Freitag, 28. Dezember 2012
Die Faszination des Einfachen
Aus dem Anbau meines Nachbarn qualmt es aus allen Ritzen und Ecken. Die Käsefabrikation läuft auf vollen Touren. Ein Käse, der so wie ich ihn kenne, erstmal nach nichts schmeckt und im Abgang leicht säuerlich wirkt. Biokäse der Region.
Auf meine Verwunderung hin, daß er ohne Thermometer arbeitet, greift mein Nachbar - soeben noch mit der schmierigen Kette seines Seitenwagens beschäftigt, mal tief in die warme Milch, um den Reifegrad zu prüfen. Agriturismo nennt sich dieser Arbeitsstil bei dem sich alle Elemente der Region zu wunderbarem Essen verwandeln. So weiß man nicht, ob die schwarzen Flecken im Käse nun von der angebrannten Milch oder vom Kettenöl stammen - später jedensfalls mutieren sie zu Trüffeln. Daß das nicht nur in entlegenen Bergdörfern Usus ist, weiß ich von Bekannten, die bei der Herstellung von Bio-Merrettich mit dem versehentlich Einbringen von geschmolzenen Dichtungsgummis den Absatz keineswegs geschmälert hatten. Nebenbei bemerkt zieht sich die Thematik durch das gesamte Leben und Tun in engen Bergtälern. So auch beim Verlegen der Stromkabel, die mit den EU-Richtlinien nicht völlig deckungsgleich sind.
Bio-Strom eben.
Ich würde den Herstellungsprozeß weniger als natürlich denn als bodenständig bezeichnen. Man nimmt eben, was man hat. Der theoretische Überbau läßt sich dann leicht drüberstülpen. Und ganz ähnlich verhält es sich auch bei den politischen Ansichten in diesen kommunikationsarmen Gebieten.

Ist schon erschreckend, wenn man als hartelinie links und rechts überholt wird. Da kann einen durchaus das Gefühl des Mittelstreifens befallen. So zumindest geschehen bei meinen Forschungsreisen in den krisengeschüttelten Ländern Italien und Griechenland. So war die Antwort auf die Frage, was man denn so tun könnte, um die Krise zu überwinden: 1000 (in Griechenland) und 2000 (in Italien). 1000 was? Tausend, bzw 2000, Leute an die Wand stellen. Das derzeitige Parlament und die zwei davor. Da kennen sich ja nicht nur die Deutschen gut aus, mit solchen Methoden, sondern auch die Erfinder des italienischen Erfinder des Faschismus und die Griechen mit ihrem späteren Militärdiktaturen. Die Begründung für diese Maßnahme: dann würde sich das nächste Parlament genau überlegen, was sie so täten.

Ich bin mir da nicht so sicher, ob sie dann das täten, was sich die An-die-Wand-Steller so vorstellten. Ich denke, es würden sich anschließend nochmals 10.000 weitere an der Wand aufreihen dürfen. Die Revolution frißt ja bekanntlich ihre Kinder. Die hartelinie kann in ihrer Eindimensionalität durchaus mit dem Faschismus mithalten. Vom dialektischem Standpunkt her hat sie allerdings immerhin zwei Enden, während der Faschismus nur ein Vorwärts kennt.

Der Faschismus, das Fascinum und die Faszination sind drei Seiten ein und derselben Sache. Brandgefährlich und schwer handhabbar, ist er erstmal entfacht.
Ist schon verständlich, wenn man sein Nationalgefühl auf einer Vergangenheit aufsetzt, die sich in Geschichtsbüchern so heroisch ließt. Italien ist aber nicht mehr das römische Reich und die Rutenbündel der Amtsdiener wirken eher etwas ausgedient. Aber sie passen eben gut zu den schwarzen Hemden. Auch verständlich, daß sich ein von Krisen gebeuteltes Volk gerne an eine Idee heranschmeißt, die besagte Eindimensionalität bietet. Muß man sich nicht überlegen, welches Hemd man heute anzieht, denn alle tragen ja das gleiche. Die davon ausgehende Faszination der Eindimensionalität kreuzt sich hier mit dem vergessenem Begriff des Fascinums, bzw der Fascinatio, jenem Abwehrzauber gegen böse Kräfte, das zumeist in Form des apotropäischen Phallus seine Formgebung findet. Aus meiner bescheidenen Sicht stellt letzteres ein wesentlich sinnigeres Symbol des Faschismus dar. Das wäre mal zu überdenken.

So glaube ich, daß sich die Form der selbstgemachten Salami meines Nachbarn wesentlich besser eignet, um die das Unheil und die Gefahr der möglichen Inhaltsstoffe zu überdecken. Der Schweinefleisch-Phallus und die wie Pfefferkörner wirkenden Einschlüsse verwehren sich gegen ein Hinterfragen der Produktionsmethoden wesentlich effektiver als der Schwarzschimmel auf den doch sehr weiblichen wirkenden Käseleibern. So will ich denn doch den Käse aufgrund seines theoretischen Überbaus nochmals lobend hervorheben. Für mich ist er ein europäisches Bollwerk gegen den drohenden apotropäischen Faschismus, sozusagen das kulinarische Westwerk gegen eine kontinentale Verrohung der Sitten. So hat schon Menocchio vor hunderten von Jahren, nur wenige Kilometer von hier entfernt, bemerkt, daß wir die Maden im Käse sind. Und eben nicht in der Salami.
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