Donnerstag, 6. September 2012
Gramsci - heute im Sonderangebot
Und wie sie rasseln, die Äquivalenzketten, eine potenzielle Einheit von Schichten und Klassen, die es so noch selten gegeben hat. In einer Gesellschaft, die ihre Soziologen und Mathematiker Taxifahren läßt, wo sich ehemalige Arbeiter und Intellektuelle in den gleichen Lokalitäten treffen, ihre Wäsche in die gleichen Waschmaschinen werfen und in den gleichen Vorzimmern Schlange stehen, rückt zusammen, was nicht nur Gramsci gerne zusammen gesehen hätte.

Prekarisierte Wischmobs treffen auf prekarisierte Laptops und expandieren - sofern er zur Verfügung steht - jenen Diskurs zu einem dominantem Horizont sozialer Ordnung. Selbst wenn man sich gegenseitig zuweilen versehentlich das Bier umschüttet, weil es mit so viel Prekariat ausgesprochen eng wird in der Kneipe, wird doch deutlicher, daß es nicht die Arbeitslosen sind, die dem Steuerzahler den letzten Heller aus der Tasche ziehen.

In diesem Rahmen betrachte ich auch meinen heutigen Aldi-Einkauf. An einem jener Orte, wo nicht besonders viel gesprochen, sondern vorwiegend auf der Ebene der niedrigsten Beweggründe kommuniziert wird.
Als ich an der Kasse nicht einen Betrag, sondern einen Namen zu hören bekomme.
"Raskolnikoff!" sagt die Kassiererin und blickt mich ein wenig entgeisterst an.
Ich als prekarisierter Wischmob reagiere ein wenig träge. "Raskolnikoff," sagt sie und blickt aufs Fließband. "Sicher kennen Sie den. Dostojewski!" Ich bin mir nicht sicher, ob es sich um eine jener russischen Telepatinnen handelt, die sich im Pre-Crime-Sektor beruflich niedergelassen hat, oder nur um eine witzige Bemerkung. Verlegen stehle ich mich davon, voller Schuld und doch ohne Sühne, denn irgendwie hätte ich diese Art des gehobenen Einkaufens, des literarischen Shoppings, gerade hier nicht vermutet.

Vielleicht gehe ich in meinen Mutmaßungen und meiner positiven Einstellung etwas zu weit. Vielleicht handelt es sich schlichtwegs um eines jener Computerprogramme, die mir aufgrund meines Einkaufverhaltens Buchvorschläge macht. Vielleicht bekomme ich mit dem Einkaufszettel nun auch gleich einen Rabatt bei Amazon.com. Ich aber suhle mich abends in billigem Birnenschnaps und in dem belesenem Charme dieser Verkäuferin, während ich nun nicht einer alten Dame den Schädel, sondern für meinen Kamin das Holz spalte. Ihr Einsatz, Herr Gramsci.
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