Mittwoch, 30. Oktober 2013
Winsch dir was - Sturmsegeln in der Aegaeis
Vorab stellt sich zuallererst die Frage, warum man steuerfrei rauchen und trinken darf, nur weil man fliegt, an Bord geht oder Ländergrenzen ueberschreitet. Vermutlich weil es sich eben weit besser in Kerosinsteuer anlegen lässt.

Kein Troja und kein Raub der Helena, sondern gleich aufs Schiff und rein in die Wanten; zurück Richtung Helena. Da ist man doch froh, wenn es nicht ganz steuerfrei ist, sondern man das Ruder wieder selbst in der Hand hat.

Kapitän, alle Bierventile geöffnet


Nix da! Kein Aufsteher-, kein Ableger- und kein Wendebier. Diesmal auch beide Frischwassertanks nicht mit Alkohol befüllt, sondern mit arschtrockener Leber hinaus auf die hohe See.
Wieder mal Backschaft, in Päckchen liegen, Auge an Zeh und 3 Kubikzentimeter Raum fürs Private, eingepfercht zwischen Motorraum, Ruderanlage und Frischwasserpumpe.

Doch die Zeit in der Koje gilt eh als verloren. Das Seglerblut pumpt nur auf Deck. Man fühlt sich wie die Zutat in einer burmesischen Gemüsesuppe, dichtgedrängt mit ungeduschten, salzverkrusteten Kollegen. Man schwimmt in der gleichen Suppe und wird schlimmstenfalls von Poseidon auch gemeinsam verschlungen.

So findet jedes Gemüse an Bord seine Bestimmung. Nachdem ich ausser dem Skipper kotzresistent bin, ich also nicht die Fische füttere, wie man sagt, fällt mir automatisch die Rolle des Navigators zu. Und weil es oben keinen Kartenplotter gibt, weile ich bei Sonne und Regen, verlassen von der Crew, in der Messe. So bin ich auch Herr über den Kühlschrank und somit über die Biervorräte, an die der Rest der Mannschaft dank der starken Dünung sowieso keinen Gedanken verliert.

Über Kanal 24 brettert der Wetterbericht, der auf englisch genauso unverständlich wie auf griechisch. "chrherölksadf Northwest 4 to 5, lkjdflksjdf Northwest 4 to 5, usw". Mit der Realität hat das so viel zu tun wie die Horoskope aus einer Tageszeitung. Draussen presst der Wind mit 9 bis 10 Beaufort gegen die bereits gerefften Segel und der Bug knallt mit seinen Tonnen Gewicht in jedes Wellental. Der Meltemi, der bei Kay Papas wie durch eine Turbine beschleunigt, gibt heute richtig Vollgas. Mit einer Kränkung von 30 Grad fühlt es sich an als bewege man sich quer zur Eiger-Nordwand. Alles was nicht niet- und nagelfest fliegt quer durch die Kabine. Frühstücksbretter, Tassen, Messer und, oh je, schnell die Beine hoch, schiesst der Werkzeugkasten aus seinem Versteck über den Messeboden.
Und weil das kinetisch für Navigatoren wie mich alles noch zu berechnen ist, lässt es sich der Skipper nicht nehmen, ohne sich für meine mathematischen Weisheiten aus des Bootes Rumpf zu interessieren, ganz unvermutet eine Wende einzuleiten. Bei der rethorischen Frage "Alles bereit zur Wende" habe ich kein Vetorecht und es bleiben mir Sekunden, um mich und all das lose Material backbords, wo sich auch die Küche befindet, darauf vorzubereiten, dass nun gleich Oben zu Unters wird und umgekehrt.
Doch für mich in meiner Vakuumblase aus Längen- und Breitengraden ist nur Zirkel und Lineal von Interesse.

Der Skipper brüllt sich die Lungenwände wund und nachdem ich nicht gläubig bin, hängt bei uns kein Kreuz in der Messe, sondern es ist die EPIRB, die neben mir hängende Notsignalboje, an die mein Blick in manchen Momenten seine Hoffnung haftet. Dennoch bin nur ich es, der weiss, dass wir es an diesem Felsen nochmal vorbeischaffen. Und nach dem unvermutetem Wendemanöver, das mir nun auch noch das Ersatz-GPS vom Navigationstisch gepfeffert hat, werde ich die Seemannschaft noch ein paar Minuten im Ungewissen darüber lassen. Ahoi Ikaria!

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Dienstag, 22. Oktober 2013
Zeit
Mit Zeit ist es wie mit allen Dingen. Wer viel davon hat, redet sie gut und teuer.

Hoffentlich wird dieser Tag nie zu Ende gehen, dann wird es nie ein Morgen geben. Dann wird es keinen Termin und keinen Arbeitsbeginn mehr geben. Dann droht kein verregneter Sonnenaufgang und keine verfrühte Betriebsstörung. Dann verlieren alle, die mit Zeit spekulieren, denn dann ist sie weg. Dann bleibt es für immer Feierabend.
Doof, wenn sie wie so oft grade während der Arbeitszeit stehen bleibt, die gute alte Zeit. Die einen buckeln, ich hab einfach schon einen. Ich fühle mich nicht wohl in der Horizontalen. Winter heisst für mich buckeln ohne Lohn. Da, wo alle vermeintlich hinwollen. Selbstversorgung.

Liebe Dumpsterdiver und Kleinstgärtner, es ist höchste Zeit zu sammeln. Marmeladen und Kohlen, Holz und ausreichend Selbstgebrannten zum Einlegen. Marmeladen verschliessen übrigens ausgezeichnet und schimmeln niemals, wenn auf ihnen eine Schicht Tiroler Nussschnaps schwimmt.

Ehe der Boden gefriert, noch rein und raus was geht. Gladiolenknollen und letzten Sellerie raus, Rhabarber und Christrosen teilen und Setzlinge rein.
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Die hartelinie 2.0 - das lyrische Todesschwadron
Zur Welt der selbstlosen Liebe gehört in einer dualen Welt auch der selbstlose Hass. Das muss man schon mal sagen, dürfen.

Das Völkerrecht wird nicht mit Füssen getreten. Es wurde und wird korrumpiert, entführt, gefoltert und ermordet - alles live mitgeschnitten, weil man wissen will, ob da nicht einer beim lustigen Vielstaatenspiel stört. Im Fussball nennt man das eine Schwalbe. Der Staat wird zur Finte und ist selbst der Terrorist geworden. Das ist kein Qualitätsmanagment nach ISO2000. Das ist gröbstes Verbrechen. Bei den heutigen Standards hätte man den Laden schon lange schliessen müssen.
Zitat meines Mannes: Bin Laden zumachen gegangen.

Dass Kriege und Hungersnöte die Wirtschaft am Laufen halten können, werden sie mit Rechten und Standards ausgestattet - Völkerrecht, Kriegsrecht, Genfer Konvention - um sich schließlich selbst daran nicht mehr zu halten. Wir leben in Zeiten in denen Rendition, black sites, Entführung und Folterzentren, wieder eingeführt werden. Demnächst werden wir die ersten think-tank-Begründungen lesen, warum wir hie und da auch mal vergewaltigen müssen.

In Alternativlos, Folge 29 erklären Frank und Fefe sehr deutlich, in welcher Weise unser Weltbild manipuliert wird, ganz im Sinne eines kranken, paranoiden Geistes durch unsere Unistyle-one-fits-all-Medien.

Rührt Euch! Hand vors Gesicht! Die Dekonstruktion des Staates, einer Nation, eines Kontinents, einer Welt, jener Kugel auf der wir leben, findet gerade statt. Der allgemeine Plan besteht darin, den Staat an die Wand fahren und den Bürger als Vollkasko zu verwenden. Der Bürger ist der Helm des Staates, dass dieser sich bei seinen Manövern nicht den Kopf anstösst.

Ich werde nicht aufhören zu sprechen, bis ich meine Stimme hinter mir wieder kommen höre. Ich möchte einmal um die Welt sprechen. Ich bin eine Spitzmaus. Und es ist mein Duktus als sprechende Spitzmaus mitteilig zu wirken. Sprechen ist für mich wichtig wie Echolot für Delfine. Ein soziales Echolot.

Mein Blog ist eine Kanzel, ein Geschützturm der vermeintlichen Wahrheit. Fest verankert in meiner persönlichen Dreifaltigkeit steht mein Dekonstruktionsgeschütz. Schnelle Feuerstöße. Sperrfeuer. Wir basteln Brand-sätze, auf dass neue Wurzeln spriesen im Bodensatz der Moral, Textsplitter für eine neue Saat im Aussatz der Ethik. Qualitätsgewalt aus gutem Hause.

Meine Ping-Rate geht hoch. Atmung, der Pulsschlag einer Atomuhr könnte nicht gleichmäßiger schwingen. Keine Affekte mehr, sondern kontrollierte Körperbewegung. Ein Tanz mit einer strengen Choreographie.

Sonar und Radar an den Start und die Antennen raus. Es britzelt auf der Haut. All die Koksnasen wissen, wovon ich spreche. Nur dass es bei mir nicht drogeninduziert, sondern bei jedem Einsatz einsetzt. Die Sinne schärfen sich. Ich scanne meine Umgebung. Angriffsziele, Fluchtwege. Sehen und gesehen werden, sehen, daß man gesehen wird, aber sich nicht ansehen lassen, daß man es sieht. Höchste Konzentration bei völliger Enstpannung. Auf Schleichfahrt.

Wir gehen mittags nicht essen, sondern setzen uns rüber an die mobile Einsatzzentrale und lauern als Sniper online.
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Montag, 21. Oktober 2013
Caught by an Angel

Zehn Jahre dahin –,
kein Tropfen erreichte mich,
kein feuchter Wind, kein Thau der Liebe
– ein regenloses Land ...

Du mußt ärmer werden,
weiser Unweiser!
willst du geliebt sein.
Man liebt nur die Leidenden,
man giebt Liebe nur dem Hungernden:
verschenk dich selbst erst, oh Zarathustra!

Nietzsche "Zarathustra"



Ich kenne die Farbe Schwarz wie aus meiner Hosentasche. Ich kenne die Farbe der Nacht aus der Jugend und jetzt wieder im Alter. Ich sitze da, abholbereit, abgeparkt auf dem Pannenstreifen. Alkoholbereit - den ich, ausgetrocknet wie Dörrobst, im Grunde schon nicht mehr in mich reinschütten kann, weil es kein Innen mehr gibt. Das Fleisch hängt mir von den Knochen wie Aas. Gefühlt bin ich eine einzige grosse Wunde, wodurch ich nun den Schnaps einfach äusserlich auftragen kann.

Meine Wohnung ist von einer Herde Fliegen besiedelt, die, da ich seit Monaten schon kein Essen mehr heimbringe, nur darauf warten sich auf mich zu stürzen, sobald mein Herz aussetzt. Und es wird bald so weit sein.

Es ist eine Ruhelosigkeit samt Schockstarre. Der Propeller in mir dreht wie eine Turbine, nur gibt es für meinen Körper nichts mehr zu tun. Ich bin gefangen in einem Kerker ohne Ausgang. Ich bin bei der Safari des Lebens vom Weg abgekommen und hab mich festgefahren im Strassengraben.

I am caught by an angel. Mein Herz ist an ihres gehaftet. Sie ist zurück auf den Olymp und mein Herz mit ihr. So muss es sich anfühlen, wenn man niemand mehr ist. Meine Umwelt nur noch ein belangloses Gefühl, ähnlich dem Surren der Fliegen in den offenen Bierflaschen.

Eine andere Art sein Innerstes nach aussen zu kehren ist, neben dem Saufen, die Liebe. Sich öffnend der Welt hingeben. Beides habe ich getan und kann nicht mehr davon lassen.

So antwortet Hermes in Kittlers "Metamorphosen der Liebe": „Fesselten mich auch dreimal soviel unendliche Bande, Und ihr Götter sähet es an, und die Göttinnen alle: Siehe, so schlief’ ich doch bei der goldenen Aphrodite!“
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Samstag, 19. Oktober 2013
Zu "Der Tod ist eine Endung"
Einen kleinen Einblick in die Welt der Geheimdienste nach dem 2.Weltkrieg liefert der Beitrag Dienstbereit - Nazis und Faschisten im Auftrag der CIA auf arte.
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Mittwoch, 9. Oktober 2013
Sternbild statt Sternzeichen - eine kleine Erhellung für die Horoskop-Freaks aus dem Höhlenzeitalter
Da haben wir aber Glück. Mein Universum hat mir doch ein anderes Tier auf den Hals gehetzt als den Krebs. Es war der Skorpion und nicht der Krebs, der Orion den tödlichen Stich verpasst. Wenn das Sternbild Skorpion im Osten aufgeht, muss Orion den Himmel im Westen verlassen. Dadurch stehen die beiden Kontrahenten niemals zusammen am Himmel.

Stier, Aszendent Jungfrau, wer hat sich denn so was ausgedacht. Sternbild Orion, das bin ich. Griechischer Götterhimmel - da wo unsere Sternbilder auch herkommen. Bei den Sumerern ein Schaf, bei den Germanen ein Pflug. Im alten China war das Sternbild eines der 28 chinesischen Tierzeichen, der Xiu 宿. Es wird als Shen 參 bezeichnet, was „drei“ bedeutet und wahrscheinlich von den drei Gürtelsternen herrührt.

Sternzeichen aufgrund des Raumkontinuums in dem man grade den Mutterleib entwischt, wär ja grad wie Branding. Auf lebenslänglich verdammt, die gleichen Eigenschaften zu haben - Horrorscope. Das ist Prädestinationslehre schwärzester Prägung. Die Welt in zwölf Schubladen. Vielleicht bei Frauen so beliebt, weil man auch zwölfmal im Jahr durchblutet - wer weiss. Warum ein paternalisiertes Glaubenssystem krampfhaft emanzipieren, wo man dafür auf dem Olymp doch schon alles passend hat und die Freikarten bereit liegen. So frei wie bei den Griechen, wo jeder mal mit jedem darf und auch gerne mal zehn Väter hat, wo man die Rolle auch gerne mal wechseln darf, weil man eben doch irgendwie lernfähig ist. Ein paar Opfergaben in den richtigen Topf und schon flutscht die Sache.
Ich setze voll auf Orion, den Jäger, dessen Gattin Side übrigens von Hera in den Tartaros hinab gestoßen wurde, da sie sich zu sehr ihrer Schönheit rühmte, Orion, der bereits bei seiner Entstehung Strahl gehabt, als ihn Zeus, Poseidon und Hermes zeugten, indem sie auf ein Stierfell pissten.
Das mit dem Erotik-Versand Orion ist der Urinanteil des Zeus, von dem Orion seine Leidenschaft für die Erotik geerbt hat. Herr Köhlmeier erzählt die Geschichte des Orion in seiner unnachahmbaren Weise:

Michael Köhlmeier: Orion

Den Gürtel des Orion, sein Schwertgehänge mit den drei Königen, der sogenannte Jakobsstab, liegt quer im weiten Bett des Firmaments. Offensichtlich ohne Schwert, trotz Gehänge, wird der Gürtelträger, bei uns von August bis April, vom Skoprion durch die winterlichen Nächte getrieben.

Aszendent Beteigeuze, vermute ich. Seine rechte Schulter strahlt uns am intensivsten entgegen. Es ist der Heimatplanet von Ford Perfect und Zaphod Beeblebrox aus per Anhalter durch die Galaxis. Unter dem Titel "Beteigeuze: Ein Stern will durch die Wand" lesen wir, warum der rote Schulterstern im Sternbild Orion, der neunhellste Stern im Universum bald nicht mehr zu sehen sein wird.

Vom Pfeil der Artemis getroffen oder vom Skopion gestochen, Orion muss sterben. Ob seine Schulter nun in rund 12500 Jahren in die Staubwand knallt oder schon vorher explodiert, es lohnt sich noch mal hinzusehen auf diese in Stern gemeisselte Mythologie.

Es ist die kurze, unschuldige Liebe des Orion mit Eos, die Orion ans Himmelsgewölbe gepflastert hat. Es ist eigentlich das einzig Unschuldige in seinem Leben, der Höhepunkt. Eos, die Früherwachende, fährt ihrem Bruder Helios voran mit ihren beiden Pferden, Phaethon und Lampos, dem Glänzendem und dem Hellen. Ob sie dabei jemals auf Orion trifft?
Einfach war es für Eos noch nie trotz der vielen Liebschaften, wie im Falle ihres Gatten Tithonos, der zwar die Unsterblichkeit geschenkt bekam, aber nicht die ewige Jugend und bis zur Unkenntlichkeit schrumpfte. So sitzt er jetzt als Zikade bei Eos in der Tasche und darf zusehen, wie sie sich den nächsten anlacht.
Die Göttin der Morgenröte, Eos, für mich die eigentliche Aphrodite, die eigentliche Göttin der Liebe. Die aus Scham Errötende und nicht die aus dem Schaum abgehackter Genitalien geborene Marylin Monroe der Griechen, so überladen, dass selbst die Muschel unter ihr zerbirst.
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Samstag, 21. September 2013
Der Biergärtner

- Geschichten von der Saufside -

Deutschland hat nur drei Jahreszeiten, weil es die vierte nicht sieht vor lauter Regen. Bayern allerdings darf sich einer fünften Jahreszeit rühmen, dem Oktoberfest.

Der Biertsunami steht vor der Tür und ich bin fleissig am trainieren mit der milden Orange und Linda, der Butterkartoffel. Denn die Maß geht zum Fassl bis sie sich erbricht. Das Restbier in der Flasche schiebt nach mit 7 Atü, während es sich hinabzwängt in mein Bauchfassl. Schon sehe ich die Schutzschilde der Magenwände rosten und kann nachts nicht schlafen, weil ich von Wassereinbrüchen träume, die womöglich das konsumierte Bier verwässern.

Das Ultimatum ist abgelaufen. Die Bodentruppen der hartenlinie, die Söldner der Alkoholvergiftung, die zur Erstürmung der Promillegrenzen an der gesamten Schankfront angerückt sind, schieben sich en gros in das Herz der heimlichen Hauptstadt.
Intersuff 2013, anything goes. Die Zeiten haben sich geändert. Im Großen wie im Kleinen brechen die Dämme. So wie man heute auf Genfer Konventionen scheisst, scheisst sich so manch anderer in Hosen, die er garnicht mehr trägt. Der Sacco di Monaco kann beginnen.

... und majestätisch auf dem Oberdeck die Offiziersklasse der Bodentruppen.

Wie der Maikäfer seinen Monat kennt, gibt es auch hier in München ein kriechendes Tier, das sich scheinbar Ende September mehret. Dann mag es sich anfühlen, als stünden Sie in der Innenstadt umringt von Heerscharen des Rausches. Doch glauben Sie mir, die Echten, jene, die nicht vom flambierten Apfel und der Achterbahn berauscht, jene, die sich grenzenlos der alkoholischen Verwahrlosung hingeben, die werden Sie nicht an öffentlichen Plätzen finden. Wir kriechen über Zäune und durch Hinterhöfe, immer schön im Schatten haltend - und bei Verlassen der Genußstätte ist es zumeist schon sehr schattig.

Die Wiesn ist ein Landgewinnungsprojekt für Vertriebene und alle anderen Rauschkugeln und die letzte Ehrerbietung an jene, die an den Zäunen, Hecken und Entgiftungskliniken hängengeblieben sind.


Zwischen Hopfendolden und der Ruhe einer Kastanie hält der Gott des Bieres Einkehr. Wegen seines stets übermäßigen Rausches konnte weder er sich selbst noch je ein anderer an seinen Namen erinnern. So rein volksmythologisch würde ich ihn einen Sohn des Dionysos nennen. Lärm, Extase, orgiastische Riten. Das klingt vertraut hier in der Hauptstadt der BierBewegung, der einzigen alpennahen ehemaligen Räterepublik, ausser der Schweiz vielleicht und natürlich Kolbermoor. Und dieser Biergott gerät so richtig in Bewegung, wenn ein Bierstau entsteht, wenn also im September das alte Bier raus muss, weil das neue gebraut werden will. Dann zieht er mit seinen Horden durch die Strassen ... sie sehen ja, wie es aussieht.

Marcel Duchamp, Vater der Ready Mades, wie der umgedrehten Closchüssel, erlebte 1912 in München seine totale Befreiung. Und Albert Einstein drehte 1896 auf der Wiesn die Glühbirnen beim Schottenhammel rein. Diese Qualität können wir bei den heutigen Bodentruppen der hartenlinie nicht aufbieten.

Ein Schnappschuss vom Biergott beim Abkühlen während der Trinkphase.

Die Brennstäbe heiss wie an der japanischen Küste und das Bier schon in der Hose, aber immer bereit für einen Nachleger, brütet das Bierkraftwerk und braucht mehr Kühlwasser, schweres Wasser, ein Biermeer. Und da bieten die Münchner Brauereien das schwere Märzenbier vor der neuen Brausaison ganz billig an. Keine 10 EUronen, also ungefähr doppelt so viel wie auf dem Dachauer Volksfest.

Unsere Truppen aber liegen in den Gräben und Regalen als könnte man sie für nen Euro Falschgeld mitnehmen. Täuschen Sie sich nicht. Das ist die Infantrie der Zukunft. Oft völlig platt als schlafende Schläfer verkleidet, rotten sie sich rund um das wummernde, leuchtende Bierportal, in Toillettenstrassen und in Hinterhöfen. Wie von der Rotzkrankheit befallen, wie von Parasitose und Protozoeninfektion dahingerafft trieft es aus diversen Körperöffnungen.
Und wenn der Winter nicht schon mit dem Oktoberfest angefangen hätte, wäre auch noch die Luftunterstützung der Anophelesmücken eingetroffen. So wird es hart.

Ob wir da das ganze Bier wegbekommen? Zum Glück wissen die Leute, die wegen der Wiesn kommen, dass wir hier unsere Kinder und Enkel die restlichen 50 Kalenderwochen über davon ernähren müssen. Und deshalb nehmen sie viel Geld mit, womit sich all das Bier erst finanzieren lässt, der Treibstoff des Umtriebs. Eine Gehirnzellenvernichtungsmaschine der anderen Dimension. Wir hatten das: das bayrische Tao eben, das Nichts zu denken. Nur so können wir es schaffen, auch Glühbirnen reinzudrehen und Closchüsseln verkehrtherum aufzustellen. Den Biergott allerdings kann nur besänftigen, wenn das alte Bier endlich alle ist und er wieder friedlich zwischen Hopfen und Kastanie sein Frisches bekommt, ohne Lederhosen und für die Hälfte - mit Platzgarantie.


Ich bin Biergärtner. Ich stelle hier die Fragen, die immer schon gestellt werden wollten, die sich aufdrängen. Zumindest mir. Ich pflanze Gedanken und giesse, was zu wachsen gewillt ist. Ich beschenke die Massen. Ich kredenze das flüssige Gold - etwas Schank, etwas Kellner. Die dürstenden Kehlen benetzend mit ... was denn eigentlich? Dieses Jahr mit krisengeschütteltem, also etwas ausgerauchtem Bier.

So manchem schmeckts noch nicht mal und andere kriegens nur mit Limo runter. Sitzen aber mitten auf den besten Plätzen und wedeln mit Firmengutscheinen. Schon verständlich, warum auf den Gutscheinen mal ganz gegen ihre eigentliche Art kein Firmenlogo prankt [sic!]. Diese firmenpolitische Dimension der Wiesn ist eine Unart des kapitalistischen Konsumterrors, bei der es gilt, sinnfrei möglichst viel Alkohol auf Firmenkosten in sich hineinzuschütten und im Gegenzug für ein Jahr wieder sein Maul zu halten. Die Marktwirtschaft ist ein Haus ohne Platz für Gäste und eine Wirtschaft ohne Wirt - also der natürliche Feind des Biergärtners.

Allgemein ist die Wiesn eine, von den Brauereien mal abgesehen, werbefreie Zone. Der volle Fokus liegt auf dem Bier und nur nebenbei auf seinen Konsorten, wie Fischsemmel, Lungenhering [sic!], Brezn, Schnupftabak, Mandeln, Glückslos und Fahrgeschäft.

Das einzige ausser Herzchen, Plastikrosen und Mandelbröseln in der Jackentasche, was man von der Wiesn mitnehmen kann, ist der Rausch. Einen Rausch, der oft für die nächsten Tage auch noch reicht. Für den Geschmack und die Süffigkeit des Biers und den rustikalen Sitzplatz zahlt man seine 10 Euronen, den Rausch bekommt man gratis mit.

Wenn man da einen echten Orginalrausch erwischt, dann kann es schon mal vorkommen, dass man das Vorreservieren für nächstes Jahr glatt vergisst. So ein gewichtiger Rausch, den man aus den Massen saugt, ist eine Lecktion die man so schnell nicht vergisst. Die Wiesn ist eine pädagogische Aktion, eine zweiwöchige Rauschanordnung der bayrischen Staatsregierung, ein Rauschedikt. Die Wiesn ist das bayrische Tao, bei dem es dem ein oder anderen in Ausnahmen sogar gelingt, das Nichts zu denken. Prost.


Millionen von Wohlstandsbürger sitzen dicht gedrängt an der Tränke, die besseren Mastbürger in den Boxen, der Restbürger rund um die Kapelle auf einfachen Bänken.

Die Kehlen ausgetrocknet von der rauchfreien Luft und dem Brezensalz. Und weil es eben keine zwei Bier gibt, weil die Tugend der Mittelmass noch nicht seinen gesellschaftlichen Durchbruch geschafft hat, weil das Maß halten und die Genügsamkeit mehr Aus- denn Einzug gehalten haben in unserem Denken, gewinnt auch beim Bierdesaster 2013 wieder der Wirt, wie das Binder und Krieglstein in Drink all day schön zeigen.
Das Oktoberfest ist ein Austauschprogramm der etwas anderen Art für Jung und Alt.

Magenbrot, das nicht jedem bekommt. Herzchen schenken und Herzen verlieren. Trinkgeld geben und Bier schneller bekommen. Brezn essen, länger leben. Aber oft auch unerwünschte Geschenke, die wir in Redensarten wie "des kotzt mi o", "ich piss mich an vor Lachen" und "verpiss di" wiederfinden.
Man gibt und nimmt Liebe, die durch den Magen geht. Ein Mann und fünf halbe Hendl, der kulinarische Genuss von 5 Schamlippen, ein Kuss von zweieinhalb Hendlmündern sozusagen, und drauf 7 schlecht Eingeschenkte, also fast 3 Mittelmass, bis einen die Erkenntnis, was man da gerade zu sich genommen hat, dazu zwingt, es wieder hervorzuwürgen. Die Fluchtwege zu den Toiletten völlig überfüllt und im Gedränge fliegen einem noch mehr wohlduftende halbe Hendl am schon spastischem Gedärm vorbei. Das ist doch ganz normal, dass da mal was danebengehen kann.

Schon am Wiesngrenzgebiet, da wo es auf der Wiesn noch eine Wiese gibt, erwischt mich die Druckwelle des Gestanks aus Erbrochenem und anderen Arten menschlicher Entleerung. Eine junge Dame gibt all das Hefeteiggebäck, das sie über den Tag wie eine Mastgans in sich hineingestopft haben muss, von sich, eine selbstgärende Substanz wie auch das Weißbier, was das Strassenpflaster noch lebendiger macht, biologischer wirken lässt. Diese junge Dame wäre mit Sicherheit die Nummer Eins für den Öko-Award von münchenkotzt.de. Ab einer gewissen Befüllung mutiert im Grunde jeder Wiesnbesucher zu einer Partikelschleuder und wird oft auch selbst zum Partikel.

Die Lederhose war vermutlich die erste Splitterschutzkleidung, sie soll das schützen, was drin ist, und draussen halten, was nicht hineingehört, den Hosenladen wie bei der Intifada tunlichst geschlossen.

Ordentliche Knöpfe am Hosenträger machen den vom Bier Niedergestreckten sofort transportbereit. An alles ist gedacht.

Die Besserversicherten werden nicht am Hosenträger, sondern in rollenden Zelten abtransportiert - allerdings erst nachdem das frische Magenbrot abgepumpt wurde.

Saufen und fressen, schwitzen, pissen, scheissen und kotzen, mit der Möglichkeit zu vögeln - all in one mit Gewinnchance, aber die 5 halben Hendl und sieben Mass bleiben Eigentum der Wiesnwirte und verlassen nur selten das Wiesngelände.

Auch hier findet es sich also wieder, das bullemische Grundelement des heutigen Konsums.

Bezahlen, konsumieren, aber im Grunde nie besitzen. Das Bier muss fliessen und desshalb bleibt es hier, samt Geld und Hendl.

... wenn Sie verstehen, was ich meine.


Ich darf Sie jetzt schon einladen zum Brezensalzer 2014, gleicher Ort, gleiches Gelage. Prost, Mahlzeit
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Mittwoch, 11. September 2013
Rocking Stone
... wo Fehlzündungen noch zum guten Ton gehören

Möchte man meinen, dass in abgelegenen Bergtälern das Leben nicht so hinfindet. Das täuscht, da auch das Wetter und der Steuerbescheid überall hinfinden. So eben auch in meine geliebte Felsspalte.
Zu Sommerende sind es rund 300 Rocker, die sich auf den Weg machen, um hier mit der lieblichen Natur wettzueifern. Ein Rockerfest mit allem was dazugehört. Eben Maschinen, Kutten, Bier und Mucke bis zum Abwinken.

Unter dem Brummen der Zylinder wummert selbst das Erdreich wie bei einem Erdbeben, was das Sexualleben bei Würmern, Maulwürfen und Wühlmäusen an diesem Tag komplett lahmlegt. Selbst die Hornviper, die sich Dank ihres abschreckenden Rufs als letztes verkriechen will, wird schon am frühen Abend vom Breitreifen überrollt.

Wo sonst 364 Tage im Jahr die Grillen um die Wette zirpen, haben diese und andere heute alle zumindest akkustisch verloren. Das Käuzchen findet mit seinem sanftem huhu, huhu heute keine Partnerin. Heute zirpt, huht und quakt das Tierreich vergeblich und sinnlos in die Weite des Tals. Heute müssen im Lärm alle alleine leben, zumindest das sich nachts findende Tier. Denn Rockerbrut und Bräute finden sich auch und besonders bei diesen Anlässen. Die Kutten bieten ausreichend Laschen und Taschen, um sich einzuhaken bei der schweren Beute, die später beide zum Opferaltar dieser Nacht, einer Thermarest-Matte, schleppen wird.

Ein Meer von Schall, ein Bikertsunami, eine akkustische Flutwelle rollt durch das Tal wie die Horden der Mongolen, oder wie um 1940 in diesem Teil der Erde, der Kosaken. Wenn ich die Brille abnehme hören sich die rasselnden Motoren wie trampelnde Hufe an und sehen die Kuttenträger aus wie moderne Ritter, mit Benzin statt Hafer, Stahl statt Eisen und Kunstleder statt Gegerbtem.

Man trinkt sich ein und bestaunt, was sich an motorisierten Einzigartigkeiten so eingefunden hat. Gesichter aus einem Dutzend Länder, Altbekannte und Neugierige. Das Schlachross des Stalls, Harley-Chassis plattgefedert mit einem Norton-Flathead-Motor. Wenn ich das richtig verstanden hab.

Und weil Burn-Out eben Programm ist, auch dafür eine passende Maschine.

Was hier ausbrennt sind Motoren und Reifen, aber keine Seelen. Hier wird ganz gesund mal richtig durchgeblasen. Man pumpt sich voll mit Gerstensaft und anderen aromatischen Gewürzen, glotzt auf die Band und später, weil auch der Blick schwer wird, auf den Arsch, in Land für einen Abend, wo Fehlzündungen noch zum guten Ton gehören.

Die zweizylinder Dieselmaschine Marke Eigenbau gibt dann auch einen schönen Vordergrund für das Schlussfoto vom Höhepunkt der reizenden Veranstaltung, der Tanzeinlage.

Statt Highway to hell eben Kiesweg to Rocker'S heaven. Und zwei drei Tage später klappts dann auch bei den Würmern und Käuzchen wieder.
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Dienstag, 10. September 2013
Von Kufstein auf die Salzburger - ein Parallelslalom im Geschwindigkeitsschilderwaldmissstandsrennen
Brütende Hitze im September und das Auto voll mit Kindern. Selbst fiebrig erkältet und bereits 5 Stunden Fahrt auf dem Pedal. Der CD-Spieler im Arsch und die frische Obsternte aus Versehen oben im Heck verstaut. Die Ohren vom ewigen Auf und Ab durch die Alpen und der Erkältung dicht, bin ich schon mehr Teil des Motors als der lärmenden Fahrerkabine.

Der Rückreiseverkehr auf den alpenländischen Autoputs lässt sich grösstenteils umgehen, indem man die oft kürzere Landstrassenvariante wählt. Glücklicherweise verwerfen Lastwägen und die meisten schlechten Autofahrer selbst mit Navi diese auch landschaftlich schönen Routen - scheinbar aus Angst vor den Pässen.
Ab Kufstein Süd allerdings, der letzten pickerlfreien Zone Europas, lässt mich der Inn nicht mehr anders durch. Und der Gedanke, auf den Landstrassen in der Prärie Südbayerns notfallmässig anhalten zu müssen, übersteigt bei mir das Vorstellungsvermögen und die Schmerzgrenze. So kommt es, dass eine schöne Rückfahrt stets im Wahnsinn endet.

Wie fährt man diese Ausgeburt der Zivilisation, diesen Tumor der Sozialisation, dieses Abbild dessen, worin wir eigentlich leben? Mein inneres Spurnavi schlägt von Kufstein bis McCraw-Graben Folgendes vor:

Die Baustelle von Kufstein bis Inntal-Dreick, also die gesamte A 93 links vorziehen, denn die Dicken müssen aufgrund der Spurbreite alle rechts bleiben - und das sind inzwischen die meisten. Das klappt im Grunde immer, es sei denn, einer der Laster beschliesst, etwas mittiger dahinzuschwänzeln. Dieser Missstand blieb mir heute seltsamerweise erspart. So mache ich hier bereits meine Kilometer. Und zumindest in meiner Phantasie sind dann schon 50 unberechenbare, latente Halbwahnsinnige nicht mehr vor mir.

Ab Rosenheim wird die Situation schliesslich richtig verteufelt. Was für Menschen, sind das, die da bereits auf der A 3 angeschossen kommen? Wo machen die Urlaub? Ab hier treten alle Gesetze der Strasse ausser Kraft. Ich glaube, es ist die Gruppengrösse. Ab hier mutieren die Dicken und die ängstlichen Dummen aufgrund der erweiterten Spurbreite, also volle Spur für Vollbürger, zu dieser Masse, diesem einzigen Lebewesen, das es schafft, sich im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte freiwillig und dafür auch noch Eintritt zahlend zusammenzutun, um sich gemeinsam so zu behindern, dass am Ende keiner zufrieden ist und der ein oder andere sein Leben lässt. Ganz spurunabhängig.

Das Formel-I-Gefühl, vermutlich das einzig nationale Element der Deutschen, kommt eben nur so auf, denn eigentlich ginge es auch mit 120 durch wenn sich alle an die sonst üblichen Regeln hielten. Anstatt schneller und sicher anzukommen, stürzen sich alle wie Lemminge im Massenwahn in ein selbstinszeniertes Gladiatorenrennen.

Während die A 96 aufgrund der langjährigen Dauerbaustellensituation bereits familiär wirkt, ist es auf der teils vierspurig befahrbaren Salzburger der Respekt vor der Masse, der verhindert, dass so mancher mal die Spur wechselt, insbesondere nach rechts herüber. Ein Parallelslalom der anderen Dimension.

In einer etwas merkwürdigen Disziplin, die ich für sehr gefährlich halte, die Parallelfahrer. Der grösste Teil hiervon jene, die einfach nur vor wollen mit ihren knapp 200PS. Vermutlich sind jene hauptberuflich garnicht Lehrer, die meinen mal allen zu zeigen, dass man auch ganz links eigentlich nur genau 100 fahren darf. Bei vielen Italienern hingegen scheint es eine Art genussorientierte Ignoranz zu sein, die sie zwingt die Mittelspur unter keinen Umständen zu verlassen. Die meisten fühlen sich hier rätselhafterweise sicherer als anderswo, obwohl sie selbst die Hauptverursacher dieser blockierten Blechlawine sind und von beiden Seiten angreifbar.

Dazwischen die Slalomfahrer. Die agressive Antwort auf die Mittelspur- und Parallelfahrer. Jene, die durch das Nadelöhr der rechtesten Spur nicht mehr durchkommen prasseln von hinten auf das schleichende Chaos ein und verteilen sich über die restlichen Spuren. Und so wird rechts überholen zur Definitionsfrage, wann denn hier schleichender Verkehr bestehe. Wie die Hornissen fliegen sie immer neue Angriffe auf die paralysierte Masse.

Bei Tempo 100 ist das mit Kind und Kegel an Bord kein Spass und Angst nicht der beste Begleiter. Wie fährt man das?

Einfach auf die rechte Spur, en passant, Brunntal-Dreieck gut durchrutschen bis der letzte Schback weiss, wo er hin will, dann den Zieher mit, seit neuestem, 80, wegen Lärmschutz für die Felder, oder was eigentlich, links fahren, weil die meisten hier in Anbetracht des Geschwindigkeitsschilderwaldes (das Wort so wie der Wald) gleich mit 60 auf der rechten Spur runterbremsen und abwarten bis zum McGraw-Graben, wo dann alle statt 50 plötzlich 70 wollen. Nach dem Autobahnzieher hat man vorwiegend rechtsfahrend gute zehn Minuten gewonnen und holt sich keinen Blitzer, wenn man im McCraw-Graben dann mal die anderen vorlässt.

Mit dieser Spurführung fährt man nicht nur relativ risikofrei und steht am Ende doch noch mit auf dem Siegertreppchen, so man da mit den halbwahnsinnigen Totschlägern stehen will.
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Sonntag, 8. September 2013
Mittelmass jetzt voll im Griff
Die hartelinie machts möglich - Drogenproblem, kein Ding.

Die echte Mittelmass gibts nur bei jeder ungeraden Mass, bei mehreren Vollen. So weit, so klar, oder sagen wir mal, so hell. Denn auf auf dem Nockherberg gibts bei mir nach dieser Definition keine Mittelmass. Mehr als zwei lacke warme Dunkle schaff ich ned. Zumindest nicht ohne Kotzen, und das verwirft ja wieder das bereits Getrunkene. Man muss also wieder von vorne zählen. Zwei gekotzte Mittelmass wären nämlich bisher mindestens 6 getrunkene Massen. Egal ob man zwei mal eine Mittelmass kotzt oder einmal zwei. Ich finde diese Rechnung maßlos.

Um dieser Schandtat des fehlenden Mittelmaßes bei so wenig und doch so starkem Bier Einhalt zu gebieten, werde ich versuchen die Definition so weit so dekonstruieren wie es hier im besetzten Teil Deutschlands, also in Bayern überhaupt möglich ist. So dass auch die Zugewanderten, Schwachtrinker hier noch ein Maß finden.

Die echte Mittelmass gibts nur bei jeder ungeraden Mass.

Zwei Halbe in einem Glas sind eine Mass, zwei Quartl in einem Glas eine Halbe - so weit, so ... jetzt klar, nicht nur hell, weil das nun auch mit Dunklen geht.
So wird die Halbe zur Mittelmass bei einer Vollen. Das Maß wird nach unten erweitert. Und das Quartl ist die Mittelmass von einer Halben. Leider erreichen wir damit nicht das 0,2 eines Kölsch-Trinkers, aber mit solchen Abkömmlichkeiten wird die Besatzungsmacht bei uns auch nicht bedient.

Mit dieser vernünftigen Definition kann man jetzt schon mit 3 Bier zwei Mittelmassen kotzen. Ich finde, dass mein Blog einen Förderpreis des deutschen Gesundheitsministeriums bekommen sollte - nicht nur für die Neudefinition der Mittelmass.

Dann und nur dann, wenn da bisschen Kohle rüberwächst von den Drogenheinzen und Büroschbacken aus den Ministerien, WÜRDE ICH noch eins drauflegen: Den hartelinie-Oktanten - einen 0,25-Bierkrug, also mit Henkel, mit dem man selbst bei totaler Dunkelheit navigieren kann. An mir liegts wieder mal nicht.
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Freitag, 30. August 2013
Typographische Alpenüberquerung
Sie fehlen, die stubendhonauzweigwerkstätten, man kann doch die Renaissance und das gute literarische Gewissen nicht so zugrunde gehen, grundlos zergehen und verschwindibus lassen.

Das mag das Ende vom Anfang sein. Beide Polarsterne verloschen am Firmament nur noch ein flächiges Nichts.Stubenlatte und Transzweig, zwei tote Links, jetzt fehlt nur noch Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes, dann passt auch das schlechte Wetter gut ins Bild.

Wenn man doch die Worte farbig anmalen würde. Vom dicken B ein Stück abmeiseln. Das Wort erstmal ne Woche in den Regen stellen, dass es diesen Grauschliff bekommt. Die Worte nachhaltig bearbeiten. Ihnen den Schliff geben, aufpolieren, raffinieren. Verpacken und verschicken. Wenn man sie wenigstens singen würde.

Aber nein, nach einem strengen Reglement wird die Grammatik vollzogen. Die Typographie auf ihr Minimum reduziert. Selbst der schmückende Anfangsbuchstabe, die Initiale, hat ihren Geist aufgegeben. Sans-Serif und Monospace, Arial und New Times Roman, die Webtypographie erfordert Standards und die bedeuten Einschränkung.

das wars dann bis auf ein paar tote Links und jugendliche Ausrutscher. Einzig bei den Schmierereien und Graffitis wird noch fleissig aufgepumt und geformt. Eines jener typographischen Highlights waren die eingritzen "Ritzer"-Tags an den Fenstern der Münchner U-Bahnen, sich beziehend auf den Leiter der Sonderkommission Graffiti, Herrn Ritzer. Und weil die Fenster auch noch mehr oder weniger durchsichtbar sind, war das eine der schönsten Reflexionen der letzten Jahrzehnte. So hässlich wie das Staatsmonopol der grauen Mauern. Nur kommerzielle Werbung darf drauf, keine selbstlose Kunst.

Das wars dann erstmal mit den Tagen als uns die Dhonauwerkstätten mit CSS-Kathedralen den Tag bebilderten. Als wir Form und Struktur schöpfen konnten, aus einem echten Stubenzweig und einer translatte aus der Serie blogger.de. Formschönheit und dazu ein fein aufgetragener Tiefsinn. Texte, in denen der Raum der Worte, ihr Möglichkeitsraum ausgeleuchtet wird, in denen mit Verlagerung der Gewichtung das Wort erkundet.

"Auch die Worte haben ihr Gewicht und dienen einer abstrakten Konstruktion (...) Dada versucht, die Bedeutung der Worte zu ergründen, ehe es sich ihrer bedient, nicht unter dem Gesichtspunt der Grammatik, sondern unter dem der Darstellung". Tristan Tzara 1922

Da möchte man meinen, dass dadurch wenigstens mehr Gewicht auf dem Inhalt liegt, doch weit gefehlt. Vor nicht mehr als 25 Jahren war das Schreiben noch nicht so inflationär wie im Zeitalter des Internets. Da geht das haptische Element, wie Vorlesen, ein wenig vor die Hunde. Selbst die deutsche Sprache frißt inzwischen Tabletten, so durchgewaschen wie die Bevölkerung eben.
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Mittwoch, 28. August 2013
Die Karpaten im Abendkleid - das Bärenfinale
Meine Frau ist mit ihren Freunden vom Chor des Pilzfreundevereins in den rumänischen Karpaten unterwegs. Fungologen auf friedlicher Streif durch die Höhen und Tiefen im zentralen Osteuropa. In ihrer Rolle als Leitwolf zieht sie das im Abendkleid mit High-Heels durch. So wie andere das mit grellen Regenschirmen oder Grubenlampen versuchen, leuchtet sie durch den Glanz ihrer Schönheit den Weg. Stolze Schultern, so stolz dass sich die Arme hinterrücks schon wieder berühren, denen man blind zu folgen in der Lage ist und auf denen auch meine Zukunft ruht.

Er, der Bär, oder, ich will meiner Frau da nicht Unrecht tun, aber schließlich gibt es das auch, eine Bärin, hat gestern meiner Frau den Zeh abgerissen oder abgebissen. Hab selbst nur ne kurze SMS bekommen, dass sie die Stöckelschuhe jetzt schon unten im Ruchsack verstaut hat, wohlwissend dass das mit einem Zeh weniger etwas schwierig wird und nicht besonders stylisch aussieht.
Meine süße kleine Maus ist jetzt weniger. Vermutlich haben darunter auch die High-Heels gelitten. Und ich weiss noch nicht mal, welcher Zeh es ist, oder war. Sie sagt, dass es die Dur wär. Zeh-Moll wär noch dran. Die Frage ist zentral, denn schließlich gibt sie den Ton an - nicht nur in den Karpaten, sondern vorwiegend den ganzen kommenden Winter über hier zuhause.

Aber da kennt der Bär meine Frau nicht. Natur ist oftmals grausam und in dieser Hinsicht ist meine Frau ganz sicher naturnah. Bin ich mal froh, dass ich mit all meiner Körperbehaarung hier im sicheren Westeuropa weile, während sich meine Muse in eine Furie verwandelt, dass ich hier ausserhalb der Kampfzone meinen Kaffee schlürfe, wenn das von mir so geliebte Rutheniumtetroxid zur vollen Entfaltung kommt und zum Bärenmassaker ansetzt. Wäre sie am Morgen nach dem Zehverlust unter 3 Promille neben mir aufgewacht, sie hätte mir augenblicklich den Mageninhalt mit dem Campinglöffel ausgekratzt. Cave Ruthenium ... dann ist Polen offen.

Meine Frau hat das ja letztens selbst schon hier zu Protokoll gebracht. Sie ist Alkoholikerin, bzw ich Kiffer, sagt sie. Ich kann nur bestätigen, dass sie alle Voraussetzungen hat, zur Hydra, diese lemäische Schlange, dieser an der Tatzel verletzte Lindwurm.
Ich müsste lügen, zu behaupten, ich hätte nicht kurz daran gedacht, dass sie den Ausflug als Vorwand nutzt, um sich eigentlich in Bukarest billig die nekrotischen Körperteile entfernen zu lassen. Schuld wär dann der Bär. Aber solange es nur der Zeh ist und all die anderen abgestorbenen Körperteile noch dran sind, will ich das mit den Bären mal glauben.

Eigentlich ein modernes Märchen, wenn einem das überflüssige Fleisch am Körper von zu Fabeltieren verkommenen Karnivoren abgefressen wird. Ich fänds ganz lässig, meine süsse Frau sieht das anders. Der Zeh ist von ihr gegangen und zwar nicht von allein. Sie wird ihn finden, tot oder anverdaut, und im Zuge dessen wird die Treibjagd auf die Konkurrenz, die europäische Bärenjagd, nun ihr Ende finden, finalisiert. Im Rundbogen der Karpaten wird der letzte Bär von meiner Frau im übertragenem Sinne zu Grabe getragen werden, für den Gegenwert eines gestohlenen Zehen, und das von einer eingefleischten Vegetarierin. Wenn Sie 'Auslöschung' von Thomas Bernhard gelesen haben werden sie ihn besser verstehen, diesen trockenen weiblichen Jagdinstinkt. Der Zeh, die geraubte Helena, das Troja in den Karpaten.

Da muss man schon ein echter Vollfuss sein, wenn man glaubt, dass man, nur weil man einer der letzten europäischen Braunbären ist, sich einfach einen Zeh vom westeuropäischen Kuchen abbeissen dürfte. Das geht ganz sicher in die Hosen oder ins Fell. Ein Zeh ist keine Transferleistung. Da seh ich selbst bei mir Rauch aufsteigen, es kochen und brodeln, das Bärenragout. Natur will getötet werden. Sie steht im Weg, lässt mit sich schwer reden und ist stur wie ein Esel. Sie ist der Bringer des Schmutzes, die Wurzel allen Übels. Sie raubt uns das Leben und oftmals auch den Zeh.

Man spricht von 3000 Rumänen pro Bär, doch das wird bald Geschichte sein, sobald meine Muse zur Massenvernichtungswaffe mutiert und mit der Ausdünnung der Bärenpopulation beginnt. Sobald ihre Tanks ausreichend mit Palinka angefüllt sein werden, wird es in den Karpaten kein Loch mehr geben, in das sich die der Auslöschung Preisgegebenen flüchten könnten.

Das Abendkleid in Ameisenpisse getränkt schiebt sich meine blonde Kampfmaschine durch den rumänischen Busch, auf der Suche nach dem bewegtem Fell, das ihren Zeh gestohlen.
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Montag, 26. August 2013
Mein Mann ist Kiffer
... und ich seine Mätresse. Ich darf die Schnittchen bringen, wenn der Husten nachgelassen hat. Ich bin der Platzhalter der schlechten Laune, wenn mal die Vorräte zu Neige gehen. Aber immerhin kann er seinen Lulli nicht in den Joint stecken und so bin ich sein einziges Lustobjekt, während seine Neurozellen sich nur mit ihr beschäftigen. Ich denke inzwischen als Reaktion darauf währenddessen an unseren Hund.

Ich nenne meinen Mann 'Sushi', kalter Fisch. Seinen Zustand nach der ersten Feierabendzigarette trifft wohl am ehesten die Bezeichnung "läppisch". Das Leben und auch unser Wir wird zur Lappalie. Ein Lappen, aber eben kein cooler, mein Mann. Eine Redelaune wie bei Besoffenen, aber solchen, die bereits am Wegschlummern sind. Ich lebe mit einem Mann der tagsüber recht intelligent Geld verdient und am Abend sich der Hirnlosigkeit preisgibt. Seine Sektretärin, so er eine hätte, würde ihm vermutlich zu Füßen liegen, bei mir hat er schon keine Füße mehr, so butterweich wie er in der Couch abchillt.

Sein Kopfkissen könnte ich im Grunde täglich wechseln. Himbeermarmelade, Honigreste, Brösel aller Art, aber vorwiegend Schokoladenflecken vom letzten Häppchen, denn gemeinsames Abendessen schafft er schon seit Jahren nicht mehr. Da ist der Hunger noch nicht gereift. Fressflash kommt erst, wenn ich duschen gehe. Auf dem langen Weg ins Bett wirds bei meinem Mann nochmal so richtig klebrig verzuckert.

Zum Glück haben wir keine Kinder - wie auch - so kann er sich nicht an ihren Vorräten bedienen und ich ihn nicht am Auskratzen ihrer Bong erwischen. Wenn ich nicht Schweralkoholikerin wäre, hätte ich das niemals bis heute durchgestanden, beziehungsweise -gelegen.
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Dienstag, 20. August 2013
After D8 ... oder Toasties for Maria
Sonntagmorgen im Service kurz nach Acht, wenn all die Lackaffen, Frühaufsteher und den August über der Stammtisch der Italiener das Frühstücksbuffet belagern. Der Tag wirkt unwirklich. Die Welt, die gestern noch so gut und geruthsam, ist heute morgen von Brüllaffen bevölkert, Brüllaffen mit Smartphone bewaffnet. Tausend Stimmen, die mir hinterherrufen, aber gequälte Stimmen, die mit mir in der Hölle gelandet sind.

Leider bin ich heute aufgewacht. Blind Date - der Tag danach. Der Kreislauf läßt wenig Raum für Bewegungen. Das Zittern ist schon ein echter Fortschritt. Die ersten schnellen Regungen des Tages. Eine schmerzlose Simulation von Hektik. Aber immerhin Bewegung. Wenngleich nicht zielgerichtet, am Tag der fallenden Dinge. Man sollt das Schöne nur greifen, wenn man anschließend den Schlamm nicht fürchtet.

Mit das Schönste am Blind Date war, dass ich meine Augen garnicht aufmachen musste. Und wenn, sah alles so aus wie im Traum. Nur heute ist das Blickfeld unermesslich gross, die Augen wie Stadttore von den feindlichen Truppen weit aufgestossen. Heute liegt die Welt in ihrer erschreckendsten Form vor mir. Die Vorhölle der Brüllaffen.

Heute bin ich bin mir nicht mehr so sicher, dass es gestern gab. After Date eben, ein Blindversuch ohne Teilnehmer vermutlich. So totenstill das Gestern, so laut ist das Heute und ständig wird mein Name gerufen, aber eben nicht von ihm, sondern von den Toasties, die in meinem Namen bestellt wurden. Toasties for Maria! Grauenerregende Toasties, die nach verbranntem Fleisch riechen. Ein Tag also, an dem man lieber keinen Namen hätte.

After Date, die Nachspeise, die sich nicht so zart beisst, wie sie beworben wird. Aber erstmal gibts herzige "Toasties for Maria!", nur nicht für mich.

zweite ernte
zweite wahl
nüchternheit

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Donnerstag, 15. August 2013
(- blind date -)

Blinde Liebe, Du streichst vorbei an mir als Lüftchen ohne Halt

Ich hab am Sonntag ein Blind Date. Ich werde Hemd tragen, Stoffhose, grau-grün, alles sehr locker, aber doch irgendwie eine Grösse zu klein, weiter Schnitt, kurze Ärmel. Ein schlichter Einband fasst ein gutes Buch.

Wir kennen uns zwar schon knapp zwei Jahre, aber wir sehen beide nicht mehr so gut - klar, aus natürlich auch nicht. Ein Familientreffen der Maulwürfe sozusagen. Zudem spielt das Gedächtnis nicht mehr so mit. Ich erinnere mich nur noch an das letzte Mal, also für mich das erste Mal. Aber trau schau wem.
Das hat neben den offensichtlichen Nach- auch erhebliche Vorteile. So gehen wir unbeleckt von der Vergangenheit an die Sache ran. Und es ist jedes mal wie beim ersten Mal.

In unserem Alter möchte man aber auch nicht so sehr auf den Geruchssinn setzen. Das klappt zwar immer besser, doch, wie Sie wissen, muffelt man mit den Jahren immer mehr. Knoblauch macht nicht jung, es überdeckt diesen Geruch, den wir aus Seniorenheimen kennen, der einem immer mehr anhaftet, bzw. aus einem herausströmt wie aus einem undichtem Ventil.

Seltsamerweise riechts im Hospiz dann nicht mehr so streng. Vielleicht ist da die sich schuppende Epidermis schon verflogen und die Drüsen dicht. Das wär doch mal ne Idee für ein Senioren-Deo, 'Ar-Oma', glitschig wie bei der letzten Ölung.

Im Grunde ist auch alles schon besprochen. Wie beim vorigen Date treffen wir uns schon am Nachmittag, dass wenn es schief läuft, wir uns abends getrennt mit unseren Freunden nachbesprechen können, um die Katastrophe einigermaßen auszubügeln. Wo man dann nochmal richtig auf den Putz hauen kann, wie eiskalt man ihn abserviert hat.

Ich bin trotzdem zuversichtlich, so weit eben noch sichtlich. Nach dem ersten Dutzend, ich meine Treffen, wird die Erinnerung nicht mehr mental, sondern körperlich abgespeichert. Die Blind Dates sind in unsere Zellstrukturen eingedrungen, jeder ein Teil vom Anderen.

Mit zunehmender Demenz wird die Birne zu einem Salatkopf. Man erkennt einerseits die Familienangehörigen nicht wieder, weiss aber dennoch, dass man keine Bananen mag. Unsere scheinbar 2jährige Beziehung ist somit mehr Frucht und Gemüse als Blut - vom Gefühl her. Ich mag sie, aber ich würd sie nicht wiedererkennen. Im späten Stadium des Alterns erinnert man sich sogar an lange Vergangenes und so wird einem auch bei Spinat wieder speiübel.

Speiübel ist demnach auch das Motto unseres blind date. Wir leiten das immer mit einem Hochprozentigem am Nachmittag ein und drauf paar lacke Bier. Da redet man dann nicht mehr so viel. Und damit sagt man auch weniger dumme Sachen, wenngleich das nicht wirklich von Bedeutung ist, da wir sonst sofort Plan B einläuten und schnell noch ein paar Schnelle wegkippen. Schnell wegkippen muss man natürlich, sonst kommt es zum gegenteiligen Effekt, dem Gau der Worte und quasselt als stünde man vor dem jüngsten Gericht. Redet sich somit vom ersten Wort an um Kopf und, desshalb auch Hemd, Kragen. Plan C wäre dann der Filmriss, Gott sei's gedankt.

Jedes zehnte Bier lassen wir aus und legen dafür die paar Ocken für eine gemeinsame Spendenleber zurück, die der bekommt, der zuerst umfällt. Das regt den Konsum gleich in zweierlei Hinsicht an. Zum einen hat man dann öfter dezimale Biere, die man auslässt, und damit die Summe für die Leber schneller zusammenkommt. Zum anderen will man natürlich vor dem anderen umfallen, dass man die Leber auch wirklich selbst bekommt.

So weit ich mich erinnere, verstehen wir uns inzwischen prima, was eigentlich unsinnig ist, da man sich Streit weniger am Anfang als am Ende einer Bekanntschaft leisten kann, wenn man miteinander eh schon nicht mehr ohne einander kann.
Ich schreibe vorwiegend, weil ich mir nichts merken kann. So weiss ich, dass wir uns vor rund zwei Jahren zum ersten Mal verabredet hatten. Ich zitiere:
"Hab mir grad mit einer Frau ein Grab gekauft. Ausser bei der Vertragsunterzeichnung haben wir uns nicht mehr gesehen. Aber nach dem Tode sind wir dann sicher vereint. Eine Seelenverwandtschaft. Is schon blöd, wenn's dann emotional schief läuft. Nich so gut für die Ewigkeit."

Geplant war auch eine Heirat postmortem, dass wir schon im Grab noch dem Finanzamt was wegnehmen können, ohne uns jemals gesehen zu haben. Vielleicht ist der Schaden anderer einer der Gründe, warum Menschen kooperieren und sich mögen. Ein echtes Blind Date. Da der Mensch aber menschlich und in seinem Haupttrieb wahnsinnig neugierig ist, haben wir es dann doch getan, anstatt zeitversetzt zur Vertragsunterzeichnung zu erscheinen.

Ich möchte hier nicht ins Detail gehen, da es auch eine andere Person betrifft, aber es gab zum Glück keine Kinder. Kinder, die dann später auch noch in das gleiche Grab, auf die Alten druff in die gleiche feuchte Grube sich betten wollen, wo es zu zweit schon reichlich eng ist.

Warum ich sie mag? Ich denke, weil sie mich mag. Das reicht für meine Verhältnisse. Vielleicht auch, weil ich über die Jahre in ihr verstohlen ein kleines flammendes Herz entdecken konnte, das garnicht mit allen Mitteln versucht, das Rennen um die Spendenleber zu gewinnen, sondern sich insgeheim freut, dass es immer wieder mal ein erstes Mal geben wird. Bis in alle Ewigkeit. Bis es keine Spendenlebern ausser uns mehr geben wird. Prost.
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