh je, schnell die Beine hoch, schiesst der Werkzeugkasten aus seinem Versteck über den Messeboden.
Und weil das kinetisch für Navigatoren wie mich alles noch zu berechnen ist, lässt es sich der Skipper nicht nehmen, ohne sich für meine mathematischen Weisheiten aus des Bootes Rumpf zu interessieren, ganz unvermutet eine Wende einzuleiten. Bei der rethorischen Frage "Alles bereit zur Wende" habe ich kein Vetorecht und es bleiben mir Sekunden, um mich und all das lose Material backbords, wo sich auch die Küche befindet, darauf vorzubereiten, dass nun gleich Oben zu Unters wird und umgekehrt.
Doch für mich in meiner Vakuumblase aus Längen- und Breitengraden ist nur Zirkel und Lineal von Interesse.

Der Skipper brüllt sich die Lungenwände wund und nachdem ich nicht gläubig bin, hängt bei uns kein Kreuz in der Messe, sondern es ist die EPIRB, die neben mir hängende Notsignalboje, an die mein Blick in manchen Momenten seine Hoffnung haftet. Dennoch bin nur ich es, der weiss, dass wir es an diesem Felsen nochmal vorbeischaffen. Und nach dem unvermutetem Wendemanöver, das mir nun auch noch das Ersatz-GPS vom Navigationstisch gepfeffert hat, werde ich die Seemannschaft noch ein paar Minuten im Ungewissen darüber lassen. Ahoi Ikaria!