Mittwoch, 2. Dezember 2020
Gib dem Tod eine Chance
Ich möchte den ausdifferenzierten Leserbriefen des Postillons noch ein paar unerwähnte Facts angedeihen lassen. Denn Solidarität, kann das nicht auch heissen, dass man jemandem einfach mal die Daumen drückt?

Das ist natürlich alles ganz ganz schlimm und solidarisch lässt sich bei einem 330 Milliarden-KW-Gesellschaftsspalter nicht mehr viel erreichen oder verhindern, aber (sic!) man muss was sagen, wenn man nicht schweigen möchte. Die Auseinandersetzung mit dem Ableben geht derzeit ja sozusagen viral.

Letzte Woche ist jemand bei uns im Haus an einer Art Nasenbluten gestorben. Sido hätte vielleicht, wenn er nicht von Clans und Rockerbanden in den Hausarrest verbannt wäre, ein schönes Lied vom Reim gebrochen, dass man die Nase eben nicht so voll nehmen soll. So aber muss ich mit literarischen Referenzen wie der Abhandlung Rudolf Steiners über den Christus-Impuls als Überwinder der Materie Vorlieb nehmen. Der Tod wird transzendiert. Das unerträgliche Ende des Körpers wird gewürzt und garniert und mit so viel Vanille-Sauce bestrichen, bis es irgendwie gefressen wird. Das Postmortem wird bebildert mit 99 Jungfrauen, mit Hossiana und einem Erlösungsgedanken. Leben ist Leiden, erst nachher wirds lustig. Die Besten mussten als Märtyrer ihr Leben lassen bis die Menschheit endlich zu begreifen schien, dass erst im Ableben die Seele ihre Bestimmung findet. Der Tod als Chance!

Leider - lag es nun an der überhöhten Kirchensteuer oder am geschmacklosen Leib Christi in Form einer Oblatte - hat diese vordergründig zölibate Gedanken- und Machtformation eine Zerfallsgeschwindigkeit von nicht mehr als 2000 Jahren. Und schon will keiner mehr sterben, geschweige denn sich einem Leben voller Demut unterwerfen.

Der von Rudolf Steiner beschriebene materialistische, körperbehaftete Zyklus scheint sich wiederholen zu wollen. Der Ägypter, so er es sich leisten konnte, hatte bei der Ausbeutung seiner Umwelt und Mitmenschen vorwiegend im Sinne möglichst viel materielles Hab und Gut durch den Kreislauf des Lebens mitzuschleppen. Im Paradies gab es keine 99 Jungfrauen. Man musste sie sich schon mitbringen. Im Zenit des christlichen Urglaubens, verkörpert durch meine Oma, hat sich das schließlich auf das Kleben von Rabbatmarken im Sterbebücherl und das Dogma "des bisserl Sterben" reduziert. Nur beim Sterben will man selten der Erste sein. Jetzt wolllen plötzlich wieder alle ewig Leben. Meine Empfehlung, um Folgendes besser zu verstehen, ist der Film: Wer früher stirbt, ist länger tot.

Letzteres ist nicht wirklich durchdacht. Denn in der Möglichkeit des Ewigen Lebens sitzt der Teufel. Bei einer Lebenserwartung von (Kindersterblickeit mal garnicht mitgerechnet) 50 Jahren, freut man sich mit 55 wie ein Schnitzel. Beim ewigen Leben allerdings - und wie Karl Valentin richtig bemerkt: ewig, des dauert wirklich lang - gibt es zwei gravierende Probleme.

Zum einen ist es das Problem der ewigen Jugend, der sogenannte der Tithonos-Effekt - oder wie von meiner Großmutter verbal artikuliert durch den Satz "Gott hat mich vergessen".

Und sollte es bald möglich sein, uns durch ständigen Organaustausch für immer zu regenerieren, so wird die Angst davor, mal in einer Gletschspalte nicht mehr rechtzeitig gefunden, durch eine Explosion pulverisiert oder unter einem Gesteinbrocken begraben zu werden, ohne die Chance auf Neuzusammensetzung und Wiederbelebung, zur Mutter aller Ängste. Denn wenn einem plötzlich nach 398.789 Jahren der Rest des Ewigen Lebens genommen wird, so ist das, wie Karl Valentin andeutet, wirklich viel.

In Anlehung an den pekuniären Wert des Lebens von heute könnte man sagen: Wer den Tod nicht ehrt, ist des Lebens nicht wert.

Pro-Inside-Fact: Liebe & Frieden dem Stubenzweig :-* Es war nie vergebens und es wird nicht vergessen

Und weil es ja eine Fortsetzung der Leserbriefe sein sollte, hey, der adipöse Kinderartikel: fett geil.
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