Donnerstag, 15. August 2013
(- blind date -)

Blinde Liebe, Du streichst vorbei an mir als Lüftchen ohne Halt

Ich hab am Sonntag ein Blind Date. Ich werde Hemd tragen, Stoffhose, grau-grün, alles sehr locker, aber doch irgendwie eine Grösse zu klein, weiter Schnitt, kurze Ärmel. Ein schlichter Einband fasst ein gutes Buch.

Wir kennen uns zwar schon knapp zwei Jahre, aber wir sehen beide nicht mehr so gut - klar, aus natürlich auch nicht. Ein Familientreffen der Maulwürfe sozusagen. Zudem spielt das Gedächtnis nicht mehr so mit. Ich erinnere mich nur noch an das letzte Mal, also für mich das erste Mal. Aber trau schau wem.
Das hat neben den offensichtlichen Nach- auch erhebliche Vorteile. So gehen wir unbeleckt von der Vergangenheit an die Sache ran. Und es ist jedes mal wie beim ersten Mal.

In unserem Alter möchte man aber auch nicht so sehr auf den Geruchssinn setzen. Das klappt zwar immer besser, doch, wie Sie wissen, muffelt man mit den Jahren immer mehr. Knoblauch macht nicht jung, es überdeckt diesen Geruch, den wir aus Seniorenheimen kennen, der einem immer mehr anhaftet, bzw. aus einem herausströmt wie aus einem undichtem Ventil.

Seltsamerweise riechts im Hospiz dann nicht mehr so streng. Vielleicht ist da die sich schuppende Epidermis schon verflogen und die Drüsen dicht. Das wär doch mal ne Idee für ein Senioren-Deo, 'Ar-Oma', glitschig wie bei der letzten Ölung.

Im Grunde ist auch alles schon besprochen. Wie beim vorigen Date treffen wir uns schon am Nachmittag, dass wenn es schief läuft, wir uns abends getrennt mit unseren Freunden nachbesprechen können, um die Katastrophe einigermaßen auszubügeln. Wo man dann nochmal richtig auf den Putz hauen kann, wie eiskalt man ihn abserviert hat.

Ich bin trotzdem zuversichtlich, so weit eben noch sichtlich. Nach dem ersten Dutzend, ich meine Treffen, wird die Erinnerung nicht mehr mental, sondern körperlich abgespeichert. Die Blind Dates sind in unsere Zellstrukturen eingedrungen, jeder ein Teil vom Anderen.

Mit zunehmender Demenz wird die Birne zu einem Salatkopf. Man erkennt einerseits die Familienangehörigen nicht wieder, weiss aber dennoch, dass man keine Bananen mag. Unsere scheinbar 2jährige Beziehung ist somit mehr Frucht und Gemüse als Blut - vom Gefühl her. Ich mag sie, aber ich würd sie nicht wiedererkennen. Im späten Stadium des Alterns erinnert man sich sogar an lange Vergangenes und so wird einem auch bei Spinat wieder speiübel.

Speiübel ist demnach auch das Motto unseres blind date. Wir leiten das immer mit einem Hochprozentigem am Nachmittag ein und drauf paar lacke Bier. Da redet man dann nicht mehr so viel. Und damit sagt man auch weniger dumme Sachen, wenngleich das nicht wirklich von Bedeutung ist, da wir sonst sofort Plan B einläuten und schnell noch ein paar Schnelle wegkippen. Schnell wegkippen muss man natürlich, sonst kommt es zum gegenteiligen Effekt, dem Gau der Worte und quasselt als stünde man vor dem jüngsten Gericht. Redet sich somit vom ersten Wort an um Kopf und, desshalb auch Hemd, Kragen. Plan C wäre dann der Filmriss, Gott sei's gedankt.

Jedes zehnte Bier lassen wir aus und legen dafür die paar Ocken für eine gemeinsame Spendenleber zurück, die der bekommt, der zuerst umfällt. Das regt den Konsum gleich in zweierlei Hinsicht an. Zum einen hat man dann öfter dezimale Biere, die man auslässt, und damit die Summe für die Leber schneller zusammenkommt. Zum anderen will man natürlich vor dem anderen umfallen, dass man die Leber auch wirklich selbst bekommt.

So weit ich mich erinnere, verstehen wir uns inzwischen prima, was eigentlich unsinnig ist, da man sich Streit weniger am Anfang als am Ende einer Bekanntschaft leisten kann, wenn man miteinander eh schon nicht mehr ohne einander kann.
Ich schreibe vorwiegend, weil ich mir nichts merken kann. So weiss ich, dass wir uns vor rund zwei Jahren zum ersten Mal verabredet hatten. Ich zitiere:
"Hab mir grad mit einer Frau ein Grab gekauft. Ausser bei der Vertragsunterzeichnung haben wir uns nicht mehr gesehen. Aber nach dem Tode sind wir dann sicher vereint. Eine Seelenverwandtschaft. Is schon blöd, wenn's dann emotional schief läuft. Nich so gut für die Ewigkeit."

Geplant war auch eine Heirat postmortem, dass wir schon im Grab noch dem Finanzamt was wegnehmen können, ohne uns jemals gesehen zu haben. Vielleicht ist der Schaden anderer einer der Gründe, warum Menschen kooperieren und sich mögen. Ein echtes Blind Date. Da der Mensch aber menschlich und in seinem Haupttrieb wahnsinnig neugierig ist, haben wir es dann doch getan, anstatt zeitversetzt zur Vertragsunterzeichnung zu erscheinen.

Ich möchte hier nicht ins Detail gehen, da es auch eine andere Person betrifft, aber es gab zum Glück keine Kinder. Kinder, die dann später auch noch in das gleiche Grab, auf die Alten druff in die gleiche feuchte Grube sich betten wollen, wo es zu zweit schon reichlich eng ist.

Warum ich sie mag? Ich denke, weil sie mich mag. Das reicht für meine Verhältnisse. Vielleicht auch, weil ich über die Jahre in ihr verstohlen ein kleines flammendes Herz entdecken konnte, das garnicht mit allen Mitteln versucht, das Rennen um die Spendenleber zu gewinnen, sondern sich insgeheim freut, dass es immer wieder mal ein erstes Mal geben wird. Bis in alle Ewigkeit. Bis es keine Spendenlebern ausser uns mehr geben wird. Prost.
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