Jenseits von Gut und Boese - die Umwelt der Touristenburgen Teil 1
Spätestens wenn der Orion den Saum der Dachziegel streift, wird auch dieser Text sein Ende finden, wird die Dünung der Worte verebben ... hofft mein gequälter Körper.
Wer das Tal der Könige, Valle Gran Rey auf Gomera, zu deutsch kurz Walle, besucht, sollte sich vorbereiten auf die Gräber lebendiger Toter. Wer hier den Frieden sucht, wird den Arehucas, den Rum der Kanaren, finden, sonst findet sein Herz den Tod.

Trommler und Gaukler am Strand? Ich lach mich tod. Um 5 vor zwölf schliesst hier die letzte Kneipe und verklingt der dumpfe Beat der Techno-Schalmei. Von Drumbeats keine Spur - ich muss schon sagen: zum Glück ist diese einzige Ausdrucksform der ansässigen Schbacken-Hippies endlich auf den Sonnenuntergang begrenzt worden. Vom Flair einer freiheitlichen Gesinnung der Langhaarigen kann man hier nur Träumen, denn träumen lässt sich bei diesen Sperrzeiten genug. Freiheitlich wird es erst, wenn alle im Bett sind.

Ich rauf mir die letzten Dreadlocks meines nicht üppigen Haares (Iro ist bei mit meiner Glatze leider nicht mehr möglich) und reiss mit das letzte Haar schon vor jeglicher Geisterstunde vom Kopf. Das letzte Gespräch wird ein Selbstgespräch.
Naja, sag ich mir, gib wenigstens den Geister eine Chance - im Tal der lebendigen Toten. Doch dann - ich halluziniere - doch, doch, ein Zicklein vom fernen Berge ... zwar kein Mensch, aber doch ein Säugetier ... es mäht. Ich versteh zwar kein Wort, aber es klingt wie ein Kratzen der Hufe in Gummistiefeln oder "Treib's nicht zu hart, du mein Hirte." Egal, ich bin mit dir, du Säugetier. Jeder Laut wird ein Freund - im Valle Gran Rey, nach Mitternacht. Frösche und Grillen bleiben die Alleinunterhalter der Nacht, die Alliierten meiner verbliebenen Sinnesreize. Rein vom Charakter muss ich wohl ein Insekt sein.
Und die Milchstrasse gibt mir Hoffnung, ich bin nicht allein, vielleicht sind all diese Lichter die Straßenbeleuchtung der Fluchtwege aus diesem Dasein.
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Denn nicht weit talaufwärts, in El Guro, da lebt die Verdammnis. Huschende Geistgestalten in Batik, mit Klangschalen bewaffnete Geishas und geräuschlose hauchende Achims, die sich weigern mich zu sehen - wo ich in meinen Neon-Sportklamotten aus der Kleiderkammer eigentlich ins Auge steche. Zumindest die Hummeln auf Blütensuche reagieren auf mich. Verbittert und verbiestert, die Liebe der Hippies - nicht für mich. Doch wie man so schön sagt: ohne das Böse könnten diese Menschen nicht gut sein.

Der Hippies? Ich muss mich verschrieben haben. Der Hippos! Den aggressivsten Tieren dieses Planeten. Happy Hippos eben, Menschen, denen es erst besser geht, wenn es anderen schlechter geht, ein Höhlenvolk, das sich am Leid anderer hochzuziehen vermag. Glück ist eben relativ.

Aussteiger-Schbacken, die aus den Grübelfalten ihrer siechenden Jugend noch ein verschmitztes Lächeln zaubern bei der Frage nach einem Nachtlager. Vom Tod scheinbar schon stark befallen wispert die waise Ingrid: "Was soll ich da sagen?" Ein einfaches "Leck mich am Arsch!" würde mir in aller Freundlichkeit schon genügen, doch selbst das ist zuviel erwartet.
Hier wäre selbst Jesus am Kindstod gestorben. Tagelang im Dreck der Gefühle sollte man sich wälzen, um wenigstens als Häuflein Schmutz ein Ecklein zu finden. Mein Tip: Vergiss es oder besser, brenn die Hütten ab, dann findet sich zumindest in der Asche ein wärmeres Plätzchen, als in den Herzen dieser Menschen, und morgens bist du der Phönix. Gott lob mir mein Leihauto nach Hermigua in die Kneipe "El Piloto" mit einem Kapitän als Besitzer, der weitere Fähren am Felsen auflaufen lassen könnte.


g. am 03.Feb 12  |  Permalink
Sodom und Gomera,
irgendwo muss sich der Adi aus der Lindenstraße ja wohlfühlen. Aber man kann sich schon fragen, ob die Playa de las Americas auf Teneriffa, die von druckbetankten Deutschen und Briten heimgesucht wird, ob Sangria aus Wischeimern und 5 Bier zum Frühstück nicht angenehmer sind? Wenn einem morgens um zehn auf die Hose gekotzt wird, führt das zwar nicht zu einer entspannten Urlaubsstimmung, ist aber doch weit angenehmer als die Gimpel im Walle.

einemaria am 03.Feb 12  |  Permalink
gut dass darüber eben schon öfter berichtet wurde und auch Ihr gewichtiges Wort mir beisteht in der Anklage, nicht dass das Textnegativ auf mich selbst zurückfällt. Genau, Vueltas nennt sich dieses Zentralmassiv der entspannten Unenspanntheit. Auf Sodom-Teneriffa der Wimpel und im Gomorrha-Walle der Gimpel - beides konträr und doch so ähnlich. Nur weil eines zum Kotzen ist, ist das andere nicht so viel besser - ich war schon dran und drauf, den Wischeimertrinkern eine gewisse Würde zuzusprechen - aber nein! Ist dann doch gut, daß zumindet Eiseskälte ein probates Mittel ist, beide fern zu halten.

jean stubenzweig am 03.Feb 12  |  Permalink
Kaum jemand
kann meine Gedanken zu dieser (und durchaus auch anderer) Thematik so verdeutlichen wie Sie. Ich nehme an, ich werde bald ein Praktikum bei Ihnen beantragen. Es wird mir ein leichtes sein, da ich keiner Arbeitsamtsodersonstigenbehördengenehmigung unterliege.

lalol am 14.Mär 17  |  Permalink
Na, endlich habe ich Ihr Essay über Gomera gefunden. War ganz einfach, unter „Suche“ gehen und „Gomera“ eingeben.
Vielleicht wollte ich es mir nicht nehmen, wieder einmal Ihre, von mir sehr geschätzten, literarischen Künste zu durchblättern.
Die auftauchenden weißen Felder, möglicherweise gelöschte Bilder, zwischen den Schriften füllte ich mit inneren Dialoge und Meditation.
Ihren strengen Artikel über das „Valle Gran Rey“ kann ich durchaus zustimmen, trotz allem bleibt mein Credo für dieses Jahr unerschütterlich:
„Und allem Weh zum Trotze bleib ich verliebt in die verrückte Welt“
Hermann Hesse
Gomeras, auf den ersten Blick, karge Vulkanlandschaft wird bei näherer Betrachtung durch entzückende, unter anderem endemische Flora belohnt und wer ein Freund frischer Früchte ist, kommt selbst im Winter auf seine Kosten: Papaya, Mango, Avocado, Passionsfrucht…Bananen und Bananen...und Bananen.. hier spricht die Vegetarierin.
Auch die Wasserwelt empfinde ich durchaus erwähnenswert. Geht nicht jedem Menschen das Herz beim Anblick von Delfinen und Walen auf? Im Hafenbecken Vueltas leben sogar Rochen… aber was erzähle ich Ihnen.
Noch eines, ja,
„g.“ hätte keinen treffenderen Kommentar dazu leisten können.
Mein Herz hüpfte vor innere kindlicher Freude, als ich den ersten Gimpel in Vueltas erblickte.
Als Walter Moers-Fan, eine fantastische Erfahrung, Gimpel in ihrem natürlichen Lebensraum zu beobachten.
Fazit für mich: Gomera, gerne wieder
Herzliche Grüße aus Anagrom Ataf