Vincenzo macht sich nicht die Mühe aus dem Taxi zu steigen und mir ist augenblicklich klar, daß wir offenbar nicht vorhaben, uns auf ein Kännchen Tee mit General Nicolas niederzulassen. Er lächelt ohne eine Erklärung, als das Taxi uns durch den noch sehr durchlässigen, morgendlichen Verkehr, den Tiber an der Ponte Umberto querend, zur nahegelegenen
Chiesa di Sant'Apollinare bringt, jener Kirche, die erst in jüngster Vergangenheit wieder verstärkt ins Licht der Öffentlichkeit gerückt ist.
Enrico de Pedis, der 1990 von der Konkurrenz niedergestreckte Boss der berüchtigten
Banda della Magliana, wurde hier in der Krypta, die im Grunde der höchsten Geistlichkeit vorbehalten ist,
mit Erlaubnis des damaligen Generalvikars von Rom,
Ugo Poletti, beigesetzt, über die nun der Opus Dei seine göttliche Aufsicht walten läßt. Sicherlich nicht der einzige Ort, an dem Mafia und Vatikan Seite an Seite stehen und liegen.
Vermutlich war es mehr als die saftige Spende der Witwe de Pedis und seine späte Reue im Gefängnis, die dem
mit Diamanten bestücktem Sarkophag voll mafiöser Knochen Einlaß gewährt hat.
Da sich ein Skandal alleine selten wohl fühlt, sollen sich, entgegen den
Aussagen des Papstattentäters Ali Agca jüngsten Gerüchten zur Folge in genau jenem Steingrab, sozusagen in den fleischlosen Armen des Herrn de Pedis, auch noch die Überreste der vor 30 Jahren gekidnappten Flötenschülerin am vatikanischen Musikkonservatorium,
Emanuela Orlandi, befinden.
Daß dem nicht so ist, nimmt dem
Romanzo criminale nichts an aktueller Brisanz.
Mir dämmert in den unterbewußten Arealen meiner vom Schlafmangel malträtiertem Gehirnmasse, daß mich Vincenzo mit unserem wortkargem Besuch dieser scheinheiligen Gottesstätte auf etwas stoßen will, das uns auf unserer weiteren Reise in die längst vergangene und, trotz all der Toten, doch noch so lebendige
bleierne Zeit, die 'anni di piombo', zurückholen wird.