Mittwoch, 19. Dezember 2018
Auf Abgleisen - unterwegs mit der S-Bahn München
Mit der größten Erfindung seit der Diesel-Glühbirne versucht die Deutsche Bahn innovativ wie noch nie, sich einen Spitzenplatz in der Moderne zu erobern: dem aleatorischen Fahrplan.

Der @streckenagent_M haut wieder was aus der Postille zur aktuellen Betriebslage, denn alles liegt und nichts fährt. Darum heißt sie ja auch 'die stille Zeit', die die Deutsche Bahn mit ihrem Spruch 'Zeit für Dich' auf das ganze Jahr auszudehnen versucht.
Ich aber bleibe gelassen, seit ich meinen ehemaligen Arbeitgeber mal aus Kundensicht geniesen darf. Kein Bier mehr in der S-Bahn? Das war dann das berufliche Aus für mich. So habe ich endlich auch genügend Zeit, um mich auf das zeitintensive Abenteuer Öffentlicher Verkehr einzulassen.

Da hat man dann auch mal die Muse, sich genüsslich ein Satiremagazin wie Der @DB-Bahn reinzuziehen, wo man so überraschende Fakten gepresst bekommt, wie die vom kleinen ICE und seinen Freunden, die man dann in Kisten verpackt per DHL-Fracht verschickt, so daß die Bahn vielleicht sogar mal pünktlich ankommt. Schauen Sie selbst mal rein, ein echter Lacher. Die haben professionelerweise auch ein paar chinesische Bots, die hin und wieder mal den Herzchen-Button drücken, ganz in Gegensatz zum @streckenagent_M, der ein verbitteretes Leben in einer gehässigen Follower-Schar führen muss.

Dann ein überraschender Wechsel der Betriebslage zur Betriebsfahrt. Meine rote Bimmelbahn hat neue Kohlen eingeworfen - vermutlich meine 8,90€ - und nimmt langsam Fahrt auf. Die rostigen Weichen knarzen unter dem ruckelndem Gefährt. Zum Glück wird das alles durch die vielen vielen Überwachungskameras auf Film gebannt, sonst würde es keiner glauben, daß man noch im 21.Jahrhundert mit einem so nostalgischem Gefühl beschenkt wird beim Münchner Verkehrsverbund.

Vorbei am 'alten' Südbahnhof, wie verklärt saust die Böschung an mir vorüber und ich sehe Dinge, die ich in einem halben Jahrhundert München noch nie zu Gesicht bekommen habe. Ich wusste garnicht, dass es so etwas gibt: einen Münchner Halbsüden.

Wären wir in Leiden statt in München, dann könnte man den täglichen Wahnsinn fast als doppelbödig bezeichnen. So aber kotzt sich der Kundenpöbel #stammstreckenwitz mit so unflätigen Behauptungen aus, man solle doch mal nur Durchsagen machen, wenn alles normal läuft, wodurch man enorm Personal sparen könnte. Oder es schwirren ganz schräge Verschwörungen durch den Twitter, die behaupten, die S-Bahn wolle mit ihrer Leistungsverweigerung den Kunden auf die Straßenverkehr zurückdrängen, um der eigenen Überlastung zu entkommen.

Ich kann den Ärger garnicht verstehen. Die Nostalgische Stadtrundfahrt mit der Dampflok ab Ostbahnhof kostet sonst mit 16€ fast das Doppelte als ich heute für drei Stationen hin und zurück zahle und man sieht nur die Hälfte wegen des vielen Rauchs. Aber heute, wie eigentlich inzwischen fast jeden Tag, beschenkt mich der MVV mit einem elektrischem Triebwagen, der zwar auch nicht schneller fährt, dafür aber den neuesten Emissionsbestimmungen entspricht und wirklich ausreichend Gelegenheit bietet, die Landschaft und andere Schönheiten rund um die Stammstrecke zu erkunden. In einer 30er-Zone würde er garnicht auffallen. Er hält sogar viel öfter als er müsste.

Wir bremsen erneut und ich stelle mir vor, wie Lukas, der Lokomotivführer heraushüpft und mit seinem meterlangem Weichenstelleisen uns wieder auf das richtige Gleis führt. Vielleicht werden am Gleissaum sogar kostenlose Erfrischungsgetränke angeboten. Ich aber möchte mich nicht aus meinen Gedanken reissen lassen und ob des Gedränges wäre es vermutlich auch garnicht möglich, den ein oder anderen Ausstieg zu finden. Und schwupp, als wäre es ein Kinderspiel, geht ein Ruck durch den mich umgebenden Menschenberg, und unser Zug schiebt sich weiter, da taucht leider schon die verträumte Skyline des heldenhaften, 2013 für zwei Millionen sanierten Stellwerks Ost auf. Schade, denn hier endet meine Fahrt, wie auch für all die Tausend anderen, aus ungeklärter Ursache. Ganz leise, fast unbemerkt, kann man über die Lautsprecher den zeitlosen Schlager 'Mein Feld im Gleisbett' hören. Mein geliebter MVV, ein Traum, der ganz im Gegensatz zu diesem Kurzepos über Münchens berühmten öffentlich Verkehr nie zu Ende geht.

Demnächst auf ~Plus~Puls~, ihrem Magazin für die Nachrichten von morgen: "Bahnsteig-Hopping, das brandneue Keep-Fit-Programm des MVV"
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