Historische Koordinaten
1. Mai 1844, einhundertsechsunddreißig Jahre und 94 Tage bevor ich im Betonkoloss von Großhadern aus meiner Mutter Schoß kroch, zogen wütende Scharen der arbeitenden Bevölkerung – oder Hackler – durch die Münchner Straßen, zertrümmerten und zerstörten alles in ihrer Reichweite, inklusive oder insbesondere Schankstuben, öffentliche und behördliche Einrichtungen (siehe auch
Erst der Krieg hat das Bier gebracht - und das Bier den Krieg). Der König, das Schwein, hatte sich an den Bierpreis gewagt und weil, wer hackln geht außer dem kleinen und dem großen Rausch recht wenig Freude an seinem Leben findet, hatte der bayerische Souverän damit etwas Hundsgemeines getan. Die Strafe für´s Ficken ist bekanntlich das ungewollte Kind, die Strafe für den Suff sind lediglich ein zwei Tage miserablen Katzenjammers. Und wenn auch beiderlei Lust oft miteinander einhergehen und auf den Kater die Bekenntnis zum Kind oder zur damals noch viel schmerzvolleren und gefährlicheren Abtreibung folgt, fühlten sich die Hackler – was eben die wenige vorhandene Lebensfreude anging – gehörig in die Enge getrieben.
Nach ein paar Tagen und als sogar das Militär nicht auf Seiten des Schweins hatte mitspielen wollen, war der Spuk vorüber und das Bier wieder zum gewohnten Preis zu haben. Wiedereinmal war klar, dass man den Hacklern besser langsam und stetig das Leben vermiesen sollte und auf all zu große Sprünge zu verzichten gut beraten sei.
Hamburg, Anfang Juli 2017. Alle wissen noch Bescheid, dazu muss nichts gesagt werden. Außer das Eine: da trafen sich die Herrscher der 20 reichsten Volkswirtschaften und diskutierten ein Minimalmaß an Kooperation, um sich die lästigen, armen Schlucker daheim und in der Restwelt vom Hals zu halten. Man muss nicht befreundet sein, um gemeinsame Feinde zu haben.
Später Juli 2017. Die deutschen Autokonzerne werden um etwas Ablass gebeten. „Lasst sie bluten! Aber nur ein paar Tropfen, weil meine Nichte und ich da angestellt sind.“ Dailmer, MBW, IDAU usw. hatten sich bei ihrer Preisbildung abgesprochen, ein Kartellverstoß. Nun ist Autofahren nicht gerade die beruhigende Sorte Rausch, die eine Belegschaft müde, dafür mit viel Zucker im Blut bei der Stange hält. Dennoch passt die kleine Preisgemeinheit ganz gut in unsere Reihe des Schindluders mit den hackler´schen Begehrlichkeiten. Wäre ja auch scheiße, wenn der Steinbrecher Toni mit dem gleichen Hobel in die Arbeit käme, wie sein Chef.
„Scheiße ändern“
(Zitat eines US-amerikanischen Bürgerrechtlers; im Original: „Change shit“)
Aufruf
Hackler aller Länder kommt zu uns und sauft umsonst! Wies´n umsonst ist die Devise und dass wir uns zurück ertrinken, was uns seit Jahrzehnten wucherhaft aus den löchrigen Taschen gezogen wurde.
Warum auf der Wies´n? Weil der Mensch ein Mensch ist und auf ein Neues den Sommer hinter sich lassen muss, um sich ein gutes halbes Jahr durch klirrende Morgenkälte und pissende Himmel in die jeweilige Maschinerie zu schleppen, sei es ein Büro, eine Fabrikhalle, ein Außendienst oder jegliche Form von Bildungseinrichtung. Es wird Winter und wenn das kein Grund ist, sich zu besaufen, dann gehe ins Fitnessstudio wer mag, der Rest geht auf die Wies´n und fordert sein Recht ein.
Und wenn die Ersten von den Verteidigern der Zapfhähne niedergemacht sind und die allseits verhasste Polizei den Übrigen die Knochen bricht, wir werden euer scheiß Bier vernichten, wie wir es immer getan haben und die fettleberigen Toten werden aus ihren Gräbern kriechen und kotbeschmiert alles zerreißen, was sich ihnen in den torkelnden Weg zu stellen wagt. Blut in den Biergärten, Häute und Fleisch in den Gassen und auf umgestürzten Bierkutschen. Wirte wird man heulen sehen und mit letzten Kräften die Barkassen und Aktienpakete in ihre offenen Bäuche stopfen, ins letzte Versteck.
Und wenn es nicht klappt, dann machen wir das 13. Zelt auf, das Zelt für die armen Schlucker, für die Habenichtse, für den Rest, eben unser Zelt – das Noagerlzelt.
Das Noagerlzelt
Vor dem oben angeführten historischen und zeitgenössischen Hintergrund und weil eben wieder mal kein Blut fließen wird, ein Bierglasgemetzel ausbleiben wird, führen wir die neue Kategorie des Noagerlzeltes ein. Dort wird die zurückgelassene Brühe der sechs angestammten Münchner Brauereien plus Käfer-Zelt und dieser anderen Sekt-Schleuder, deren Namen mir entfallen ist, vereint, den genuin Rauschinteressierten und vor allem den Rauschbedürftigen für lau, das heißt umsonst zur Verfügung gestellt.
Wir weisen schon im Vorfeld jede Verdächtigung der heimlichen Kooperation mit den Besitzenden vehement zurück. Man wird uns den lacken Rest nicht freiwillig und unentgeltlich überlassen. Schon gar nicht werden die Regulatoren des Geländes ein stinkendes, von Kotze, Pisse, Scheiße und Sexualsekreten überlaufendes Festzelt in ihrer Mitte dulden. Das Noagerlzelt ist eine metaphysische Institution, ist das Lallen im Subtext und das Torkeln der Dissidenten mitten unter dem fröhlich sich verarschen lassenden Pöbel.
(eine Gastarbeit vom Murmler Charlie)