Freitag, 3. Februar 2012
Jenseits von Gut und Boese - die Umwelt der Touristenburgen Teil 2
Vuelta/Gomera 8 Uhr 12: Ich muss mich korrigieren. Hier wird getrommelt und zwar ganz gewaltig - Komatsu und Konsorten am Bass, unterlegt vom Heulen der Motoren. Maschinen, die für die Arbeit leben ... immerhin leben, im Tal der lebendigen Toten. Da lass ich mir auch gerne mal das Gehör zerschmettern. Aber irgendwie auch friedlich - das Komatsu-Orchester - und wenn sie rückwärts fahren fröhlich piepsend, weit näher am Begriff der Liebe, wie ihn die hartelinie versteht, als die verlauste Kiffbude, die vermutlich auch dafür verantwortlich zeichnet, daß der Strand hier schwarz ist.

Erst kam mir der Gedanke, dass es eine Autobahn direkt ins Meer werden sollte - für all jene, die erst in letzter Sekunde bemerken, daß der feuchte Tod hier angenehmer ist als der Aufenthalt. Gott segne in diesem Atemzug auch die tödlichen Meeresströmungen, die viel menschliches Plankton hier entsorgen. Nun wird leider immer deutlicher, dass sie nach lebendigen Zombies graben. Modernste Archäologie, ähnlich der Lawinensuche, und doch so sinnlos. Denn die Toten verweilen hier überirdisch.

Zum Glück ist heute Viertelfinale des Copa del Rey. Und sollten alle Stricke reissen, so kann man hier immer noch auf die Amerikaner hoffen. Denn auf der anderen Seite des Valle Gran Rey liegt die Schweinebucht und somit nichts näher als ein zweites Guantanamo zu schaffen. Die Hoffnung stirbt zuletzt im Tal der lebendigen Toten. Friede und Liebe!
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Jenseits von Gut und Boese - die Reconquista
Ein Schiff wird kommen. Das Kanonboot der hartenlinie, eine neue Conquista, eine Reconquista, und erneut die lammfellbewehrten Zottelaffen vom Strand fegen.
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Die Sonne wird sich verdunkeln vom Kugelhagel und das Meer endlich wieder rot leuchten. Diesmal für eine gute Sache, diesmal um den Playa de Ingles vom bitteren Deutschtum zu befreien, von jener scheinbar-flippigen Deutschritterlichkeit, die einzig die Preise den Sternen näherbringt. Was für eine Welt in der das Lumpenpack den Kreuzzug gegen die Menschlichkeit anführt.
Wer sich im letzten Refugium der kanarischen-deutschen Esoterik nicht an den Armen-Kreuzzug von 1096 erinnert fühlt, der sollte diesen Menschen mal tief in die Augen schauen.
Einzig ihrem Leitspruch beim Judenprogrom in Köln will ich am Playa de Ingles folgen: Richtet sie alle, Gott wird die seinen verschonen!
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Urlaubsarbeit statt Arbeitsurlaub
Sehr geehrter Herr Stubenzweig,
wir können Ihrem Antrag auf ein Praktikum leider nicht stattgeben ... und sei es noch so umsonst. Denn nach meinem Erstkontakt mit dem Arbeitsamt, ist jetzt erstmal Urlaub angesagt, sprich all mein Geld im Ausland ausgeben, auf dass es hier keiner in seine klebrigen Hände bekommt.

Schon blöd, daß man trotzdem Steuern zahlt, obwohl man eigentlich nicht arbeitet. Aber man bekommt ja auch Geld in dieser wohligen Zeit. Und obwohl man eigentlich schon fast nichts mehr bekommt, bräuchte ich nicht mal das. Mir gehört schon alles. Mein Haus, mein Garten mit seinen vielfältigen Früchten, die Einweckgläser und überhaupt die gesamte Einrichtung. Alles gehört mir, kein Vertrag. Ich arbeite eigentlich nur noch für die Steuer ... vorwiegend. Sonst heißt es nur wieder, ah, die Becker zahlt also keine Steuern. Doch, tu ich. Schlecht, daß man hierfür kein Diplom bekommt, oder jährlich eine Medallie für positive Steuerlast. Die könnte man dann auch mal ans Revers haften beim nächsten Amtsbesuch und den Nachbarn zeigen ... und nicht einen dämlichen Steuerbescheid mit den Quittungen von der Apotheke. Ein Steuerfähnchen fürs Fahrrad oder eine jährliche Tätowierung der Steuerlast auf den Handrücken.
Bei den Arbeitern sind die Extremisten wie in der Politik verpöhnt. Wer mal einen 80-Stunden-Vertrag möchte, wirds schwer haben, und auch wir Urlauber sind nicht gern gesehen. Arbeitsplatzblockierer und Dauerurlauber, das sind Begriffe, die meine Neider mir gegenüber in einem eizigen Satz verwenden.

Nun gut, ich hab mich jetzt für Letzteres entschieden. Ein Leben im Urlaub, ohne Steuern zu zahlen. Ist irgendwie gemütlicher, so lange man den Selbstzweck im schlichten Dasein sehen kann. Für jemanden, der weder arbeitet, noch arbeitssuchend gemeldet ist, gibt es keinen richtigen Begriff im Deutschen. Denn ein Leben ohne (Lohn-)arbeit ist für Nicht-Firmenchefs hier nicht vorgesehen, und auch keinem begreiflich zu machen.

Rein spasseshalber hab ich mich aber nun mal arbeitssuchend gemeldet und gleich mal die 21 Kalendertage Urlaub, die einem während der Arbeitslosigkeit zustehen, beantragt. Wie seit Monaten - natürlich rein unverbindlich - mit dem Service-Center besprochen, bin ich dann mit meinem Plan am ersten Tag meines krankheitsbedingten Ausscheidens aus der Lohnarbeit im Amt erschienen: erst Resturlaub, während dem mir keine Leistungen zustehen, und anschließend 21 Tage. Ganz so wie unverbindlich besprochen. Aber Service-Center ist eben nicht Arbeitsamt, oder heissen die jetzt Arge. Wen interessierts auch wirklich?

Unverbindlich heisst eben nichtssagend. Und um so mehr Sachbearbeiter haben dann mit Worten wie "Das steht alles in dieser Broschüre!" und "Hat der überhaupt schon mal was an uns eingezahlt?" auf mich eingeprügelt. Dass ich mich eigentlich nur kundig machen möchte und sie es doch bitte nicht persönlich nehmen sollten, schien in der allgemeinen Aufregung nicht durchzudringen. Erst auf die Aufforderung, mir die Auskünfte gegenzuzeichnen, auf dass ich sie prüfen lassen könnte, wurde dann doch ein wenig Gehirnmasse aus der Leistungsabteilung hinzugerufen.

Zum einen steht es nämlich nicht einfach in dieser Broschüre, sondern im Sozialgesetzbuch (ich habe Jahrzehnte in dieser Branche gearbeitet), und zweitens habe bisher eigentlich nur ich an "sie" gezahlt, aber von "ihnen" noch nie etwas erhalten. Dennoch scheint die verblüffende Gesetzeslage vorzuliegen, dass ich während meines Resturlaubs dem Arbeitsamt (bleiben wir bei diesem Begriff) dem Amt zur Verfügung zu stehen habe, ohne Anspruch auf Leistungen. Also arbeiten ohne Lohn - würde ich das mal sagen. Deshalb heisst es ja auch Arbeitsamt. Im Umkehrschluss würde das allerdings heissen, dass mir während der ganzen Jahre davor eigentlich das Arbeitsamt zur Verfügung stehen hätte müssen, ohne dafür Arbeitslosengeld abzudrücken. Ein seltsames Land und ein absurder Gedanke zu glauben, dass ich eingezahlt hätte, um nun die Leistungen des Arbeitsamtes in Anspruch zu nehmen.

Liebe Sachbearbeiter und Sachbearbeiterinnen, liebe Frontschweine der Arbeitsabwehr, für wen arbeitet ihr denn? Wer soll denn all das Geld bekommen, dass ihr mit solchen Methoden am letzten Arbeiter vorbeimauert? Wer sich da nicht schnell genug die Gehirnzellen abtötet, der verliert spätestens hier das letzte Fünkchen Respekt vor diesem Schbackenland. Wieviel Anstand kann da wohl noch übrigbleiben?

Mir soll's egal sein, ich nenn mich jetzt Privatiers und schau mal bei Stubenzweig vorbei auf ein Gläschen Bordeaux, um gemeisam den Tränen hinterherzuweinen, die dieses Land der Arbeitslager nicht verdient hat.
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Jenseits von Gut und Boese - die Umwelt der Touristenburgen Teil 1
Spätestens wenn der Orion den Saum der Dachziegel streift, wird auch dieser Text sein Ende finden, wird die Dünung der Worte verebben ... hofft mein gequälter Körper.
Wer das Tal der Könige, Valle Gran Rey auf Gomera, zu deutsch kurz Walle, besucht, sollte sich vorbereiten auf die Gräber lebendiger Toter. Wer hier den Frieden sucht, wird den Arehucas, den Rum der Kanaren, finden, sonst findet sein Herz den Tod.

Trommler und Gaukler am Strand? Ich lach mich tod. Um 5 vor zwölf schliesst hier die letzte Kneipe und verklingt der dumpfe Beat der Techno-Schalmei. Von Drumbeats keine Spur - ich muss schon sagen: zum Glück ist diese einzige Ausdrucksform der ansässigen Schbacken-Hippies endlich auf den Sonnenuntergang begrenzt worden. Vom Flair einer freiheitlichen Gesinnung der Langhaarigen kann man hier nur Träumen, denn träumen lässt sich bei diesen Sperrzeiten genug. Freiheitlich wird es erst, wenn alle im Bett sind.

Ich rauf mir die letzten Dreadlocks meines nicht üppigen Haares (Iro ist bei mit meiner Glatze leider nicht mehr möglich) und reiss mit das letzte Haar schon vor jeglicher Geisterstunde vom Kopf. Das letzte Gespräch wird ein Selbstgespräch.
Naja, sag ich mir, gib wenigstens den Geister eine Chance - im Tal der lebendigen Toten. Doch dann - ich halluziniere - doch, doch, ein Zicklein vom fernen Berge ... zwar kein Mensch, aber doch ein Säugetier ... es mäht. Ich versteh zwar kein Wort, aber es klingt wie ein Kratzen der Hufe in Gummistiefeln oder "Treib's nicht zu hart, du mein Hirte." Egal, ich bin mit dir, du Säugetier. Jeder Laut wird ein Freund - im Valle Gran Rey, nach Mitternacht. Frösche und Grillen bleiben die Alleinunterhalter der Nacht, die Alliierten meiner verbliebenen Sinnesreize. Rein vom Charakter muss ich wohl ein Insekt sein.
Und die Milchstrasse gibt mir Hoffnung, ich bin nicht allein, vielleicht sind all diese Lichter die Straßenbeleuchtung der Fluchtwege aus diesem Dasein.
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Denn nicht weit talaufwärts, in El Guro, da lebt die Verdammnis. Huschende Geistgestalten in Batik, mit Klangschalen bewaffnete Geishas und geräuschlose hauchende Achims, die sich weigern mich zu sehen - wo ich in meinen Neon-Sportklamotten aus der Kleiderkammer eigentlich ins Auge steche. Zumindest die Hummeln auf Blütensuche reagieren auf mich. Verbittert und verbiestert, die Liebe der Hippies - nicht für mich. Doch wie man so schön sagt: ohne das Böse könnten diese Menschen nicht gut sein.

Der Hippies? Ich muss mich verschrieben haben. Der Hippos! Den aggressivsten Tieren dieses Planeten. Happy Hippos eben, Menschen, denen es erst besser geht, wenn es anderen schlechter geht, ein Höhlenvolk, das sich am Leid anderer hochzuziehen vermag. Glück ist eben relativ.

Aussteiger-Schbacken, die aus den Grübelfalten ihrer siechenden Jugend noch ein verschmitztes Lächeln zaubern bei der Frage nach einem Nachtlager. Vom Tod scheinbar schon stark befallen wispert die waise Ingrid: "Was soll ich da sagen?" Ein einfaches "Leck mich am Arsch!" würde mir in aller Freundlichkeit schon genügen, doch selbst das ist zuviel erwartet.
Hier wäre selbst Jesus am Kindstod gestorben. Tagelang im Dreck der Gefühle sollte man sich wälzen, um wenigstens als Häuflein Schmutz ein Ecklein zu finden. Mein Tip: Vergiss es oder besser, brenn die Hütten ab, dann findet sich zumindest in der Asche ein wärmeres Plätzchen, als in den Herzen dieser Menschen, und morgens bist du der Phönix. Gott lob mir mein Leihauto nach Hermigua in die Kneipe "El Piloto" mit einem Kapitän als Besitzer, der weitere Fähren am Felsen auflaufen lassen könnte.
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