Hier stehe ich zwischen Jack Parsons und Enrico De Pedis, der mir ein stark ausgebleichtes Foto von Emanuela Orlandi vor Augen hält als wäre es das Ausrufezeichen eines Satzes, den er noch nicht geäußert hat. "Sehen Sie ...?".
Nein, ich sehe nichts, denn das, was ich zu hören gezwungen bin, widert mich eigentlich schon genug an, als daß ich den Ton zum Film missen würde. "Wissen Sie," entgegne ich,"Scientology ist für mich eine bereits leicht angefaulte Lyoner-Ringelwurst ohne Zukunft und mit einer eher fadenscheinigen Vergangenheit, die beide Enden zusammenhält - Wissenschaft und Religion - zwei Glaubenssystemen mit der denkbar schlechtesten Reputation und dem einzigen Unterschied, daß sich das eine möglichst nie ändert und sich das andere möglichst täglich widerlegt. Ich saufe lieber." Da kann der Honigmann schreiben, und Paolo Gabriele sagen, was er will. Mir geht das entgegen den triebverhinderten Schwarzkutten und Pressemäulern am Arsch vorbei.
Vincenzo, der unserer Unterhaltung bisher nur scheinbar zu folgen schien, zieht sich aus dem tiefen Ledersessel und beginnt langsam durch die Bibliothek zu wandeln, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. "Sehen Sie, es ist eigentlich ganz einfach. Alles was Gut ist, ist schlecht, und alles was Schlecht war, ist gut." Er tritt ein Papierknäuel quer durch den Raum. "Sie sprechen von Terroristen. Das ist falsch und doch richtig. Wir sind mit dem Begriff bisher leichtfertig umgegangen. In unserem bisherigen Verständnis zielten die Operationen von Terroristen gegen die Macht oder Unschuldige. Das unterscheidet den zivilen Terrorismus vom militärischem Staatsterrorismus. Dieser wendet sich vorwiegend gegen Ziele aus den eigenen Reihen oder gegen seine eigenen Unterstützer. Kurz, um die ängstliche Wählerschaft auf seine Seite zu bekommen, muss sich der Terror zwangsläufig gegen diese Ängstlichen wenden. Sprich, bei der dirty bomb kurz vor Gorleben sollte es weniger die Atomwirtschaft treffen, als die 2122 Demonstranten rund um den Castor. Die Minen auf den Ringstrassen und Dinger für die Fußgänger wage ich als Akt der Vertuschung zu bezeichnen. Wir haben es nicht mit klassischen Terroristen zu tun. Und schlußendlich schließe ich fremdstaatliches Wirken nicht aus. Ich vermute es sogar."
Das klingt schon mehr nach einem potentiellem Trinkbruder und weckt mein Interesse, nicht etwa weil er es so meint - er scheint sich bereits die Presseformulierung im Geiste bereitzulegen, sondern weil mich der Mann hinter dieser Stimme schon öfter positiv überrascht hatte.
Ich kenne Vincenzo noch aus unserer gemeinsamen Zeit bei der NATO, aus der Strategie der Spannung. "Haben Sie eine Vermutung? Was sagt ihr Bauchgefühl?" will ich von ihm wissen, nachdem meine Frage, ob wir das etwa nicht selbst gewesen wären, bemerkungslos an ihm abperlt.
"Bewunderung? Ich spüre Bewunderung, wie auch schon bei den Twin Towers. Schwere Betroffenheit," lacht," Getroffenheit. Es ist der Moment, in dem sich der Schmerz des Schlages mit der Bewunderung für den akuraten feindlichen Angriff mischt." Diesmal gräbt sich sein Schuh kurz vor dem Papierknäuel unter den Teppich. "Ein lebensbedrohliches Moment ... wir rufen Anton an. Wen können wir schützen? Wer ist am meisten bedroht? Ich vermute, jeder Bürgerrechtler, jeder Held des Volkes, Günther Wallraff. Lebt der noch?"
Seine Ausdrucksweise erinnert mich stets an schlecht geschriebene Soaps. Inzwischen weiß ich allerdings, daß er auch so denkt. Das letzte Interview, an das ich mich erinnere, ist von 1976. "Ach ne, Herr Vinciguerra, das is jetzt echt der beschissenste Job meiner Laufbahn. Sie gedenken doch nicht, die ganze Rotwein-Fraktion der Ökoaktivisten unter Polizeischutz zu stellen. Man wird von uns eine aktive Haltung erwarten, einen Schritt nach vorne. Aushebung von Waffenlagern, Fluchtfahrzeuge, Kameraaufzeichnungen. Wie 911 meinetwegen gleich heute den Hauptschuldigen ..."
De Piedis und Parsons stehen neben ihm wie die Säulen neben dem Tempeleingang. "Natürlich werden wir auf allen Ebenen operieren. Wir sollten uns erstmal im größeren Kreis zusammenfinden und die Stimmung ausloten." Vincenzos Stimme klingt beinahe resigniert, aber es scheint eher als lauere er auf irgend etwas.
"Die Art und Weise, wie wir unsere Leute von der NSU verbraten haben, ... fahrlässig, würde ich mal sagen, nicht besonders effektiv.
Auch pressetechnisch nicht der Renner. Ähnlich der Aktion in München 1980. Wir haben zu wenig Bauern auf dem Brett, die wir opfern könnten. Vielleicht wollen uns die krisengeschüttelten Kumpels aus Italien," was Parsons einen Pruster entlockt," nach der verlorenen EM," jetzt hält er nicht mehr an sich und verschüttet sein restlichen Cidre," uns das Dilemma abkaufen, um sich aus der Vertrauenskrise zu retten. Monti halte ich durchaus für fähig genug, das zu 'handeln'."
"Ich setze den Vorschlag mal auf die Agenda. Das könnte selbst den hundertjährigen Licio aus der Reserve locken, so daß er vielleicht auf die letzten Tage nochmals die Alpenrepublik verläßt." Seine Lauer scheint eine Fährte aufgenommen zu haben. "Wir sehen uns morgen bei Adolfo in der Borgo Santo Spirito. Und versuchen Sie, zumindest einmal nicht nach diesem abartigen Gerstensaft zu riechen, mein Bester." Aha.