Der Tod der schwarzen Milch

Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng ...

- aus der Todesfuge von Paul Celan

Unsere Angst vor dem Tod, ist, neben unserer Angst vor Schmerzen und einsamen Betten in emergency rooms, die Angst davor, nie wieder Sex zu haben oder irgendwelche Brüste zu begrabschen.

Aber wie nahe der Tod auf einen sinkenden Milchpreis folgen kann, darüber macht sich ausser den Milchbauern scheinbar niemand Gedanken oder gar Sorgen - Hauptsache der Preis stimmt. Ist doch schön, wenn ich Salatköpfe für nen Euro bekomme oder eine Mehrfachsteckdose für den gleichen Preis. Erst wenn man sich vor die Alternative gestellt sieht, nie wieder Brüste, nie wieder Milch oder nie wieder Salat, dann beginnt auch das Bedrohungspotential durch den sinkenden Milchpreis in unsere Nervenleitbahnen einzusickern.

Da ich noch nie in den Genuss kam, Mehrfachsteckdosen selbst zu produzieren, kann ich meine Erfahrungen nur für Salatköpfe hier zum Besten geben: für einen Euro ist das einfach nicht zu machen.

Schon beim Gedanken an Kopfsalatsamen steigen die meisten Gehirne aus als handelte es sich um einen Mythos. Wer dann noch säht, pikiert, wässert, düngt, das endlose Unkraut, Schnecken oder Wühlmäuse, womöglich noch ohne Glyphosat und Pestizid bekämpft und letztendlich widrigen Wettereinflüssen trotzt, der wird den Preis von einem Euro als Mysterium betrachten.

Erste Erklärungsmuster für den derzeitigen Milchpreis lassen sich meines Erachtens nur durch verschwörungstheoretische Ansätze entwickeln. Vielleicht wurden Zwischenhändler ausgeschaltet. Wie durch die Tierschutz-Theorie: Die Kühe liefern nun direkt an die grossen Supermarktketten, während die Bauern nur noch Brachlandsubventionen einkassieren, während sie vor dem Fernseher versauern. Die Kuh als selbstständiger Unternehmer, ohne Gewerkschaft. Krank oder schwanger scheidet auch sie aus der Produktionskette aus. On-the-edge-production. Aber wenn alles gut läuft, kostet sie dann eben nur 20 Cent.

Die Milch macht's, durfte vor einem Vierteljahrhundert unser Rodelweltmeister, der Hackl Schorsch, noch werben. Inzwischen darf man bundesweit aber nur noch bei rund 40 Bauern direkt vom Euter trinken. Der Rest wird pasteurisiert. Vom Rahm auf der Milch kann dieser Rest nur noch träumen, den schöpfen andere ab. Und entsprechend sollte uns die Entwertung des Milch und ihres Preises, der schleichende Tod der Milch, die zunehmende Entfernung von der Kuhbrust, an die anfangs genannte Angst erinnern, vor Schmerzen, der Einsamkeit in Sterbezimmern, denn mit der Milch stirbt auch der Sex. Schwarze Milch???