Im Königreich der Motorsäge
Da meint man, man kenne ja schon alles aus der Glotze, aber wenn einem dann die fette Motorsäge samt 35-Meter Buche abgeht in den Abgrund und 7 Tonnen Lebendholz aus besagten 35 Metern abrauschen, dann fühlt sich das irgendwie neu an. Noch ganz unerlebt.

Unten rauscht der Bach und unerwarteterweise auch noch die Motorsäge. Bschschsch und glücklicherweise eben auch noch Brrrrrbrrrr.

Knisternd auf dem winterlichen Laub hinterher gerutscht fühle ich mich am Rande des Bachbettes in einen Märchenfilm verstetzt. Das Schwert des Stihl steckt in der heiligen, kältischen Buche wie Excalibur.

Zwar verbogen, aber so fest, dass es kein Sterblicher mehr dem Holzgott entreissen könnte.

Das Bächlein plätschert so unschuldig als wäre es nicht Teil der unerbittlichen Natur, die stets versucht, dich mit Schnee- und Schlammlawingen vom Planeten zu fegen. Nur ganz fern im Hinterkopf dämmert mir, dass ich mich zu aller Unfreude auch noch in der Todeszone bewege. Über mir schwingen vom Fall berauscht die labilen Baumkronen mit ihren abgebrochenen Ästen. 8 Tonnen Buche stehen leicht schräg von ihren Nachbarn vorübergehend noch gestützt.
Die trügerische Ruhe, die einkehrt als ich den Motor abwürge, umhüllt mich als wäre ich mit den paar Metern Höhenunterschied in meine von Magie beherrschte Kindheit zurückgerutscht.

Ich kann sie sehen, die Wassergeister, die auf dem wirbelndem Wasser tanzen. Rotkäppchen versteckt sich mit ihrem Korb voller Pilze hinter den dichten Eibe. Aber wer vertraut schon Kindern bei der Pilzsuche.

Wenn ich das Schwert mit einem Ruck herausziehen kann, gehört mir das Königreich samt Prinzessin und Staatsschatz. Andererseits übersteigt die Physik von 8 Tonnen bewegter Buche die Mathematik- und Physikkenntnisse des einfachen Mannes. Um an meine Tasche mit den Keilen und dem Sapi zu gelangen, die noch oben neben der Strasse liegen, müsste ich dem Traum entsteigen. Zudem scheint es mir unsicher, ob mir das Königreich dann zufällt, wenn ich zur Entfernung des Schwertes besagte Hilfsmittel verwende.

Bei einer Kindheit wie der meinen, erfüllt von Märchen und Sagen, von Waldspaziergängen und üppigen Abendessen, von bildhübschen Prinzessinen, die man in seinem selbstgebauten Iglo empfängt, will man eigentlich nur erwachsen werden, weil man irgendwie spürt, dass man sich mit dem mageren Taschengeld ein Königreich nie wird leisten können. Doch jetzt liegt es vor mir, so greifbar, keinen Meter entfernt.

Ein leichtes Knacken reisst mich aus meinen Gedanken. Es ist nicht Fuchs noch Reh, sondern Gehölz im Kronenbereich, das so unwirklich langsam in Bewegung gerät, dass ich erst nicht recht verstehe, was vor sich geht, bis jene 8 Tonnen auf dem Waldboden aufschlagen.

Die Motorsäge in ihrem unnatürlichem Orange liegt weitgehend unverletzt neben mir wie ein geplatzer Traum und das Königreich hat sich erledigt. Statt einem Leben als König gebe ich mich noch immer schwitzend, aber dann doch erleichtert mit 8 Tonnen Brennholz zufrieden.

Im Grunde war die Wahl zwischen 35 Metern Holz und einer Kunigunde oder Adelheid garnicht so schwer. Und so lebte ich glücklich bis in alle Ewigkeit, die bei Holzofenbesitzern genau bis zum übernächsten Winter dauert.