Schlandmaul
Urlaub? Ich glaub, ich kotz. Ich will gebraucht werden. Und wer bräuchte mich mehr als unsere soziale Saftpresse, die Arbeitswelt Deutschland. Total control of Volkskörper. Wir - das Du-bist-nicht-Deutschland und ich - wissen, was wir wollen. Die 20-Stunden-Woche bei leichter kreativer Tätigkeit. Gleicher Lohn für alle. Rente mit vollem Lohnausgleich. Best-of Krankenversicherung für alle. Grundrecht auf schönes Wohnen und Arbeiten am gewünschten Ort. Freier öffentlicher Verkehr. Et cetera.
Da müssen wir uns nu mal ranhalten. Mal in den Gürtel spucken und die Hände enger schnallen. Nennt mich ein Schlandmaul, wenn ich mich sozusagen mit einem bereits gestürztem Sarrazin aufs Glatteis begebe. Wir müssen umdenken. Stell dir vor, wir wären die Titanic. Stell dir vor, du bist hartelinie.
In meiner Welt sitzt hinter jedem Busfahrer ein bewaffneter Sicherheitsmann, der sorgsam darauf achtet, daß der Fahrer des Unterstützerbuses 831 den Fahrplan einhält. In meiner Welt läuft oder sitzt neben jedem öffentlichem Angestelltem und Arbeiter ein Ein-Euro-Qualitätsmanager und kontrolliert dessen Tätigkeit auf Schritt und Tritt. Daß das der Korruption Vorschub leistet - der Angestellte schmiert den Euro-Jobber - ist durchaus möglich. Im schlimmsten Fall wäre das dann aber eine geringe Aufbesserung des Grundeinkommens, eine Leistungsprämie sozusagen. Ausgerüstet mit dem schwäbischen Qualitätsstandard eines HK417 mit Granatwerferaufsatz XM320 könnten die ehemaligen, von Guttenberg in die Wüste geschickten Soldaten endlich endlich auch mal im eigenen Umfeld für aufräumen. Und natürlich auch dafür Sorge tragen, daß keine geparkten Autos die Trambahn blockieren.
Für die Zivis gäbs Jobs als Abfertiger der S4 Richtung Geltendorf, die mich wie in Mexico City zu Stosszeiten - und deswegen heissen die auch so - entgegen aller Schulphysik mit ihren Springerstiefeln noch reinstopfen. Urlaub? Urlaub ist für mich, wenn ich strahlend vor Glück ab der Stadtgrenze endlich mal an der Scheibe kleben darf und meine Facettenaugen wie die einer toten Fliege auf die regenverhangene Alpenkette glotzen. Zwei mal zwei Minuten Urlaub, das macht, wenn man am Wochenende auch arbeitet, knapp 1500 Minuten Jahresurlaub, macht ... einen Tag, meinen Krankheitstag mit 20 Minuten Pause.
Und nach außen verteidigt wird diese neue Ordnung durch Anwaltsflotten wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Nicht nur die innerdeutschen Betriebe würden sich die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen dreimal überlegen. Warum nicht mal lebenslänglich für Wirtschaftskriminalität?
Eigene staatliche Universitäten mit der sicheren Übernahme der Juristen in den Staatsdienst bei guter Bezahlung, die holen dann gleich noch zigmal so viel raus aus den schmierigen Ecken wie die derzeitige Steuerfahndung.
Die Steuerfahndung, eine der Institutionen, die jedes Jahr das Bundesverdienstkreuz bekommen sollte. Vielleicht übertreib ich da ein wenig. So gut kenn ich sie auch nicht.
Ich will nicht weg. Ich muss zwar fünf Ringe zahlen, aber im öffentlichen Verkehr meiner eigenen Gehirnwindungen gibt es nur einen Ring und eine Zone und die reicht exakt von meiner Wohnstätte zu dem Ort, wo ich fleissig an meinem Beitrag zum Sommermärchen und Wintertraum Deutschland arbeite. Von A wie Arbeit nach B wie Bereithalten. Ich bin vielleicht ein Workoholic, doch mit mir wächst eine Solidargemeinschaft, ein zufriedenes Umfeld, weil es weiss, was es sich selbst geschaffen hat. Eine Lindenstrasse, die vor Jedermans Tür mal Halt macht. Wie unsere Väter und Vormütter, die nicht nur eine Generation von Massenmördern hervorgebracht haben, sondern auch - kurzzeitig - die 38,5 Stunden-Woche. Ich habs erlebt, ich war dabei.
Wo soll ich hin in Urlaub, anderen bei der Arbeit zusehen? Nee! Einigkeit und Recht und Freiheit. So wars doch, oder? Kein Urlaub für niemand.
einemaria am 01. September 10
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