Im Labyrinth der Paywall- und Cookie-Monster

Die Bettelpresse als Notenpresse

Seit das mit den Cookies und dem Abfischen von Informationen nicht mehr so reibungslos läuft, erschrecke ich manchmal, wenn beim Aufruf einer Internetseite kein "Einstellungsfenster" oder eine "Cookie-Control" sich ins Bild drängt und das Weiterlesen erstmal unmöglich macht.

Ist die Internetverbindung zusammengebrochen? Nein, es gibt noch Seiten, die keine Cookies abrufen, Informationen auf unserem Gerät speichern oder abrufen wollen und unser Leseverhalten an hunderte von Trackern und Datensammlern weiterleiten.
Hat man das dann mal geklärt, indem man entweder allem zustimmt oder sich ablehnend durch ellenlange Bestimmungen geklickt hat, erscheint endlich ... die Paywall, der Abo-Block, die Aufforderung doch bitte Geld dafür zu zahlen, um den großartigen oder vielleicht auch grottenschlechten Artikel lesen zu dürfen.

"Wie glauben, jeder hat das Recht, qualitative, unabhängige und faktische Nachrichten zu lesen ... Die Presse war noch nie so vital. Niemand schreibt uns eine Agenda vor oder 'zensiert unsere Zensoren'. Deshalb können wir Sie täglich mit unabhängigen Nachrichten versorgen."

Leider kann ich das nicht im Geringsten so sehen.
Fangen wir doch mal mit 'vital' an. Vital waren die Blogger, lange bevor 'die unabhängige Presse' die Trefferliste unserer Suchen überflutet hat und das Internet mit Artikeln spamt, die oftmals Wort für Wort identisch sind. Ehe man dreissig Artikel mit gleichem Inhalt aufruft, sollte man sich besser auf ein Zentralorgan wie die 'Pravda - Westausgabe' einigen, statt sich dem lausigen Copy&Paste-Journalismus hinzugeben.

Weiters glaube ich, dass jeder das Recht hat, zu lesen was er will und selbst zu entscheiden, ob er es qualitativ hochwertig findet. Ich finde zum Beispiel die "le monde diplomatique" - ganz im Vergleich zur flachbrüstigen Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung, um nur eine zu nennen - ein gutes Beispiel von hochwertigem Journalismus, weshalb ich da auch bereit bin die Printausgabe zu abonnieren - obwohl sie (von drei aktuellesten Ausgaben abgesehen) ältere Artikel komplett ohne 'Paywall' oder 'Cookie-Spy-Control' ins Netz zu stellen. Und jeden Artikel kann man sich dann auch noch vorlesen lassen.

Wer mal was tiefgründiges zu Nagorno-Karabah lesen will, dem empfehle ich The Saker. (Auch interessant, obwohl etwas parteiisch: Azerbayjan Today) Hintergründiges zu den USA beim Moon of Alabama. Und wem es nichts ausmacht, dass Information einfach mal Schwarz-auf-Weiß ohne Bilder in reinem HTML rübergebracht wird, der ist bei Fefes Blog gut aufgehoben. Alles immer ohne Paywall oder Cookie-Scheiß.

Aber einfach von den zwei, drei großen Presseagenturen wie Associated Press abkupfern, um schließlich die Nutzerinformationen weiterzuverschachern und schließlich noch um Geld zu betteln, dass Leute die Nachrichten lesen dürfen, die man selbst für die einzige Wahrheit hält, das ist untereste Schublade.

Ich muss sie garnicht aufklicken, die deutsche Presselandschaft von heute, um zu wissen, was drinsteht: Für den Guten Biden wird es knapp, der Anschlag von Wien war feig, die Chinesen sind fies und das Wetter so lala.

Wenn für Nachrichten heute noch gezahlt wird, dann durch Erpressung wie die Gebühren für das öffentlich-rechtliche Staatsfernsehen, durch die eingeblendete Werbung oder durch jene, die wollen, dass diese Nachrichten verbreitet werden oder jene Informationen zurückgehalten werden.
Aber für Artikel, die uns erklären wollen, dass China unsere Turnschuh-Industrie klaut oder die Russen mit Militärausgaben von 446$ pro Kopf pro Jahr an der Ostgrenze lauern (USA 2200$, Frankreich 766$, BRD 587$), der sollte eigentlich Geld dafür zahlen, dass er solche Nachrichten verbreiten darf.

Ganz ohne doppeltes Abkassieren, ohne Associated Press und das ganze PiPaPo, sondern einfach mal Nachrichten aus einer anderen Welt von der Yemen News Agency, aus dem Iran von Tasmin News Agency, sogar auf deutsch die Beijing Rundschau, aus Libyen der Libya Herald. Als Geschenkidee für Weihnachten der wunderschöne Maßkrug aus dem Online Shop der Afghan Online Press und real wild news aus einem Land, das ohne Bürgerkrieg oder Ebola keine Nachrichten wert, wo aber Leute den Diebstahl von Ziegen noch mit dem Leben bezahlen.

Irgendwie gehts also auch ohne. Man muss nur wollen. So einfach wie bei Chinaprodukten wie Nike-Schuhen und Märklin-Eisenbahnen, die dann nur noch ihr Label draufklatschen, geht es bei Presseprodukten aber nicht mehr.

SZ, TZ, BZ, Tagesschau und mit dem Zweiten sieht man besser, oder man wird blind, taub und stumm. Der Begriff 'Lügenpresse' verdeckt den eigentlichen Zustand. Ich nenne diese Art von Journalie Bettelpresse.


sid am 07.Nov 20  |  Permalink
Nachdem gestern der Akku schon zu leer war, jetzt noch immer die Feststellung: ich finde diesen Beitrag sehr gut - danke dafür : )
Mit bisserl mehr Zeit klicke ich mich auch durch die Links .

einemaria am 07.Nov 20  |  Permalink
Danke, das ehrt mich sehr. Es ist polemisch und nicht wirklich das, was man auch nur annähernd von Journalismus erwartet. Ist eben ein Blog.
Ein gutes Beispiel für die momentane Lage ist der Gründer von The Intercept Glenn Greenwald, der von Intercept nun zurückgetreten ist, weil diese nichts Negatives über Biden veröffentlichen wollten. Wenngleich wirklich gute Interviews vom Intercept kamen. Wie das 4 Monate alte Snowden-Greenwald-Interview. Und als es noch nicht direkt um die Wahlen ging das Mehdi Hasan and Noam Chomsky on Biden vs. Trump-Interview - da war Kritik noch möglich.
Sieht man mal, wie sich die Presse in eine polarisierte Welt eingelebt hat.