Samstag, 22. September 2018
Die erste Bierfotzn
An alle Bodentruppen, die seit den großen Tagen des Bierinfernos 2017 noch am Boden zerstört sind: Aufruf zum Wiederstand gegen die Erdanziehungskraft. Heut gehts los. Wiesn 2018.

Bier hatte immer schon großen Einfluss auf mein Leben und meine Physiognomie. So quäle auch ich mich zum Einlass samstags um 9. Ich kann sie riechen, dann hören, dann sehen und dann leider auch spüren, die Tonnen von hirnlosem Fleisch, die sich seit 6 Minuten durch die Haupt- und Nebeneingänge wälzen, um in rund einer Stunde auch in die Zelte Einlass zu finden, wenn alles gut geht. Dann nochmal zwei Stunden bis es Schlag mittags endlich an den Gerstensaft geht. Was macht man in den zwei Stunden bierfreier Zeit, die man im öden Zelt herumsitzt?

Man schließt die Augen, um nicht beim Anblick der Pseudofolkloristik schon vor der ersten Maß kotzen zu müssen, und siniert. Man denkt nach, beispielsweise über die Ökologie und Standortbedingungen der Fettwiesn, die zufällig gleich neben mir sitzt, von der man weiß, daß sie durch die günstigen Feuchtigkeits- und Nährstoffverhältniss im gemähten Zustand (siehe: gmahte Wiesn) meist dicht- und hochwüchsig ist. Ich öffne kurz meine Glubscher und sehe dank der Hochwüchsigkeit nur einen Ausschnitt, also ihren.

Schnell wieder runter mit den Lidern, dass da nichts anbrennt, bevor es überhaupt losgeht. Nicht dass ich vor dem eigentlichen Anstich ansteche und abgeschleppt werde, weil ich falsch geparkt habe.

Ich denke an einen anderen Sport, bayrischen Sport. Dazu muss erklärt werden, daß Baiern erst seit 1825 Bayern heißt. Für Ludwig den Ersten klang das hellenistischer. Und so hat sich auch der olympische Gedanke eingeschlichen in dieses Land, wo man vor lauter Bier eigentlich nicht so zum Sporteln kommt. Ich denke mit Wonne zurück an das Haager Volksfest letzter Woche, wo ich der Chiemgau-Meisterschaft im Finger- und Boahackln beiwohnen und zutrinken durfte. Zwei Disziplinen, die im wirklichen Leben eigentlich erst zum Einsatz kommen, wenn man vom Bier schon zu Boden gestreckt wurde. Aber zum Glück gehören zum bayrischen Zehnkampf eben auch süffige Sportarten wie Tischkraxeln, Masskrugstemmen und Maßkrugwerfen.

Wieder schubst mich die Fettwiesn mit ihren beiden Abstandshaltern, die abartig weit in den Raum ragen. Ich will mir garnicht vorstellen wie tief diese fielen, wäre da nicht das prallgefüllte Stützdirndl, und mir letztendlich noch die Zehen zerschmettern könnten. Ich versuche mich also wieder mit zugekniffenen Augen auf Wesentliches zu konzentrieren. Zum Beispiel auf die drei Preissieger des Oktoberfest-Plakatmotivs 2018. Es können eigentlich nur drei Vorschläge eingegangen sein, wenn man sich Platz zwei und drei betrachtet. Letzterer geht vollends selbst an der vagesten Vorstellung von Wiesn vorbei. An einer Trompete(!), die wahrlich nicht zu den Sinnbildern der Wiesn gehört, hängt eine 'Rosenbreze' und ein Bierkrug mit Sepplhut. Beim Bildhintergrund frägt man sich zudem, warum man neben der schönen Farbe Blau noch ein hässliches Rot hinzufügen musste. Für eine Kasperlvorstellung in einem der Münchner Vororte wäre es ein grossartiges Plakat, aber zum deliranten Zustand der Innenstadt passt es rein garnicht.

Der Silbermedalliensieger im Malwettbewerb hat sich zwar viel Mühe gegeben mit der Zeichnung, doch inhaltlich muss es ein Messi gewesen sein. Kein vernünftiger Mensch würde sich auf der Wiesn mit der Hand seine Schuhsohle abstreifen, wo doch der dreckerde Schuh bereits durch Roßbollern und andere Körperflüssigkeiten waten musste.

Zudem schmeißt man auf dem Oktoberfest sein Essen vor dem Verzehr nicht auf den Boden, wenn man den nächsten Winter überleben möchte. Und sein Bier läßt man dort besser auch nicht stehen. Ein pädagogisch mehr als zweifelhaftes Motiv also. Immerhin sieht man einzig hier wenigstens einen Teil von wenigstens zwei Menschen, wo man in Wirklichkeit vor lauter Menschenmassen die eigene Hand vor Augen nicht mehr sieht.

Der Sieger und damit das offizielle Plakat- und Maßkrugmotiv 2018 ist, wie ich übellaunig zugeben muss, diesmal nicht ganz ungelungen. Unten links hat sich zwar ein hässliches, gelbes Henkeltier eingeschlichen und die Maß ist seltsamerweise überschäumend voll, aber insgesamt gesehen, kommt einem nicht gleich der kalte Schauer über den Rücken. Es ist blau, das Essen und Bier liegen nicht am Boden - also geht doch.

ENDLICH - ich denk mir noch mehr als entsetzt, daß mich nun die Fettwiesn ganz blechern anspricht, aber es ist die Blasmusik, die zum Anstich bläst. Ein Tusch, ein Wusch, ein Tisch und drauf Bier. Ich hab gleich drei bestellt, weil man ja nie weiß. Ich stoß sogar mit der Fettwiesn an, weil dann wenigstens in diesem seligen Moment zwei Maßkrüge zwischen uns sind, wende mich aber in Windes- bzw. Biereile wieder meinen Getränken zu. Ich und meine drei Bier, da würd sogar ein Schafkopf zusammengehen. Nach den ersten Schlucken zwar nur noch ein Dreier. Dann hat sie mich, die Bierfotzn. Niedergwatscht von drei Augustiner plus, sterbenvoll Dreck und Bier und olifaktorisch eigentlich noch mitten im Kampfgeschehen sehen meine Äuglein beim Lidaufschlag die Wiesn, meine Wiesn, im 45-Grad-Winkel mit Blick auf die Festzeltrückwand.

Vom Noagerlzelt winkt jemand herüber. Ich sehe den abgenagten Steckerlfisch ohne Steckerl in einem lacken Bierkrug. Ich bin endlich zuhause im Himmel der Baiern, in einer Wiesn in Hanglage, wo das Fett und andere Unflätigkeiten ablaufen wie beim Beichten. Und morgen ist Sonntag. Ein Traum wie er schöner nicht sein könnte.
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