Donnerstag, 5. Juli 2012
Der Tod ist eine Endung - Kapitel1 Absatz2
Nachdem ich gestern mit Vincenzo bei seiner Mutter meine Innereien auskleistern durfte mit den feinsten Speisen eines adriatischen Fischerdorfes namens Marano, stehe ich nun in der Borgo Santo Spirito, zwischen Tiber und Vatikan, an der Pforte, der Herzklappe des Jesuitenordens, dem Zentrum der Societas Jesu, und warte, nicht nur, auf ihn.

Während sich also noch Jakobsmuschel und Calamari, Pasta und Polenta - wer hätte gedacht, daß es diese auch in weiß gibt - ihren Platz in meinen innersten Gewölben suchen, durchwandle ich im Geiste nicht nochmals die Gänge des gestrigen Menüs, sondern sehe vor mir in der Unschuldigkeit des Sonnenaufgangs Papst Formosus in den Fluten des Tibers treiben. Läge zwischen jetzt und der Leichensynode vom Jänner 897 nicht mehr als als ein Jahrtausend, hätte ich Probleme den verstümmelten Korpus auf der im Gegenlicht glitzernden Wasseroberfläche zu erkennen. In meinem Tagtraum allerdings kann ich selbst die nicht mehr vorhandenen Schwurfinger der rechten Hand erkennen, die ihm, exhumiert während des Strafgerichts abgehackt wurden. Eigentlich gut für ihn, daß er es nicht am lebendigen Leibe miterleben mußte. Es muß sich bei meinen Träumereien um das Jahr 897 handeln, denn als ihn Papst Sergius III. zehn Jahre später nochmals ausgraben ließ und abermals in den Tiber warf, fehlten ihm schließlich alle fünf Finger der rechten Hand.

Der gute alte Joseph, den ich gleich zu treffen gedenke, wird sich nur ungern auf ein Schwätzchen hierzu einlassen, denn seine Amtszeit wird schon zu Lebzeiten von verschiedensten Fraktionen als bedrohlich empfunden. Und genau deßhalb sind wir, das heißt, im Moment nur ich, hier. Im Grunde sollte ich es noch nicht einmal im Gedanken äußern, geschweige denn schreiben - und keinesfalls hier vor den Toren des vatikanischen Geheimdienstes - daß wir Verbündete suchen. Ein Zweckbündnis mit dem vom Gift der Raben bedrohten inneren Zirkel des Katholizismus. Wie es Gerhard Polt so schön formuliert hat. So sieht man also aus, wenn man die Welt so viele Jahrzehnte mit seiner Liebe beglückt hat. Schließlich und endlich bin ich aber auch nicht hier, um einen Lebenspartner zu finden, sondern eine temporäre Zweckgemeinschaft, die uns aus dem Dilemma herauskatapultiert, in das uns das 'Nuking' des Castors mit seinem massivem Kollateralschaden gebracht hat. In unseren Kreisen ist es noch nie von Vorteil gewesen zu reagieren. Regieren heißt agieren, ohne Re und Contra.
Inwiefern uns der wackelnde heilige Stuhl einen Schritt weiterbringt, werden wir noch heute auszuloten versuchen. Ich und Vincenzo unsererseits und der kammerbediente Papst Benedikt, sowie sein Kammerjäger Adolfo Nicolas auf jener anderen, ich möchte fast sagen, erleuchteten Seite.

Als sich die schwimmende Leiche Formosus, aufgeschwemmt vom vielen ins Wasser werfen, sich in den Fluten des Tiber treibend mir plötzlich mir zuwendet, sehe ich kurz das Gesicht von Bernd Schlömer, auch einem auf Wasser Treibendem, weil Piraten, und zugleich Regierungsdirektor im Bundesministerium der Verteidigung. In Rom wirkt alles wie das Zeichen eines Gottes, an den ich nicht zu glauben gewillt bin. Was soll's, schließlich sind beide nicht eingeladen zu unserer heutigen Soiree und schnell verfliegt das Bild, als Vincenzo mich aus dem bremsendem Auto heraus mit einem "Buon Giorno, Signore Falcon!" aus meinem Tagtraum reißt.
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