... warum es bei der erneuten Kolonialisierung Malis tatsaechlich um Menschenrechte geht - allerdings mehr um deren Beseitigung als Erhaltung - und wie sich der Westen hierbei erneut als der Aggressor im Duell mit China hervortut. (eine Fortsetzung von Westafrika - im Kreuzfeuer des Drogenhandels und Afrika muß sterben - heute Mali)
Nicht nur mir widerstrebt zu glauben, daß es Frankreich darum ginge, den von der Destabilisierung Libyens verursachten Kollateralschaden, wieder auszubügeln, wie es der Artikel "Vor und nach Timbuktu" in der Februarausgabe der le monde diplomatique zu beschreiben versucht. Man muss schon ausgesprochen naiv sein, um zu glauben, daß sich unsere Regierungen mit ihrer menschengerechten Art einen Fauxpas nach dem anderen leisten; geblendet vom eigenen Gutmenschentum. Mit so gravierenden Fehleinschätzungen und -handlungen schafft man es wohl kaum in die Top Ten der Rüstungsexporteure.
Aufgrund der vorübergehenden Schwächung Malis durch den Putsch in Bamako ergab sich für die Tuareg in Nordmali, das Azawad National Liberation Movement (MLNA), genau jene Gelegenheit, sich mit der AQIM, MUJAO und der von Algerien unterstützen Ansar Dine, Verteidiger des Glaubens, zusammenzutun und auf Bamako vorzurücken, also genau jenes Szenario, das der Putsch Sanogos und der niederen Militärs eigentlich verhindern wollte. Genau jenes Szenario auch, auf das auch die Franzosen und andere westliche Staaten nur gewartet hatten, um eine militärische Invasion zu starten (siehe Philippe Leymarie: The Sahel falls apart), auf die sie im Vorfeld schon bestens vorbereitet waren. Die scheinbare Sprunghaftigkeit Frankreichs, das Tage vor der Invasion noch davon sprach, daß es keinesfalls Bodentruppen schicken werde, die zu diesem Zeitpunkt bereits in und um Mali stationiert waren), hatte rein rethorischen Charakter. Der Handlungsverlauf des folgendschweren Dramas, das es für die Zivilbevölkerung immer ist, folgt einem schon vor Jahren geschriebenem Drehbuch.
Marginal geht es den Invasoren wohl auch um Menschenrechte, doch vorwiegend um deren Bekämpfung, so sich die Rohstoffe wie Uran, Gold und Öl, aus Ländern mit einer unterdrückten Bevölkerung wesentlich kostenreduzierter herausschaffen lassen.
Wie Finian Cunningham in seinem Artikel "West's 'Scramble for Africa' terror pretext in Mali" schreibt, hat der Westen die Handlung bestens im Griff und versucht seinen wirtschaftlichen Einfluß auf Afrika militärisch auszubauen. Hierbei dürfte Nordafrika und Mali erst der Prolog sein. Man wird weitere Krisengebiete schaffen und low-intensity-conflicts schaffen müssen, um sich Chinas Teil vom Kuchen wieder zurückzuholen. So titelt auch der Land Destroyer Report: NATO löst afrikanische Terrorwelle aus.
William Engdahl: "... frankly, I think al-Qaeda in northern Maghreb is a very suspicious operation and the timing of its activities coming over the border suggests that perhaps some NATO countries might be helping the al-Qaeda group to get military weapons and create the Chaucer’s belly that justifies NATO intervention. I think we’re seeing a very cynical game being played out here in Mali and it’s a very dangerous one when Africa is suddenly becoming a continent that’s been discovered by China, by the US and Europe and the rest of the world as the next place where untold wealth and resources can be captured."
Der Westen wird sich mit dieser erneuten agressiven Kolonialpolitik wieder mal keine Freunde machen. Und die Reaktionen Chinas, das sich solcher Methoden bisher verwehrt, werden uns vermutlich nicht viel Freude machen. Nur sollten wir nicht wieder den Fehler machen, zu glauben, daß es abermals eine Dummheit unserer Regierungen sei. Die scheinbare Kurzsichtigkeit solcher Aktionen hält für die beteiligten Unternehmen und Institutionen enorme Gewinnsummen bereit, deren Schaden wir als nicht gewinnbeteiligte Bevölkerung erst Jahre später zu bezahlen haben. Aber darin haben wir ja mit den Banken über die Jahre ausreichend Erfahrungen gesammelt.
Daß sich in den letzten 20 Jahren nicht viel getan hat, zeigt der olfaktorische Eindruck von Achill Moser, den es damals in die gleiche, von mir in "Bamako Blues I" beschriebene Herberge verschlagen hat. "Nur mit Mühe und Not konnten wir im Hotel 'Majestic' Unterschlupf finden, wo ein schlimmer Modergeruch herrschte. Es stank nach Schweiß und Küche, nach dem Atem der Menschen und nach Abfall. Überall hatte sich dieser faulige Geruch festgesetzt, in jeder Ecke, unter der Treppe, hinter den Schränken und unter dem Fußboden."
(Achill Moser in "Nil und Niger - Abenteuerliche Flußfahrten durch Afrika", 1989, S.75)
Meine Nerven entkrampfen sich, als wir Bamako verlassen.
Heraus aus dem ölig-schwarzem Stadtschlamm in den trockenen Lehm, raus aus dem in Smog getauchtem Niedergang - wobei Städte für mich ganz allgemein eine moralische Abwertung darstellen.
Ein Dorf mag zumeist noch viel ärmer sein; seine Lehmhütten wirken ohne Kontrast dennoch nicht wie ein Slum.
Mag dieser Eindruck noch so falsch sein, mir tut's gut.
Auf nach Segou
um wie Mungo Parks endlich einzuschiffen, der unendlichen Wassermusik zu lauschen - die nun an Bord nicht mehr so "malienne" klingt, sondern stark nach DJ Arafat von der Elfenbeinküste. Keine Kora mehr und kein Balofon, sondern aussagekräftige Wummerboxen.
und das Land in einer gewissen Entfernung an sich vorbeischaukeln zu sehen. Und wir haben Glück, daß auch das Schiff
zum gleichen Zeitpunkt auftaucht wie wir, dorthin will, wohin wir wollen, und sich auch noch Tickets ergattern lassen.
Die Plastikschüsseln und Nylonsäcke weggedacht, wähne ich mich im 19.Jahrhundert, während das Schiff den ganzen Tag über beladen wird.
Ich halluziniere eine steifes Englisch aus der Nachbarkabine. Mungo? Nicht die Bohne. Es sind die sprechenden Insekten, die uns auf unserer Fahrt begleiten, und derentwegen man nachts lieber nicht noch ein Buch im Schein der Lampe ließt.
Nachdem wir überraschenderweise nicht von Wilden mit Pfeil und Bogen beschossen und nicht von räuberischen Kanuten geentert werden, genießt der Uferrand unsere volle Aufmerksamkeit.
Der Uferstreifen wirkt wie ein Bilderrahmen und läßt die afrikanische Weite nochmals expandieren. Das auf Lehmschichten ruhende Grün der Steppe läßt uns vergessen, daß wir eigentlich durch das von Dürre heimgesuchte Sahel treiben.
Erst als ich den aufgedunsenen Kadaver einer verhungerten Kuh seitschiffs entdecke, fällt mir wieder ein, daß nicht nur Menschen hier reihenweise verhungern - eine Dürrezone direkt am Wasser, wie seltsam.
Vermutlich verhungern sie aber nicht freiwillig. Bei uns an Bord gäbe es ausreichend zu essen.
In der Trockensteppe vor einem endlosem Resservoir aus Wasser zu stehen und dann zu verhungern - irgendwie bizarr.
Daß Afrika auch schon vor der Ankunft der ersten Weißen ganz gut zu helfen wußte und der Kulturimport Europas vorwiegend aus billigen Glasperlen und Waffen, um sich gegenseitig abzuschlachten, bestand, zeigen die mehrstöckigen Lehmbauten, die sich in das Landschaftsbild einpassen wie Termitenhügel.
In der zweiten Nacht wirft mich ein Ruckeln fast aus der Koje. Der Schiffsmotor heult auf als hätte er einen Alptraum. Im Flutlicht des Beiboots sehen wir, daß wir uns eigentlich schon an Land befinden. Von der Schiffsschraube aufgewühlt wirbelt hellbraunes Wasser auf aus der Ritze zwischen Ufer und Bordwand. Wir stecken so gut wie fest. Unser Boot wird zum Amphibienfahrzeug und wandert zentimeterweise vorwärts. Wir graben uns stundenlang den Niger abwärts. Jetzt leuchtet auch ein, warum sich ein Zeitplan für dieses Schiff nicht wirklich lohnt. Der afrikanische Zeitbegriff ist nach meinem Empfinden viel bodenständiger als der eines heimatlichen Busfahrplans. Wenn man ankommt, ist man da.
Meine Unterlippe ist von einem Stich so geschwollen, daß wie halbseitig gelähmt beim Trinken die Hälfte wieder entweicht und mein verschwitztes Hemd durchtränkt. Die vom Stich geschwollene Lippe muß eine der Grundlagen der afrikansichen Sprachen sein und hat sich so vermutlich genetisch gehalten.
Meine verbrannte Haut ist so gespannt wie eine afrikanische Trommel. Leicht erhitzt, eine subkutane Hitze - hoffentlich von der Sonne und nicht von Würmern die es sich unter der Epidermis bequem gemacht haben. Ich fühle mich fiebrig unter einer Dusche von kaltem Schweiß; ein seltsames subtropisches Fieber bei leicht unterkühlter Körpertemperatur. Die Körperheizung kann mit den Außentemperaturen nicht mithalten.
Die ausgesprochen enge Koexistenz zwischen Mensch und Insekt in äquatorialen Breitengraden - die furchtlosen Kakerlaken im Abendessen und all die Käfer jeder Knopfgröße - zeichnen jeden Tag ein neues Tatoo auf meine exponierten Körperstellen.
Die Stiche sind nur schwer zu unterscheiden von den Blasen und entzündeten Stellen, an denen täglich nicht körpereigene Objekte entweichen. Letztere nützen jede Chance, sobald sich genügend Körperflüssigkeit ansammelt. Allerdings bin ich ständig dehydriert, sonst sähe ich wohl eher wie ein vereitertes Kuheuter aus. Das Gute daran: sobald ich mich verletze, schließt mein Körper dieses Einfallstor für Infektionen augenblicklich in einer Art Schockreaktion.
Ich habe vergessen, meine chronisch laufende Nase zu erwähnen, die sich in Kombination mit der subkutanen Hitze wie Erkältung anfühlt. Ein klassisches Problem für Reisende in wüstenähnlichen Gebieten und ein bizarres Gefühl bei 40 Grad im Schatten. Wüstenfieber eben. Ganz im Gegensatz zu Asien sind Taschentücher in Westafrika erhältlich, während Toilettenpapier seinen Weg hierher noch nicht gefunden hat; oder sind es die Importbeschränkungen.
Mein Bäuchlein wächst trotz Mangelernährung. Man kennt das von den Hungerkatastrophen im Sahel. Die Innereien arbeiten jedoch ganz regulär. Und obwohl wir nicht nur aus verschweißten Flaschen trinken, Salat und Früchte essen, und vorwiegend Dinge bestellen, von denen wir noch nie gehört hatten, zeigt sich bisher kein Durchfall - genannt der Banjul belly.
Nachdem wir uns mehr aus nostalgischen denn aus Kostengründen dem lupenreinem Hotel Tamana
verweigern, sind wir im Hotel Lac Debo, Ex-Majestic,
abgestiegen. Der Patio, mit seiner bemoosten Glasüberdachung, ist vollgestellt mit Reliquien, die noch aus der französischen Kolonialzeit stammen sollten.
Ganz allgemein scheint die Unterkunft mehr zu verwittern als sie jemals existiert hätte. Die einzige Putzfrau sind die lauen Lüftchen, die hin und wieder durch die Gänge streifen. Einzig koloniale Restbestände wie der ermattete Badezimmerspiegel zeugen von besseren Zeiten. Die wie ein magisches Artefakt in der Ecke lehnende Clobürste, der man nicht zu nahe kommen sollte, scheint dafür geschaffen, den Enddarm davon abzuhalten, seine Arbeit zu tun, dafür geschaffen, das Essen da zu halten, wo man es nicht sehen kann. Auch die vorhandene Seife ist diebstahlsicher mit dem Waschbecken verwachsen. Der Stoffetzen, der die Toilette vom Zimmer trennt hängt an einem Besenstil mit Nägeln, der sich wie eine Giftschlange auf einen stürzt, sobald man versucht, das stille Örtchen zu besuchen. Das Schloß an der Tür wird auch ohne Berührung keine Woche mehr überleben, ehe es komplett als staubiger Rost mit den lauen Lüftchen weiterreist. Im Zimmer ist nichts außer einer Glühbirne und zwei Betten, die von den Tonnen an Fleisch, das sich bisher über sie gequält haben, so ausgelegen ist, daß es mehr Illusion als Matratze.
Jesus hätte sich hier pudelwohl gefühlt, denn einzig die Ecken erinnern noch entfernt an Schaumstoff. Um nicht direkt auf den Holzlatten zu liegen, strecke ich mich des nachts wie ein Gekreuzigter und benütze meinen aufgeblasenen Bauch als Luftkissen.
Im Endeffekt finde ich es sehr löblich, daß in Afrika Fensterputzen unter Todesstrafe zu stehen scheint, denn so fühlt man nur, was man nicht sehen kann.
Warum man das Ex-Majestic unbedingt dem Tamana vorziehen sollte ist die Lage. Denn im alten Zentrum - heute gibt es wohl eher kein Herzstück mehr in Bamako - liegt auch das libanesisch geführte "Cafe Central",
in dem an genau jenem Tisch auch schon Pabst Johannes XII. saß.
Vermutlich hat auch er in genau jenem Bett übernachtet, in dem man sich wie Jesus am Kreuz fühlt.
"Die Nationen der Welt lassen sich, grob gesprochen, in zwei Gruppen einteilen: die Lebenden und die Sterbenden." Lord Salisbury, Premierminister GBR, 1898 i Royal Albert Hall, zitiert aus "Durch das Herz der Finsternis" von Sven Lindqvist (S.204)
Wir fahren Richtung Mali und zum Glück ist es noch 3 drei Jahre hin, ehe 2012 Präsident Präsident Amani Toumani Touré vom Militär gestürzt wird. Abermals - wir kennen das von einem Afrika, dessen Bevölkerung noch eine Alterspyramide bildet, die an einen Weihnachtsbaum erinnert und nicht vergreist mit Rollatoren über die Steppe fegt - ist es ein junger Offizier, namens Amadou Haya Sanogo, der den alten Präsident - selbst durch einen Coup an die Macht gekommen - vom Hocker holt. Al Jazeera gibt uns hier einen kleinen Einblick.Anders als Thomas Sankara, der Che Afrikas, ist es diesmal ein von den Amerikanern ausgebildeter Offizier. Was ist passiert und wie dürfen wir das westliche Pressegezeter von wegen "Och, es war doch so stabil und demokratisch." deuten. Mali war und ist in jedem Fall stabil bitterarm, das "Och" hätte eigentlich schon früher mal ausgesprochen werden sollen, wenn es denn von Herzen käme. Ich spreche die Gefühlsregung des Mitleids selbst den Gutmenschen nicht ab - immer in Verbindung mit der Angst, daß sich dadurch der eigene Lebensstandard nicht ändert und die Importgüter nicht so 'unverschämt' teuer werden.
Gutmenschentum und Demokratie sind Gewächse, die sich vom Überfluß nähren, jenem Überfluß auf Kosten anderer. Und damit war Mali auch vor Jahren nicht gesegnet. Präsident Toure war Herrscher eines Landes, das als Drehscheibe und Transitland im Drogenhandel gedient hat - wie der Absturz einer venezolansischen Boing 2009, beladen mit mehreren Tonnen Kokain, zeigt.
Auch die Entführungen von Touristen im Norden des Landes, wo nun die Tuareg sich militärisch nach Süden bewegen und inzwischen die Gebiete bis Timbuktu erobert haben.
Beides wird von Präsident Toure in einem gewikileaktem Dokument angeschnitten.
Wie ernst die Sorge Toures um die Stabilität des Landes war und ob es seine angebliche Bereitschaft war, mit den rebellierenden Tuareg konstruktiv zu verhandeln, die schließlich zu seinem Sturz geführt hat, ist schwer zu sagen.
Namibia jedenfalls wirft der Nato vor, nach deren Unterstützung für den Umsturz in Libyen auch den in Mali voranzutreiben, um seinen eigenen Nutzen aus dem Chaos zu ziehen.
Denn beide Konflikte, der Bürgerkrieg in Libyen und das Vordringen der Tuareg-Rebellen bis Timbuktu/Gao, stehen im engen Zusammenhang.
Auch die kleine Ethnologin stellt sich diese Fragen mit dem Hinweis darauf, daß der Coup in Mali nur wenige Wochen vor der Wahl stattfand, bei denen Toure zurücktreten wollte. Auch daß der malische Putschist Sanogo von den den USA ausgebildet wurde, rückt die Situation in ein gewisses Licht.
Festzustellen ist, daß sich die wunderschöne Reise auf dem Niger von 2009 durch Mali nun nicht mehr so schnell wiederholen läßt. Für die leidgeprüfte Bevölkerung Malis wird sich die Situation weiter verschlechtern, der Drogenhandel wird sich weiter ausbreiten und wenige reiben sich ihre gierigen Hände. Mich würde es wundern, wenn diese Hände nicht weiß wären. So schreibt sich also die Wassermusik dieser Tage.
Der europäische Völkermord im Herz der Finsternis - damals wie heute
Hintergründe sind der Bildzeitung eigentlich nur aus Zeiten der halbnackten Covergirls bekannt und so darf es nicht verwundern, daß wir beim Thema Charles Taylor, dem Schlächter von Liberia und Sierra Leone, nicht ein Wort über den historischen Bezug des Händeabhackens erfahren. . Da läßt sich leichter vergessen, daß es sich sozusagen um eine belgische Erfindung unter Leopold II. handelt, wie der Film "White king, red rubber, black death" uns das vor Augen führt.
"Ich werde ihnen meinen Kongo geben", hatte Leopold II. verfügt, "aber sie haben kein Recht zu erfahren, was ich dort getan habe." (Die Zeit - "Gulag im Dschungel") Mark Twains Buch "König Leopolds Selbstgespräch" zeigt uns, daß dieser belgische Schlächter in seinen Bemühungen keineswegs allein stand.
Nun haben wir endlich einen Namen - Charles Taylor - mit dem wir die Vergangenheit überkleben können. Kindersoldaten und Blutdiamanten - letztere waren es schließlich, mit denen die internationale Gemeinschaft ihn vor dem internationalen Gerichtshof zu Fall brachte. Wer diese Diamanten schließlich gekauft hat, um seinen Heiligenschein zu schmücken, sollte uns allerdings nicht interessieren.
Selbst der heutige Blick auf den Kongo Leopolds verdeckt, daß es sich hierbei vorwiegend um ein gesamteuropäisches Projekt handelt - siehe Kongokonferenz von 1885/1885.
Die europäische Geschichte des Kongo hat sich bis heute nicht geändert. 1961 wurde Patrice Lumumba unter belgisch-amerikansichem Beistand gestürzt und ermordet, ehe er den Kongo für die Kongolesen demokratisch zurückeroben konnte. Und so herrscht Europa mit Gewalt und Elend ohne Ende bis heute über sein von Untermenschen und Bestien bewohntes Rohstoffreservoir. Die Schuld trägt Afrika allein - "Exterminate all the brutes".
Bis zur Entdeckung des Chinin als Malariaprophylaxe war zumindest das Hinterland Afrikas relativ sicher vor den todbringenden, bleichgesichtigen Kolonialherren, die so bis circa 1850 wie ein Schimmelpilz nur an den Rändern des Kontinents ihre Ideen von Zivilisation zur Geltung bringen konnten. Bis 1900 schießlich ist der Kontinent durchsetzt von und aufgeteilt zwischen den europäischen Kolonialstaaten. Der Kongo wird persönlicher Besitz des belgischen Königs Leopold II.
Der Export von Sklaven ist weniger wegen seiner moralischen Komponente verpönt, sondern vorwiegend, weil diese nun in Afrika selbst benötigt werden, um Elfenbein, Kautschuk etc zu extrahieren - selbstverständlich weiterhin als Sklaven. Die überschüssigen Massen dieser "schwarzen Bestien" werden in wahren Blutorgien hingemetzelt. Ach, was nervt mich mein sachliches Geschwafel. Ein Blutrausch war das, was Europa da veranstaltet hat.
Daß die Blumenbeeteinfriedung von Herrn Marlow aus Joseph Conrads "Herz der Finsternis" aus den Totenköpfen der Abgemetzelten bestand, ist im Grunde ein Euphemismus - wer, dieser Opfer der aufgeklärten Zivilisationen, wäre nicht froh, wenigstens im Tode für etwas gut zu sein.
Geschichtlich verklärt begreifen wir die Expedition des Kapitän Voulet (siehe "The Killer Trail") als einen von uns abgetrennten Teil der Vergangenheit. Mit uns hat das nichts zu tun, wenngleich wir die hübschen Kolonialbauten unserer Hauptstädte auch gerne mal im Vorbeigehen bewundern, mit der Eiswaffel in der Hand.
"Klobb stieß auf Männer, die lebendig aufgehängt worden waren - niedrig genug, daß die Hyänen ihre Füße fressen konnte, während der Rest ihrer Körper für die Gier blieb." (Sven Lindqvist: "Durch das Herz der Finsternis"; S.240). Klobb der Gute, der Voulet des Kommandos entheben sollte, weil dessen Schlächtereien durch eine Art koloniales Wikileaks bis in die Sonntagszeitungen des Good Old Europe vorgedrungen waren.
"Am 13.Juli hatte Voulet einhundertfünfzig Frauen und Kinder hinrichten lassen ..." (S.242) Am 14.Juli ließ Voulet Klobb erschießen. ("Riding the Demon: On the Road in West Africa").
"Ich bin ab sofort kein Franzose mehr. Ich bin ein schwarzer Häuptling, sagte Voulet." (S.243) Und irgendwie muss man zwangsläufig an Kurtz denken - aber nicht jenen aus dem "Herz der Finsternis", sondern an sein Remake aus "Apocalypse Now".
Alles Filme, alles Bücher, alles Fetzen aus einem Geschichtsbuch. Nicht Teil unserer moralischen Fundamente, die den Westen heute zum Verteidiger der Demokratie und der Menschrechte machen. Auch kein Bezug zum Holocaust (siehe Historikerstreit), den Hitler mit ein paar Henkersknechten gepachtet hat.
Da mag die Bevölkerung des Kongo unter der Herrschaft König Leopolds II. um rund die Hälfte reduziert worden sein und einem großem Restanteil die Hand abgehackt (siehe Kongogräuel) ... mit uns hat das nichts zu tun. Und wir können auch nicht verstehen, warum sie jetzt plötzlich Geschäfte mit China machen. "Diesen Verachtern der Menschenrechte!"
Die freundliche Deutung dieser westlichen Sicht der Dinge ist, daß, was auch Voulet schließlich vorgeworfen wurde, uns einfach die Hitze zu Kopf gestiegen ist und wir komplett die Realität aus den Augen verloren haben. Eine andere Sicht wäre, daß wir im Laufe der Zivilisationsgeschichte so scheinheilige wie bleichgesichtige Monster geworden sind und uns die Leichenberge bei weitem noch zu niedrig sind. Daß wir im Endeffekt die Eliminierung von allem und jedem herbeisehnen, was wir nicht als unser Eigen sehen. Unser Motto hat sich zumindest in den letzten hundert Jahren in keiner Weise geändert. Wie Sven Lindqvist in seinem Buch zu Recht feststellt. Wir alle heißen Kurtz. "Exterminate all the brutes!"
A short history of killer nations - Europa in Afrika
Das Thema Kolonialismus scheint nicht vergessen, aber doch verwischt. Um zu zeigen, daß wir eben doch die Erfinder des humanistischen Ideals und der Menschrechte sind, erfinden wir wie im Stakkato immer neue Wörter für das, was wir innerlich immer noch Neger nennen. Erst schwarz, dann farbig, schließlich Afroafrikaner, andersfarbig oder Inhabitant des Trikont. Im Grunde bleibt es ein unterentwickelter Neger.
So lehrt uns die Bundeszentrale für politische Bildung: "Demokratien werden unglaubwürdig, wenn sie sich nach außen hin nicht denselben Werten verpflichtet fühlen, die sie nach innen als verbindlich erachten: Frieden, Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, Gleichheit und Recht auf individuelle Entwicklung. Die meisten dieser Werte liegen in Afrika noch immer im Argen. Deutschland kann zur Überwindung dieses Mißstands einen Beitrag leisten.""
Vermutlich ließe sich argumentieren, daß nur wir Europäer und Nordamerikaner durch unsere Geschichte des Massenmords und Genozids ein modernes Menschenbild und eine so ehrenwerte Form der Demokratie entwickeln konnten, daß es einzig uns vorbehalten ist, andere darüber aufzuklären und zu lehren, wie es läuft.
Wie dreist, wenn der derzeitige Präsident Tunesiens Marzouki in einem Interview mit Julien Assange davon spricht, daß er sich von Personen im Weißen Haus lieber nicht erklären läßt, wie sich diese herrliche Demokratie nun auch in seinem Land einführen ließe.
Die westliche Welt entrüstet sich über den wachsenden chinesischen Einfluß in Afrika. China, das die Menschenrechte so wenig achtet wie ... wir? China, das nur daran interessiert ist, so viele Rohstoffe wie möglich, so billig wie möglich dem afrikanischen Kontinent zu entreißen. Selbst das bundeseigene Sprachrohr für politische Bildung gibt zu bedenken, daß wir das eigentlich niemals anders gehandhabt haben:
"Vor ihrer Unabhängigkeit in den 1950er und 1960er Jahren war bis auf die Länder Äthiopien und Liberia der gesamte afrikanische Kontinent in den Händen europäischer Kolonialmächte. Die Kolonialisierung Afrikas blieb wie schon auch der Sklavenhandel ab dem 15. Jahrhundert nicht ohne Folgen für die weitere politische und wirtschaftliche Entwicklung des Kontinents. Um nur ein Beispiel zu nennen, in der kolonialen Epoche nahm die einseitige Ausrichtung der afrikanischen Wirtschaften auf den Export von Rohstoffen ihren Anfang und hat bis in die heutige Zeit den Entwicklungsprozess Afrikas erschwert. ... Solange die EU-Agrarpolitik weiterhin subventionierte Produkte auf den Weltmarkt bringt, die die heimische Produktion in Afrika verdrängen, ist auch nicht zu erwarten, dass die afrikanischen Länder von diesen neuen Handelsregelungen profitieren."
Bevor wir also unsere Reise Richtung Mali fortsetzen, wollen wir in den nächsten Tagen erstmal einen korrigierenden Blick in den Spiegel werfen, auf unser eigenes Erscheinungsbild in Afrika, auf eine ausgebleichte Fratze von Neid und Mordgier. Und wer möchte, darf als Hausaufgabe gerne schon mal im "Herz der Finsternis" von Joseph Conrad schmökern und sich Gedanken darüber machen, warum auf unseren Fahnen eigentlich abgehackte Hände wehen sollten.
Toleranz ist ein dehnbarer Begriff und so flexibel wie der Drogenhandel selbst. "Zero Tolerance" - das hat man schon gehört, von bedeutenderen Personen als vom Präsidenten Gambias, Yayha Jammeh. Derzeit etwas überlagert vom "War against Terror" glimmt noch ganz schwach der "War against drugs" in unserem Gedächtnis, propagiert vom Ex-Alkoholiker George Bush, dem auch Kokain und dessen Vertriebswege nicht ganz unbekannt sein dürften (siehe auch), und Bill Clinton, dem ehemaligem Governeur von Arkansas, Heimat des Drogenumschlagplatzes Mena. (siehe und siehe und siehe)
Zwei Namen, ein Gesicht - zwei Gesichter, ein Prinzip. Selbst der Drogenhandel wird heute unilateral betrieben. Es wird klar, daß es für den Waffenhandel von enormer Bedeutung ist, nicht nur Kriege, sondern auch den Drogenhandel zu kontrollieren und am Laufen zu halten wie in "Where the War on Terror Meets the War on Drugs" beschrieben und erst kürzlich im Dezember 2010 in der Operation Fast and Furious oder der etwas abgewandelten Variante deutlich zu Tage getreten ist. Sprich: daß es für die führenden Waffenexportnationen überlebenswichtig ist, daß der Krieg gegen die Drogen eben nicht gewonnen wird.
Die Links sind nur ein kleiner Querschnitt der schier inflationären Dokumentation, denn irgendwo wollen wir auch wieder zurück nach Afrika und speziell nach Gambia, wo wir all das am eigenen Leib erleben durften.
Was sollten wir von Westafrika auch erwarten, als daß es genau in diesen Strudel hineingezogen wird - als Spielball der "Big Players". Kriege und Chaos, Menschenrechtsverletzungen, sich selbst überschlagende Umstürze am Transit zwischen Südamerika und Europa und, weil das noch nicht reicht, Öl und Bodenschätze. Sozusagen eine Art Anzuchterde für die sich weltweit ausbreitenden Machenschaften der politischen Pestilenz.
Vergeßt die Erdnussfarmer im Senegal. Hier spielen die ganz Großen, the main-fuckers of politics and crime, hier verstehen wir, was mit Toleranz gemeint ist, bzw. der Nulltoleranz - zwei Begriffe, ein System. Ob War on Terror oder War on Drugs, wichtig und im Gedächtnis, in der Ader, im Körper des Bürgers, bleibt nur ein Grundtenor, eine alles überlagernde Melodie: Krieg, Terror, Drogen und all ihre kleinen Geschwister.
Warum sollte er nicht auch ein Stück vom Kuchen wollen, wenn andere - oder war es doch sein Deal - mit über 2 Tonnen Kokain durch seine geliebte Heimat schippern, ohne die übliche Transitsteuer zu entrichten. Nennen Sie mir einen einflußreichen Politiker, der sich bei dieser Profitrate von den Kollaterlschäden auf die Zivilbevölkerung abschrecken läßt. Selbst wir als touristisches Treibgut profitieren zumindest vom Zigarettenschmuggel, die seit Gamiba für unter einen Euro zu bekommen sind - Guinea-Direkt-Import.
Wir haben das schon begriffen, wenngleich wir uns auch streuben, Gebühren für nicht notwendige Visa zu entrichten. Aber wir wußten, wo wir in der Hackordnung stehen, als weiße Touristen in Soma.
Unser Bus füllt sich letztendlich doch, ohne daß wir Schmiergeld zahlen und es geht weiter. Weiter weg von deutschen Botschaften und Hubschrauberlandeplätzen, weiter weg von der uns bekannten Zivilisation,
Richtung Janjanbureh, der ehemaligen Hauptstadt. Jetzt endlich auf den Spuren von Mungo Parks, die wir nun nach über hundert Jahren endlich riechen und schmecken können, am Malariagehalt der einheimischen Bevölkerung. Nicht nur die Zeit hat ihre Grenzen verloren, sondern auch Moral und das Vertrauen in europäische Weltbilder verschwimmen immer mehr in der Gluthitze und dem täglichen Kampf um das Wesentliche
Gambia kennen die meisten nur von seiner schmalsten Seite her, dem Küstenstreifen rund um die Hauptstadt Banjul. Wir aber nehmen es in der vollen Breitseite, also an seiner schmalsten Stelle, seiner Taille mit rund 40km im Durchmesser. Ehe wir bemerken, daß wir wirklich schon im Land sind, haben wir es mit unserer Reisegeschwindigkeit, die wir nun endlich aufgenommen, auch schon halb durchquert, den Gambia River bereits überquert und kommen erst kurz vor der südlichen Grenze zur Casamance in Soma zum Stehen. Soma, ein ausgetrockneter Trans-Gambia-Zellkörper. Bisher alles ohne Grenzkontrolle oder sonstige Offizialitäten. Wir sollten uns einfach bei der örtlichen Polizeistation melden.
Endlich englischsprachig. Wir können wieder ganze Sätze bilden und verstehen auch plötzlich die Antworten, was die Sachen nicht unbedingt einfacher macht, denn nun können wir uns aus verschiedenen Stiuationen nicht mehr mit unserer sprachlichen Unbedarftheit davonstehlen.
Um den Einreisestempel zu bekommen, bedarf es schließlich eines gewisssen Verhandlungsgeschicks, ohne für ein Visa, das wir aus unserer Sicht nicht benötigten, bezahlen zu müssen. Selbst die wiederholte Drohung, uns nach Banjul zu schicken, was wir unter allen Umständen zu vermeiden suchen, scheitert an der resoluten Weigerung meines Reisekollegen - ein sonst eher ruhiger, besonnener Mensch, der sich in dieser Sitaution lieber die Hände abgehackt hätte als auch nur einen Dalassi (so die Währung) aus der Tasche zu ziehen. Das hat dann schließlich die nötige Wirkung auf den örtlichen Polizeichef. We win.
Soma, das keine westlichen Touristen kennt, bietet uns alles, was es auch Einheimischen zu bieten hat. Eine sporadische Unterkunft im Truck-Stop Moses Motel
am sandigen Trans-Gambia-Highway, der es nicht schaffen wird, jemals mit Asphalt in Berührung zu kommen.
Horden von Mosquitos, die auch vor Spray und Netzen nicht zurückschrecken. Immerhin ein Ventilator, der, wenn mal Strom ins Netz geschossen wird, mehr Lärm als Wind von sich gibt. Endlich im tropischem Gürtel, raus aus dem Sahel. Die Luftfeuchtigkeit nimmt stark zu, so daß ab heute jede Nacht schweißgebadet und man aufpassen muss, sich im Schlaf nicht selbst zu water-boarden.
Inzwischen hab ich auch T.C.Boyles "Wassermusik" im Gepäck gefunden, kann ihn aber nicht lesen, denn entsprechend der Stromsituation ist man sich auch nicht sicher, ob die Glühbirne nun brennt oder nur so tut.
Den Tag verbringen wir zum Großteil damit, unter dem "bus-stop tree" in die große afrikanische Familie hineinzuwachsen.
Seit Mbour/Senegal hat die Zeit aufgehört zu existieren. Dinge passieren unabhängig von jeglichem Zeitplan. Wir warten apathisch, in der Hoffnung, daß sich genügend Mitreisende finden, der Bus um ein mehrfaches seines Eigengewichts beladen wird und der Troß sich in Bewegung setzen möge.
Innerhalb weniger Stunden haben wir etliche "best friends", die alle "best soccer" spielen und eigentlich nur auf den geeigneten Moment warten, um in erste deutsche Liga berufen zu werden.
Man mag vor Abreise sich über all die traumatischen Tropenkrankheiten informiert haben. Bei Temperaturen um die 40 Grad sind diese Gedanken wie weggewischt. Wir essen und trinken, was sich uns bietet.
Salat, Früchte, Wasser aus unverschweißten Flaschen und die selbstgemachte Eiscreme. Assimilierung ist ein oft harter, so doch langfristiger Überlebensplan.