The God, the Bad and the Ugly - die Innenarchitektur des Gambit
Ich suche ein säulenfreies Leben, denn die Säule trägt nicht mich, sondern die Decke über mir. Mir verstellt sie die Sicht.
. .
Tu-tunk, tu-tunk, klopft der Blutmuskel, die Turmuhr schlägt. Das heißt, ich lebe. Aber es ist, als wolle sich nichts daran hängen, als wäre die erste Staffel gelaufen und keine zweite geplant. Wenn wir schon bei der Fernsehserienmetapher sind: ein Standbild - leider so verschwommen, daß damit keine Kontrasteinstellung mehr möglich ist. Ich taste nach meinem Halfter.

Seit gut zwanzig Minuten sitze ich nun vor diesem Flackern. Es bildet sich Schweiß auf der Haut und die Haare stellen sich auf. Ich gehe auf und ab, weil mich eine unsichtbare Hand an den Brusthaaren packt und durch
die Wohnung schleift. Im inneren Dialog versuche ich herauszufinden, was die Hand möchte. Vermutlich möchte sie mir die Seinslosigkeit vor Augen führen, meine wahllos zusammengewürfelten Möbel, die ich aus der Studienzeit herüberretten konnte, das Flachbild einer humanen Vision, die man der Bildröhre beraubt hat. Der Halfter ist leer.

Als der Himmel kurz aufreißt, entsinne ich mich der Kreuzspinne auf meinem Balkon. Ein Gast seit drei Jahren, aber auch sie schon im Winterlager, sozusagen unbekannt verzogen. Selbst in den Resten ihres Netzes kein Nachsendeantrag. Wo ist meine Waffe? Wo bin ich?

Es fühlt sich falsch an, meinen Güterzug leer durch den Winter zu steuern. Es fühlt sich verdammt falsch an, ohne Proviant in ein Rennen zu starten, das man alleine läuft und trotzdem verliert. Endlich ertaste ich den kalten Stahl. Nachdem ich sie ergreife, wirkt der Holzgriff warm und handlich. Ich weiß wieder, wer ich bin. Ich und mein kalter Stahl verlassen das Triangulo del Muerte.

Welcher Gedankenfamilie soll man sich bedienen, wenn einem dieses tu-tunk, tu-tunk beginnt auf den Senkel zu gehen. Ein fremdes tu-tunk in der eigenen Herzkammer. Ich stelle mir Fragen, die sich eigentlich andere stellen sollten, nur weil ich sie irgendwo aufgeschnappt habe. Wer hat das Gedankengut entlassen, als Frage ohne Antwort ... oder bin ich beim zweiten Teil der Bücher einfach eingeschlafen? Was für ein bekacktes Dorf, wo man vor lauter Krugscherben den Brunnen nicht mehr findet. Ich bin mir fast sicher, daß es sich bei mir um einen schadhaften Filter handelt, die Zylinderkopfdichtung im Arsch. Und deßhalb liege ich hier im Schlafwagen nach Morgen.

In all den Stunden, die an der Zeit vorbeigehen, bin ich den Zug auf und ab gelaufen. In jeder Ecke ein Schaffner, die Fahrerkabine allerdings verwaist. Ich will mal hoffen, daß nur ich alleine diese Strecke befahre. Nochmal Fahrgast-Check, könnte ja sein, daß sich der ein oder andere Bekannte an Bord befindet. Falsch fühlt sich auch der Griff zum Bordtelefon an. Auf dem Weg zum Duell werden keine Fragen gestellt. Wäre günstig, wenn das meine autonomen Nervenbahnen endlich auch begreifen würden.
........................b...t.x.t.....................
Grundlage, Zug und Waffe, sind die Requisiten aus dem Film The Good, the Bad and the Ugly, einem der außergewöhnlichsten Western.

Der unterlegte Handlungsstrang ist mein Erwachen aus der Bewußtlosigkeit, die mit dem Verliebtsein einhergeht.
Als ich aus dieser Bewußtlosigkeit allerdings erwache, bin ich nicht mehr auf dem Weg zum Duell (siehe Film). Ich trete nicht mehr in Konkurrenz, wie das beim Damentausch in einer Dreiecksbeziehung so üblich ist, sondern ziehe mich aus dieser zurück, bzw. bin schon fast wieder ich selbst. Ich selbst bin natürlich die gesamte Dreiecksbeziehung zwischen God, Bad and Ugly.
Mit der Waffe in der Hand, meinem Selbst-Bewußtsein, das ich wiedergewonnen habe, fühle ich mich wieder komplett. Es ist wieder mein eigenes Leben, das ich lebe, meine eigene Entscheidung, und nicht mehr die anderer.

Wenn ich aus dem Fenster blicke, sehe ich noch die Ruinen und die Schadhaftigkeit, aber der Zug fährt und fährt und ich werde - wieder Eins - ankommen. Spätestens dann wird es auch mein Körper begriffen haben, daß er die Spannung wieder rausnehmen kann.


dhonau am 09.Nov 11  |  Permalink
ui, dieser text ...
ist sehr schön, schmerzhaft schön – denn er zieht eine messerscharfe linie zwischen sich und uns die leser.

es ist so gewiß, daß er auskommt ohne uns, die durch einen ausgesonderten ausgesondert sind. das ist so was wie ausdrucksumkehr: als würden die schmerzen erst noch die wunde erzeugen beim leser durch schmerzneid (ergaunerte schmerzen sozusagen), man möchte auch so leiden (können), aber der text erlaubt dies nicht, weil er sich durch seine schönheit schützt vor übergriffiger deutungskunst. aber, wie hier zu sehen, dhonau gibt nicht auf — und fächert auf diese weise seinen neid auf, der jetzt so was von leicht ist, hallo ... schon ist dhonau hin (und weg)
;-)))

einemaria am 09.Nov 11  |  Permalink
ein stimmloses "Ach, ..."

dhonau am 10.Nov 11  |  Permalink
jajajaja ...
so ist es immer, wenn man allein auf weiter flur ist und eine ganze zuvilisation mit sich trägt. man deklamiert und deklamiert, bis man merkt, daß gar kein publikum mehr da ist. da fängst du an zu applaudieren, pflichtschuldigst, damit der theaterbetrieb seine ordnung behält. du, das ist der deplazierte, der lange zeit nicht wußte, daß er der hauptdarsteller des flops ist, der allein vom entzug gespeist ist, durch den ganze generationen von schattenwesen zur existenz gebracht worden waren.

apropos. dies furioso ist einem großen meister dieses genres gewidmet, wie er da unter dem namen EINEMARIA firmiert

einemaria am 10.Nov 11  |  Permalink
Warten auf Dhonau ;)))
Ein Wölkchen Milch in einer Tasse Tee ... ich weiß nicht, wohin mit meinen Beinen unter diesen vermaledeiten Bistrotischen - mehr Bein als Tisch. Meine Schuhen tanzen mit den Bistrobeinen. Ich vergesse die Zuvielisation um mich herum, das emsige Treiben in den Dhonauhallen, und bin ganz Schuh, ganz Schritt, ganz eng und letztgänzlich auch irgendwie zu zweit.

Ich warte auf den Anderen. Es ist 29:24 hier im Herzen der Bewegung. Wir kennen uns nicht. Erkennungszeichen: Hemdsärmel aufgekrempelt. Vermutlich ein Mann der Tat. Ich hoffe, ein Mann der tut und sich nicht am Handlungsstrang-uliert. Wir haben noch Anschlußtermine.

Endlich scheint der Tanz ein Ende zu nehmen. Ich greife unter die Jacke, um mich kurz am kalten Stahl wieder hochzuziehen wie andere an Kokain oder Frauen. Nur ihre Haut bleibt kalt, selbst wenn ich sie am Herzen trage und warte auf den Zug, in dem ich sitze.
_______________________________
Die Momente zwischen den Sätzen sind die härtesten, die über die bisher am wenigsten geschrieben wurde.

einemaria am 10.Nov 11  |  Permalink
PS: Herzlich willkommen in der Zelle ... Herr Zellenwart.

lalol am 11.Nov 11  |  Permalink
Fleckerlteppich,
tu-tunk als Schussfaden gefällt mir.
Darf ich um einen B-Txt bitten.
Oder steh ich auf dem Bahnhof(abgehetzt- mein Parasympathikus verzögert den Zeitplan) und der Zug ist abgefahren.

einemaria am 12.Nov 11  |  Permalink
Die B-txte waren ja versprochen und das wird nicht gebrochen ;)

lalol am 14.Nov 11  |  Permalink
Fein. Freu mich immer auf Ihre traditionell gewebten Kunstwerke.

einemaria am 14.Nov 11  |  Permalink
ha :( ha :( ha:(

die Rache folgt auf den Fuß wie dieser dem Bein ... so er eines hat ha ha ha

....................................b...t.x.t..........................................

das trifft sich grad mit einer Idee - ich setz mich mal gleich an den Webstuhl.

lalol am 15.Nov 11  |  Permalink
(: :),
jetzt seh` ich sie auch, des Kaisers neue Kleider.

lalol am 16.Nov 11  |  Permalink
Ohne Körper kein Geist
Vielen Dank fürs Teilen
http://www.ch-forschung.ch/index.php?artid=231

...Sphärenmusik,
ich hör´ sie wieder und so schwebe ich dahin... :)

einemaria am 17.Nov 11  |  Permalink
da darf ich abermals mit:

http://www.youtube.com/watch?v=qAV5SUSBLRw
äh, oder
http://www.youtube.com/watch?v=lRWbxncIrb4
nee, jetzt hab ichs:
http://www.youtube.com/watch?v=XyCGF3PPXmk
antworten. Ich glaube, meine liebe lalol, sie haben die Hölle noch nicht gesehen. Darf ich Sie entführen in eine Welt, die in ihrem Schatten hell wirkt?
Zum Einstieg:
http://www.youtube.com/watch?v=mGPBlsnOF5k
und für mich bisher ultimativ:
http://www.youtube.com/watch?v=1GwdHe5nQSQ

einemaria am 17.Nov 11  |  Permalink
da darf ich abermals mit:

http://www.youtube.com/watch?v=qAV5SUSBLRw
äh, oder
http://www.youtube.com/watch?v=lRWbxncIrb4
nee, jetzt hab ichs:
http://www.youtube.com/watch?v=XyCGF3PPXmk
antworten. Ich glaube, meine liebe lalol, sie haben die Hölle noch nicht gesehen. Darf ich Sie entführen in eine Welt, die in ihrem Schatten hell wirkt?
Zum Einstieg:
http://www.youtube.com/watch?v=mGPBlsnOF5k
und für mich bisher ultimativ:
http://www.youtube.com/watch?v=1GwdHe5nQSQ

lalol am 17.Nov 11  |  Permalink
trash melting,
..in doppelter Ausführung ;)

lalol am 20.Nov 11  |  Permalink
In der Unterwelt
Persephone wird nicht Orpheus Weg gehen.

Ihren Schmerz sehe ich und erkenne ihn an.

einemaria am 20.Nov 11  |  Permalink
Das ist ja griechischer Hard-Kore
Denn da wär sie auch schön doof. Erstens hätte sie massiven Ärger mit einer versteinerten Eurydike, sollte sie es wegen ihm tun, und spätestens wenn der Hades sie am Schopf packt, ist es mit der Selbstbestimmung auch vorbei.
Aber der Opheus-Gedanke ist erfrischend. So läßt sich der Text völlig neu überdenken und eventuell in einer 2.0-Fassung neu auflegen. Merci, la lol, die Lachende (Dritte?).

anni1 am 18.Nov 11  |  Permalink
Sekundärlit
Hier tut auf alle Fälle eine Erörterung Not. Einige Dinge lassen sich ja - Internetz sei krank - sehr gut klären, z.B. Fragen die sich rund um diese Thematik ergeben. Was es hingegen mit der Autonomie der Nervenbahnen auf sich hat, wird abschließend nicht geklärt werden können... Auch wenn die Unendlichkeit eine Kugel ist, wie uns die Mathematiker einreden wollen.