Montag, 6. Juli 2020
Wissen Sie was,
man darf das Virtuelle nicht füttern, wenn es brüllt und seine unappetitlichen Grabscher nach einem streckt. Und es war ein großer Schritt ins Virtuelle. Für die Hälfte. Für die andere Hälfte, jene, die noch nie ein Smartphone bedient haben und immer noch Zeitung lesen, für Menschen, die noch Wählscheiben bedienen und Kontoauszüge mit der Post bekommen, war es ein Abschied. Ein Abschied von denen, die diesen Schritt gehen wollten.
Es ist die Scheidung von Wirklichkeit und Schein, die Trennung von Gegebenheiten und Genommenheiten.
Die Frage ist nur: wem wurde gegeben und wem genommen.

Wer nicht mit von der virtuell voranschreitenden Partie war, dem war erstmal vieles genommen. Kein Schulunterricht, sehr eingeschränkter Konsum, kein Arztbesuch, überhaupt kein Besuch. Während denen, die bereit waren, sich von der Wirklichkeit zu verabschieden scheinbar das Meiste zu Füßen lag. Home Office, Online Bestellungen, Arztbesuche und Besuche ganz allgemein über den Videochat.

Lilienhähnchen
Ich aber bleibe bei der Wirklichkeit, bei Bargeld statt Krypto-Währung. Mir kann es nur recht sein, wenn noch mehr Scheinbare mit ihrer VR-Brille durch die Welt wandeln und mein Wald um die Ecke noch leerer wird. Mein 100€-Schein fürchtet keinen Datendiebstahl. Und ich kann meinem Gegenüber in die Augen sehen, was bei Videochats nicht möglich ist - probieren Sie es aus. Das Virtuelle war immer ein Zusatzangebot. Man geht auch gerne ins Kino. Aber wer möchte da schon leben? Ich nicht.

Balkenschröter
Für mich ist im Grunde ein lange währender Traum in Erfüllung gegangen. In meiner Traumwelt sitzen fast alle in ihren Videoburgen und Scheinwelten, während ich die Pizza bringe und hin und wieder mal vorbeikomme, um ein Kabel zu richten. In meiner Welt kommt zufällig mal ein seltsamer Käfer vorbeigeflogen, während in der virtuellen Welt kein Zufall existiert. Das Virtuelle ist die Diktatur eines Algorythmus, den andere programmiert haben. Und wer sich darauf verlässt, dem wurde alles genommen, der ist verlassen und wird sehr einsam werden. Mir soll's recht sein.

Leiterbock
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Dienstag, 3. November 2015
Espresso - ich drücke mich aus
Man braucht immer zwei Reserven. Wenn die Milch mal aus ist und man hat nur eine Dosenmilch im Hemdsärmel, dann vergisst man noch am gleichen Tag die Milchresevern wieder aufzufüllen. Mit einer zweiten Dosenmilch haben Sie dann selbst am zweiten Katastrophentag noch was. Und weil sie sich so über ihr neues Milchmanagement freuen, vergessen Sie auch sicher nicht am zweiten Tag endlich Milch zu besorgen.

Das gilt wohlweislich auch für Leute, die keine Milch trinken, schließlich kommt ab und an auch mal jemand zu Besuch, der nichts dringlicher braucht als Kaffee mit Milch. Ich beispielsweise. Menschen, die nicht prinzipiell ausreichend Vollmilch vorrätig halten, wenn ich zu Besuch komme, fallen bei mir schnell in das Raster "Freunde, die man nur anruft". Milch ist keine Verhandlungsmasse, sondern die Milch machts, wie schon der bayrische Rodelweltmeister Hackl Schorsch festgestellt hat.

Und weil wir grad dabei sind, auch noch ein Wörtchen über die Qualität der Milch. Für mich darfs irgendwelche sein, notfalls auch gerne Milchpulver. In Deutschland, bzw ausserhalb Italiens keinesfalls geschäumte Milch, so siedend heiss, dass das braune Gold erst mundgerecht heruntergekühlt ist, wenn ich schon längst irgendwo anders sein muss. Vielleicht mussten Sie ja auch schon mal das ganze Gedöns, das zum Milchschäumen benötigt wird, abwaschen, denn der Geschirrspüler kann das nicht. Geschäumte Milch ist für mich der Inbegriff des sich arg verbreitenden Narzismus. Keine Neurose, sondern eine frühkindliche Psychose, vermutlich die Reaktion auf schlechte Muttermilch oder grossen Dosen Babymilchpulver. Ich weiß es nicht.

Neben Gummibärchen sind auch Portionspäckchen Pulverkaffee 3in1 eine der wesentlichen Erfindungen der Moderne. Schneller Kaffee, der Turbo für den Morgen und zwischendurch. Ich hab nicht die Kaffeemaschine, sondern meinen Wasserkocher an der Zeitschaltuhr, so dass ich frühmorgens nicht von übelriechenden Dämpfen des deutschen Filterkaffees traktiert werde, sondern die Aufwachphase mit blubberndem Wasser erlebe.

Pulverkaffee wie ich ihn aus Afrika und Asien kenne und zu lieben gelernt habe. Anderen Kaffee gabs nicht. Kaffee, so fein, dass er bei Dallmayer durch die Siebe fällt. Ich führe seitdem immer mehrere Päckchen davon in meiner Reiseapotheke. U.a. bestes Mittel gegen Kopfschmerzen. Doxicyclin und Kaffeepulverbeutel, damit durchschreiten sie sämtliche Wüsten und Dschungel ohne Gefahr.

Vorab Gesagtes gilt natürlich nur für den aus der Not geborenen Tag. Wenn es hektisch ist und das ist es bei mir und meinen Todo-Listen immer, selbst sonntags. Nur abends, abends sieht es wieder ganz anders aus. Da käm ich garnicht auf den Gedanken an löslichen Kaffee. Die Mokka, nur grob mit wenig Wasser ausgespült. Da hängen noch Kaffeebohnenpartikel della mia nonna dran.

Bis der Kaffee fertig ist, muss ich Ihnen was vom Wetter erzählen. Wussten Sie, dass jede moderne Eiszeit mit Tiefnebel beginnt. Später dann auch noch Meteoriten und so. Meteoriten mit Warnhinweisschilder, für organische Lebewesen tödlich oder ähnliches. Do not throw this meteorite on any planet. Gegen Tiefnebel ist Vulkanausbruch ein Klacks. Das weht es weg, aber wir erfrieren noch diese Jahre unter einer Schicht Wasserdampf. Und der Winter hat noch garnicht begonnen. Wenn die Menschheit noch ein paar Jahre mehr gehabt hätte, hätte ich auf diesem Planeten vermutlich auch noch Freunde gefunden.

Auf den Herd damit, halb Espresso und halb türkischem Kaffee, der so feinkörnig ist, dass er sich durchs Sieb presst und in der Tasse einen schönen Kaffeesatz bildet, aus dem man gerne auch noch seine Zukunft lesen kann. Hier kommt nur beste Kuhmilch rein, die gibts nämlich auch. Im nächsten Dorf von der stählernen Kuh. Der Liter 75 Cent, billiger als Diesel.
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Montag, 5. Mai 2014
Rette sich wer kann, die Eisheiligen kommen
Es ist Anfang Mai und die gestrengen Eisheiligen hurten heran.

Pangrazi, Bonifazi, Servazi sind drei frostige Lumpazi und die kalt' Sophie, die bringt zum Schluss ganz gern noch einen Regenguss.

Im Grunde fühlt es sich heute schon so zapfig an, dass man denken könnte, ihr Eiskleid wehe ihnen voran. Doch, wer will sich beklagen:

Ist der Mai kühl und nass, füllt's dem Bauern Scheun' und Fass.

Dumm nur für jene, die Tomaten und anderes frostuntaugliches Gemüse schon im Freiland verpflanzt hatten. Denen füllt sich einzig der Kropf, wenn es nochmal so richtig unter Null geht. Jetzt gilt es also zu warten. Erst die eisigen Lumpazi, dann der nasse Nepomuk und nach ein paar bangen Tagen dann letztendlich am 25.Mai, der heilige Urban, der den Sommer einläutet.

Urban lass die Sonne scheinen, damit wir nicht beim Weine weinen.

Wenn Ihnen das alles ein wenig unsicher erscheint und sie bei wetter.com nicht die kostenpflichtige 3-Wochen-Vorschau gebucht haben, schicken Sie Ihre Pflanzen doch mal auf Urlaub. Schattenparken Sie Ihr Prachtgut in unserem Schatten. In geselliger Nachbarschaft zu gepflegten Magnolien und lustigen Kirschlorbeeren.

Wir stellen Ihre winterharten Sibirischen Lerchen im Hochsommer bei uns in die abgeschiedensten Orte unserer Baumschule, an die noch niemals Licht gedrungen ist. Oder für all jene, die es in der prallen Bruthitze dieser klimaerwärmten Breiten und ganz besonders ohne ausreichende Wasserzufuhr nicht aushalten, ein Plätzchen im Halbschatten, schön bodenfeucht.

Sie fahren in den Urlaub oder wollen Ihre depressive Bergenie mal auf Kur schicken. Von den vier Elementen Luft, Boden, Wasser und Sonne gibt es bei uns für Ihre Liebsten nur das Beste. Tägliche Blattpflege und die Parasiten manuell beseitigt, das läßt Ihr Pflänzchen gedeihen, dass Sie sich nach dem Urlaub eigentlich eine größere Wohnung suchen müssten, hätten wir Ihre Prachtstaude, Ihren Rhabarber, den Spindelstrauch oder Ihre Eibe nicht abschliessend in Form gebracht.

Damit sprechen wir nicht nur Ihre Topfpflanzen an. Wir holen Ihre Pflanzen auch aus den Erdlöchern und bringen sie wieder wohlbehalten dorthin zurück. Wie Sie das bei guter Baumschulware sehen können, führt das Verpflanzen dazu, dass die Pflanze robuster wird und sich im Wurzelballenbereich formschöner herausbildet. Manchmal ist ein radikaler Wurzelrückschnitt die letzte Hoffnung. Als Anregung möchte ich Ihnen das wunderschöne Lied "Topfpflanzen, gehts spaziern" von Josef Hader mit auf den Weg geben.

Ob als Kur oder als Hotel, mit oder ohne Unterhaltungsprogramm. Wir bieten zudem als Zusatz- oder Einzelpaket verschiedene Schulungen an. Wir machen auch Ihre Palme winterhart, Ihre Obstbäume laubfallfrei oder ihre Hecke vogelresistent.
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Sonntag, 8. Dezember 2013
Der letzte Stubenzweig
Auf der untersten Stufe meiner Kellertreppe klebt mein Arsch im verschütteten Nußschnaps und ich krieg die Gedanken nicht mehr klarer. Eben war er doch noch da, schon ist er wieder weg, durch mein Leben wie ein Kugelblitz, der Ast, an dem gesägt wurde. Der Zweig im Garten Eden, an dem nie der verbotene Apfel fruchten durfte.

War es doch noch ein stilistisch ausgereifter Abend im Spätherbst. Eine der letzten Flaschen, tiefgrün, vom letzten guten Bordeaux, tiefrot, am Tisch. Getafelt schon der letzte existierende Rohmilchkäse und Eselspeck von den Hochebenen Sardiniens. An der Innenseite des Trinkkristalls hingen eben noch die Tränen der Zuchtflüssigkeit durchmischt von Freude und Traurigkeit. Hatten wir uns nicht gerade in Räusche wie die des Ikarus aus Raymond Queneaus Romanwelten geflüchtet, mit dem moderierenden Angebot meinerseits, uns mit Bordeaux aus feinwandigen Gläsern daraus zu retten? Ich hätte die Nußschnapspfützen riechen sollen, hätte dem Paradigmenwechsel mit Gänsehaut begegnen sollen, als unsere Diskussionen auf dünnes Eis gerieten, unsere Gespräche an dickwandigen Pastisgläsern entglitten.

Bitte schlagen Sie ein, ein auf das immer schon Tote, das nie Geborene, schlagen Sie ein auf die nie geöffneten Jackson-Triggs und Canonaus, Jean. Lassen Sie uns die besten Flaschen gegen das Leben werfen wie gegen eine Schiffswand. Planung ist eben alles, wenn es um die Ausführung nicht gehen mag. So ist die Planung niemals über die Gerüchtephase hinausgekommen.

Jetzt wo ich in alpenländischen Hochprozentigem bade sehe ich, dass selbst als wir das ultimative Mittel der Hutzauberer, den Retsinataucher, aus dem Ärmel schüttelten, es schon Überabend war. Als wir den Ikarus mit der Finsterzwille vom Himmel holten, mussten wir feststellen, dass den Daedalus die Geier schon wieder zum Himmel emporgetragen hatten.
Als Sie "Ich bin immer zu früh." schrieben, haben Sie das "zu" nicht so recht bedacht, denn für den Abflug mag das stimmen, doch beim Landen ist das nicht angesagt.
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Freitag, 28. Dezember 2012
Die Faszination des Einfachen
Aus dem Anbau meines Nachbarn qualmt es aus allen Ritzen und Ecken. Die Käsefabrikation läuft auf vollen Touren. Ein Käse, der so wie ich ihn kenne, erstmal nach nichts schmeckt und im Abgang leicht säuerlich wirkt. Biokäse der Region.
Auf meine Verwunderung hin, daß er ohne Thermometer arbeitet, greift mein Nachbar - soeben noch mit der schmierigen Kette seines Seitenwagens beschäftigt, mal tief in die warme Milch, um den Reifegrad zu prüfen. Agriturismo nennt sich dieser Arbeitsstil bei dem sich alle Elemente der Region zu wunderbarem Essen verwandeln. So weiß man nicht, ob die schwarzen Flecken im Käse nun von der angebrannten Milch oder vom Kettenöl stammen - später jedensfalls mutieren sie zu Trüffeln. Daß das nicht nur in entlegenen Bergdörfern Usus ist, weiß ich von Bekannten, die bei der Herstellung von Bio-Merrettich mit dem versehentlich Einbringen von geschmolzenen Dichtungsgummis den Absatz keineswegs geschmälert hatten. Nebenbei bemerkt zieht sich die Thematik durch das gesamte Leben und Tun in engen Bergtälern. So auch beim Verlegen der Stromkabel, die mit den EU-Richtlinien nicht völlig deckungsgleich sind.
Bio-Strom eben.
Ich würde den Herstellungsprozeß weniger als natürlich denn als bodenständig bezeichnen. Man nimmt eben, was man hat. Der theoretische Überbau läßt sich dann leicht drüberstülpen. Und ganz ähnlich verhält es sich auch bei den politischen Ansichten in diesen kommunikationsarmen Gebieten.

Ist schon erschreckend, wenn man als hartelinie links und rechts überholt wird. Da kann einen durchaus das Gefühl des Mittelstreifens befallen. So zumindest geschehen bei meinen Forschungsreisen in den krisengeschüttelten Ländern Italien und Griechenland. So war die Antwort auf die Frage, was man denn so tun könnte, um die Krise zu überwinden: 1000 (in Griechenland) und 2000 (in Italien). 1000 was? Tausend, bzw 2000, Leute an die Wand stellen. Das derzeitige Parlament und die zwei davor. Da kennen sich ja nicht nur die Deutschen gut aus, mit solchen Methoden, sondern auch die Erfinder des italienischen Erfinder des Faschismus und die Griechen mit ihrem späteren Militärdiktaturen. Die Begründung für diese Maßnahme: dann würde sich das nächste Parlament genau überlegen, was sie so täten.

Ich bin mir da nicht so sicher, ob sie dann das täten, was sich die An-die-Wand-Steller so vorstellten. Ich denke, es würden sich anschließend nochmals 10.000 weitere an der Wand aufreihen dürfen. Die Revolution frißt ja bekanntlich ihre Kinder. Die hartelinie kann in ihrer Eindimensionalität durchaus mit dem Faschismus mithalten. Vom dialektischem Standpunkt her hat sie allerdings immerhin zwei Enden, während der Faschismus nur ein Vorwärts kennt.

Der Faschismus, das Fascinum und die Faszination sind drei Seiten ein und derselben Sache. Brandgefährlich und schwer handhabbar, ist er erstmal entfacht.
Ist schon verständlich, wenn man sein Nationalgefühl auf einer Vergangenheit aufsetzt, die sich in Geschichtsbüchern so heroisch ließt. Italien ist aber nicht mehr das römische Reich und die Rutenbündel der Amtsdiener wirken eher etwas ausgedient. Aber sie passen eben gut zu den schwarzen Hemden. Auch verständlich, daß sich ein von Krisen gebeuteltes Volk gerne an eine Idee heranschmeißt, die besagte Eindimensionalität bietet. Muß man sich nicht überlegen, welches Hemd man heute anzieht, denn alle tragen ja das gleiche. Die davon ausgehende Faszination der Eindimensionalität kreuzt sich hier mit dem vergessenem Begriff des Fascinums, bzw der Fascinatio, jenem Abwehrzauber gegen böse Kräfte, das zumeist in Form des apotropäischen Phallus seine Formgebung findet. Aus meiner bescheidenen Sicht stellt letzteres ein wesentlich sinnigeres Symbol des Faschismus dar. Das wäre mal zu überdenken.

So glaube ich, daß sich die Form der selbstgemachten Salami meines Nachbarn wesentlich besser eignet, um die das Unheil und die Gefahr der möglichen Inhaltsstoffe zu überdecken. Der Schweinefleisch-Phallus und die wie Pfefferkörner wirkenden Einschlüsse verwehren sich gegen ein Hinterfragen der Produktionsmethoden wesentlich effektiver als der Schwarzschimmel auf den doch sehr weiblichen wirkenden Käseleibern. So will ich denn doch den Käse aufgrund seines theoretischen Überbaus nochmals lobend hervorheben. Für mich ist er ein europäisches Bollwerk gegen den drohenden apotropäischen Faschismus, sozusagen das kulinarische Westwerk gegen eine kontinentale Verrohung der Sitten. So hat schon Menocchio vor hunderten von Jahren, nur wenige Kilometer von hier entfernt, bemerkt, daß wir die Maden im Käse sind. Und eben nicht in der Salami.
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Mittwoch, 17. Oktober 2012
On Demand ...
äh, müsste ich jetzt nur wissen, was ich wollte. Das macht die Suche nach dem "demand" so aufreibend, daß die Wünsche hinten runterfallen. Wunschlos glücklich treibt der Konsument im Strudel der erzeugten Träume dahin, heißt eigentlich, wird hineingezogen, auf Linie gebracht ... denn jedem kann man es nun auch nicht recht machen, wenn eben alles so billig sein soll, daß man es sich mit Dumpinglöhnen auch noch leisten kann.

Weniger "on demand" schwirren die Werbeblöcke uns um die rauchenden Köpfe. Will ich nun das Walgbrett aus Nußholz oder das aus Kastanie. Ich brauch sie zwar nicht, diese furnierte Pressholzplatte, weil in meiner Küche nur Fertiggerichte enstehen, aber sie paßt gut zu den Fliesen. Und! eine Küche ohne Walgbrett ist eben nur eine halbe Küche. Für meine Bedürfnisse könnte ich mir im Grund den Backofen und die Mikrowelle ins Wohnzimmer stellen, gleich unten und rechts vom Fernseher. Hätte man immer die Fertigpizza im Auge, ohne die Wettervorhersage zu versäumen. Kühlschrank käme neben den PC, daß man sich gleich die Kühlung sparen kann ... ich meine PC in den Kühlschrank, außen erzeugen ja beide Erderwärmung. Weil man dann zum DVD-Wechsel immer erst den Kühlschrank öffnen müsste, wäre auch dem der Klimawerwärmung geholfen.

Erzählen Sie mir nicht, daß die Klimaerwärmung nicht von den Herstellern der PC-Lüfter zumindest miterfunden wurde. Heute wird einem doch jeder Systemabsturz als das Problem einer mangelhaft unterlüfteten Graphikplatte verkauft. Bei Heizungsverkäufern liegt da der Nutznießergedanke zu sehr auf der Hand, als daß es nicht ein Image-Problem gäbe. Die hassen den Gedanken der Erderwärmung. Auch das Image der Heizkraftwerke leidet unter der neuen Hitze. Heizdecken kann man wenigstens körperlich spüren, und im deutschen Winter sich auch mal wünschen. Die kann man anfassen; Heizkraftwerke nicht oder nur sehr selten.

Wettervorhersage versäumen, meine ich eher aus sportlicher Sicht als aus Interesse, denn der "forecast" steht minutenaktuell auf meinem Desktop, sowie auf meiner blinkenden Wetterstation. On Demand? Eigentlich ist alles schon da, ehe man sich es wünscht. Bereiche, in denen der Wunsch nicht so entstehen will, bombadiert man vorsorglich mit Gratisprodukten en masse, daß für Wunschlos-partikel erst garkein Raum entstehen kann. Wenn man heute etwas Neues für sich entdeckt, wurde es dort schon als Offerte plaziert, als take-away, mal mit und aus Kundenbindungsgrünen auch mal ohne Preis. Sie entdecken nicht Wachsmalkreiden für sich, sondern diese wurden für Sie erfunden. Selbst bei Kartoffeldruck soll ja der Herrgott selbst den Erdapfel geschaffen haben und wir ihn erst nach mehreren Milliarden Jahren auf dem europäischem Kontinent für uns entdeck. Was für ein Makro im Mikrokosmos!

On Demand ist natürlich ganz anders gemeint. Dieser Begriff umreißt Situationen, in denen Wunsch schon lange da ist, nur mit der Produktlieferung klappt es nicht. Weil 200 Stangen Zigaretten nur für Hausbesitzer eine Alternative darstellen, wird der lagerlose Einzimmerbewohner dazu gezwungen, das Suchtverlangen teils erst nach nächtlichen Eskapaden stillen zu können. Oder Sonntag, die Milch aus und der Bäcker im Urlaub.
Ganz klarer Vorteil bei meiner Küche im Fernsehregal: man hat auch immmer die Bierreserven im Auge. Was bei 'ob noch genügend Bier im Keller ist" passieren kann, zeigen sich oft genug bei kommunikationsgestörten Feierlichkeiten und ihrer Logistik, wenn alle im Informationsverlauf mitpfuschen. Bei meinen Einzimmer-Parties mit dem PC im Kühlschrank im Fernsehregel führt diese Frage regelmäßig zu einer einheitlichen, entsetzten Stimmung und dem sofortigem gemeinschaftlichem Aufbruch in die regnerische Nacht hinein. Bis zur Nachttanke, letztlich auch wieder eine Möglichkeit die Wettervorhersage zu erfahren, diesmal aus der Tageszeitung an der Kasse. Die Infomation darf man mitnehmen, die Zeitung sollte man da lassen.
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Freitag, 15. Juni 2012
Die Präziositäten des lohnfreien Lebens oder die Unlust am Schreiben - ein Tag am Pool
Die Sprache scheint heute eher geschaffen, um all die Häßlichkeiten des Lebens in Worte zu fassen, während wir unsere Mitmenschen am Schönen eher durch ein verschmitztes Schweigen teilhaben lassen. Ein Blutgerinnsel begegnet uns, bereits mit 1000 Adjektiven behaftet. Doch wie hoch muß man greifen, um einem Regenbogen aussagekrätige Eigenschaften anzuhängen.

Von der Sonnenliege aus geht mein Blick im Sinkflug über den von Kieseln bedeckten Platz rund um den Pool; ein Kiesel so verschieden vom anderen in Form, Farbe und Maserung, so einzigartig unter vielen, daß man ihm eigentlich ein Eigenleben zusprechen möchte. Eingefaßt und unterbrochen von Grassorten und anderen Büscheln ruht die Kieselwüste in all ihrem Frieden vor mir.
Kein Steinchen bewegt sich in dieser Mittagshitze, nur die höheren Gräser wackeln wollüstig mit ihren Köpfchen im Wind - die Lichtnelken mit einem bezauberndem Lächeln, nur die Akelei senkt ihr Hütchen unter der prallen Sonne.

Unser durchstrukturiertes, auf Effizienz ausgerichtetes Leben hat auch die Sprache im Würgegriff, als wäre sie ein Arbeitsprozeß. Unser Blick hingegen scheint größtenteils noch frei von dieser Grammatik.
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