Samstag, 29. September 2012
Ist Gott für meinen Tod verantwortlich?
- der scheinheilige Heiligenschein und die Blasphemie der Gottesfürchtigen



Die Herrschaft des Glaubens als Frontsoldat und bester Kumpel der politischen Herrschaft benötigt ein möglichst simplifiziertes Modell, um das Regieren so einfach wie möglich zu halten - sozusagen eine Glaubenskongregation, einen kleinsten gemeinsamen Nenner, der die zu beherrschenden Objekte wie Schafe auf einer möglichst kleinen Weide hält; umzäunt und von Hirtenhunden unter Kontrolle gebracht. Die Furcht vor den Hunden und die abstrakte Angst vor dem unsichtbarem Wolf hält die Herde zusammen.

Die Religion als das 'Re-legere', das 'immer wieder lesen' oder auch das 'Re-ligare', das Zurückbinden, Religion als Werkzeug der Indoktrination, um zu verharren, als ein Festnageln, ein Bei-der-Stange-halten, um die gewissenhafte, starre Einhaltung überlieferter Regeln zu sichern, erinnert mich den angeblichen Gegenspieler des Glaubens, das Verstehen.

'Understand', also 'unter etwas stehen', sich unterstellen unter etwas, das einen vor dem Regen der Komplexität und des Nichtverstehens schützt, Verstehen als Subordination unter Herrschaftswissen zum Schutz vor dem Wolf, der Feind der Erhebung, wie es die 'super-stition', der Aberglaube darstellt, das Verständnis als Widerstand zur Veränderung - eine sichere Stellung gegen Verstellung. Und mit dem standhaften, unverändlichem Ein-für-allemal-Verstehen kommt die Wissenschaft. Das Wissen als die andere Seite des Gatters, des Janusgesichtes, für jene die ausgebrochen zu sein glauben.

Eine Wissenschaft, so unglaubwürdig wie der unwissentliche Glaube. 'Science', das mit Weisheit so wenig zu tun hat wie Glaube mit Glaubwürdigkeit. Eine Schaftlichkeit, die sich nur unter größten Zwängen durch die Paradigemenwechsel hindurchpresst, um anschließend gleich wieder zu behaupten, daß sie es nun endgültig wüßte, wo sie sich doch gerade eben selbst widerlegt hat. Wissenschaft, so scheinheilig wie der Heiligenschein, da sie ihren eigenen Widerspruch, wie den Paradigmenwechsel
und der Beobachterproblem, wie einen Orden auch noch voller Stolz an ihr Revers heftet.

Und wir stehen da, eingekesselt von zwei simplifizierenden Herrschaftsinstrumenten, dem Glauben und der Wissenschafft und sollen uns entscheiden, in die Zwinge genommen vom Dualismus, der immergleichen Strategie des Beherrschens, in Beschlag genommen von der Klaustrophobie als Reaktion auf die Platzangst der Macht, die Angst der Macht vor weiten Räumen.

Angst erzeugt Angst. Und die Herrschaft des wahren Glaubens leidet massiv an einer solchen. Der Kontrollverlust über den Beherrschten, von dem sie in jedem Augenblick selbst bedroht ist, kann sowohl im kontrolliertem Abfall des Gläubigen vom Glauben, als auch in der erwähnten Extase des Aberglaubens, dem Kontrollverlust des Beherrschten gegenüber sich selbst, zu Tage treten.

Der Simplifizierung der Bedrohung zum Trotz läßt sich die sammelnde Kraft der Angst allerdings auch durch andere Formen von Glauben als der des Monotheismus hervorrufen. Und weil die Angst als Herrschaftmodell nie wirklich als hehres Mittel gedient hat, wurde genau jener Vorwurf, der Aspekt der Gottesfurcht, das im Grunde infame Argument des zürnenden Gottes, vorerst gegen den Aberglauben gerichtet, wie sich Augustinus bezüglich des Aberglaubens zu äußern wußte:
„[…] religiosum a superstitioso ea distinctione discernat [Varro], ut a superstitioso dicat timeri deos, a religioso autem tantum uereri ut parentes, non ut hostes timeri, […]“ (Den Religiösen unterscheidet [Varro] vom Abergläubischen dadurch, dass der Abergläubische die Götter fürchte, der Religiöse sie aber so sehr verehre wie die eigenen Eltern und nicht wie Feinde fürchte.)

Diese janusgesichtige Art, den einzig wahren Glauben aus der Gesamtheit des Nichtwissens zu schälen begegnet uns auch in ethymologischen Deutung bei wiktionary, das im Falle von Aberglauben das Wörtchen 'aber' mit 'falsch' übersetzen, während sich in eben selben unter dem Begriff 'aber' eine gänzlich andere Deutung findet.

So erklären sich auch die in "Monotheismus und politische Gewalt" dargestellten, politischen Züge des Monotheismus und seine inhärente wie auch konsequente Neigung zur Intoleranz und Gewalt.

Erstaunlich ist die Toleranz, die Schopenhauer in seiner Kritik am Christentum walten läßt, in der er unter anderem die Gnade Gottes mit folgenden Worten deutlich umreißt. ".. ein alleiniger Gott ist seiner Natur nach, ein eifersüchtiger Gott, der keinem anderen das Leben gönnt..." oder "Ziemt des Dem, Toleranz, ja, zarte Schonung zu predigen, der die Intoleranz und Schonungslosigkeit selbst ist? Ich rufe Ketzergerichte und Inquisitionen, Religionskriege und Kreuzzüge, Sokrates' Becher und Bruno's und Vanini's Scheiterhaufen zum Zeugen an!"

Es nur zu verständlich, daß es nicht im Sinne des Hirten ist, das Schutzbedürfnis der Herde durch eine Befreiung vor der Furcht, durch Individualität oder durch eine tatsächliche Gleichsetzung aller 'vor Gott' zu untergraben. Für alle, die sich brav im Gatter halten lassen, ist es ein verzeihender Gott, für jene auf der anderen Seite des Zauns und jene, die sich dahinüber sehnen, ein zorniger und strafender.

Durch das Schisma hat sich dieses Herrschaftsmodell ein gewaltiges Dilemma eingefangen. Und da Gewalt nun mal Gewalt erzeugt, wurden jene häretischen Bewegungen mit aller Macht bekämpft. In welchen Details hier die Schlachten geschlagen werden, zeigt der sich über Jahrhunderte hinziehende Krieg gegen den Arianismus, und ihre Schonungslosigkeit die allseits bekannten Abschlachtungen der Katharer, die Hexenverfolgungen und sonstigen Ziele der Inquisition, bis hin zur Unterstützung der katholischen Ustasha durch den Vatikan beim Versuch die orthodoxe Kirche auf dem Balkan zu eleminieren.

So kommen wir nun zur Inbesitznahme des Begriffes 'Blasphemie' durch die Religionsgemeinschaften, mit der sie, die Turmschreier der Liebe Gottes, in ihrer Scheinheiligkeit ein neues Schlachtfeld eröffenen: Religionsfreiheit vs Freiheit. Denn Freiheit - und das sollten wir inzwischen bereits körperlich spüren - gibt es eben nur für jene, die sich das auch erstritten haben - im Falle der Religionen weniger mit dem Herzen als mit Flamme und Schwert.

Das aus von einer polytheistischen Gesellschaft geborene Wörtchen Blasphemie bedeutet einzig 'schmähen, lästern' und hat in seinem Ursprung mit Religion erstmal nichts am Hut.

So erwähnt der sogenannte Blasphemieparagraph § 166 StGB neben Religionsgemeinschaften ausdrücklich auch Weltanschauungsvereinigung und (sic!) ganz einfach nur Bekenntnisse.

Nach § 48 der Stellungnahme aus dem Jahr 2011 des Menschenrechtskomitees der Vereinten Nationen, einem Gremium aus achtzehn unabhängigen Experten, die damit beauftragt wurden, Beschwerden hinsichtlich des Internationalen Pakts über Bürgerliche und Politische Rechte zu bewerten, „sind Verbote von Darstellungen mangelnden Respekts vor einer Religion oder anderen Glaubenssystemen, einschließlich Blasphemiegesetzen, mit dem Vertrag inkompatibel, außer in den bestimmten Umständen, wie sie in Art. 20, Absatz 2 des Vertrags vorausgesehen sind.“
Der Art. 20 Abs. 2 ruft Staaten dazu auf, Folgendes zu verbieten:
„Die Verfechtung nationalen, rassistischen oder religiösen Hasses, welche zur Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt anstiftet.“
Der Kommentar verlangt mit Bedacht, dass keine Restriktion die Garantien des Abkommens auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 26) und der Freiheit des Denkens, des Gewissens und der Religion (Art. 18) verletzen darf.


Ohne Jurist zu sein, möchte ich meinen, daß es hierbei darum geht, nicht die eigene Clique, wie im Falle der Kreuzzüge oder ethnischer Säuberungen, zur Gewalt aufzustacheln. Der Umkehrschluß, daß der Gewaltausbruch des Geschmähten mich zum Täter werden ließe, hieße, daß sobald jemand Gewalt in dieser Sache ausübt, wäre die andere Partei vor dem Gesetz schuldig, da sie diese Gewalt durch ihre Schähungen angestiftet hätte.

Sollten die hoheitlichen (Hin-)Richter des Rechtes dies anders sehen, sähe sich die hartelinie gezwungen, die eigenen Toleranzgrenze neu zu verlegen, die Grenzlinien neu zu ziehen und für eine Ausweitung der Kampfzone zu sorgen, denn nicht nur die Drohung der katholischen Kirche mit dem jüngstem Gericht und einer teuflischen Rendition nach dem Tod, stehen für mich nicht exemplarisch für den Willen zu einer friedlichen Koexistenz.
Die in nicht nur in Bayern herrschende katholische Rückhand wird nicht auf ewig eine weiche Wange finden. Und gleiches gilt für den gesamten monotheistischen Block samt seiner psychotischen Ausrichtung. Stets das Messer an die Kehle zu halten, ist nicht die beste Art, gute Nachbarschaft zu fördern.

Von der Ergreifung der Wortgewalt und deren Machtmißbrauch ist es eben nur ein kleiner Schritt in den Schützengraben.
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