Sonntag, 8. Juli 2012
Der Tod ist eine Endung - Kapitel 1 Absatz 3
Vincenzo macht sich nicht die Mühe aus dem Taxi zu steigen und mir ist augenblicklich klar, daß wir offenbar nicht vorhaben, uns auf ein Kännchen Tee mit General Nicolas niederzulassen. Er lächelt ohne eine Erklärung, als das Taxi uns durch den noch sehr durchlässigen, morgendlichen Verkehr, den Tiber an der Ponte Umberto querend, zur nahegelegenen Chiesa di Sant'Apollinare bringt, jener Kirche, die erst in jüngster Vergangenheit wieder verstärkt ins Licht der Öffentlichkeit gerückt ist.

Enrico de Pedis, der 1990 von der Konkurrenz niedergestreckte Boss der berüchtigten Banda della Magliana, wurde hier in der Krypta, die im Grunde der höchsten Geistlichkeit vorbehalten ist, mit Erlaubnis des damaligen Generalvikars von Rom, Ugo Poletti, beigesetzt, über die nun der Opus Dei seine göttliche Aufsicht walten läßt. Sicherlich nicht der einzige Ort, an dem Mafia und Vatikan Seite an Seite stehen und liegen. Vermutlich war es mehr als die saftige Spende der Witwe de Pedis und seine späte Reue im Gefängnis, die dem mit Diamanten bestücktem Sarkophag voll mafiöser Knochen Einlaß gewährt hat.

Da sich ein Skandal alleine selten wohl fühlt, sollen sich, entgegen den Aussagen des Papstattentäters Ali Agca jüngsten Gerüchten zur Folge in genau jenem Steingrab, sozusagen in den fleischlosen Armen des Herrn de Pedis, auch noch die Überreste der vor 30 Jahren gekidnappten Flötenschülerin am vatikanischen Musikkonservatorium, Emanuela Orlandi, befinden. Daß dem nicht so ist, nimmt dem Romanzo criminale nichts an aktueller Brisanz.

Mir dämmert in den unterbewußten Arealen meiner vom Schlafmangel malträtiertem Gehirnmasse, daß mich Vincenzo mit unserem wortkargem Besuch dieser scheinheiligen Gottesstätte auf etwas stoßen will, das uns auf unserer weiteren Reise in die längst vergangene und, trotz all der Toten, doch noch so lebendige bleierne Zeit, die 'anni di piombo', zurückholen wird.
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Donnerstag, 5. Juli 2012
Der Tod ist eine Endung - Kapitel1 Absatz2
Nachdem ich gestern mit Vincenzo bei seiner Mutter meine Innereien auskleistern durfte mit den feinsten Speisen eines adriatischen Fischerdorfes namens Marano, stehe ich nun in der Borgo Santo Spirito, zwischen Tiber und Vatikan, an der Pforte, der Herzklappe des Jesuitenordens, dem Zentrum der Societas Jesu, und warte, nicht nur, auf ihn.

Während sich also noch Jakobsmuschel und Calamari, Pasta und Polenta - wer hätte gedacht, daß es diese auch in weiß gibt - ihren Platz in meinen innersten Gewölben suchen, durchwandle ich im Geiste nicht nochmals die Gänge des gestrigen Menüs, sondern sehe vor mir in der Unschuldigkeit des Sonnenaufgangs Papst Formosus in den Fluten des Tibers treiben. Läge zwischen jetzt und der Leichensynode vom Jänner 897 nicht mehr als als ein Jahrtausend, hätte ich Probleme den verstümmelten Korpus auf der im Gegenlicht glitzernden Wasseroberfläche zu erkennen. In meinem Tagtraum allerdings kann ich selbst die nicht mehr vorhandenen Schwurfinger der rechten Hand erkennen, die ihm, exhumiert während des Strafgerichts abgehackt wurden. Eigentlich gut für ihn, daß er es nicht am lebendigen Leibe miterleben mußte. Es muß sich bei meinen Träumereien um das Jahr 897 handeln, denn als ihn Papst Sergius III. zehn Jahre später nochmals ausgraben ließ und abermals in den Tiber warf, fehlten ihm schließlich alle fünf Finger der rechten Hand.

Der gute alte Joseph, den ich gleich zu treffen gedenke, wird sich nur ungern auf ein Schwätzchen hierzu einlassen, denn seine Amtszeit wird schon zu Lebzeiten von verschiedensten Fraktionen als bedrohlich empfunden. Und genau deßhalb sind wir, das heißt, im Moment nur ich, hier. Im Grunde sollte ich es noch nicht einmal im Gedanken äußern, geschweige denn schreiben - und keinesfalls hier vor den Toren des vatikanischen Geheimdienstes - daß wir Verbündete suchen. Ein Zweckbündnis mit dem vom Gift der Raben bedrohten inneren Zirkel des Katholizismus. Wie es Gerhard Polt so schön formuliert hat. So sieht man also aus, wenn man die Welt so viele Jahrzehnte mit seiner Liebe beglückt hat. Schließlich und endlich bin ich aber auch nicht hier, um einen Lebenspartner zu finden, sondern eine temporäre Zweckgemeinschaft, die uns aus dem Dilemma herauskatapultiert, in das uns das 'Nuking' des Castors mit seinem massivem Kollateralschaden gebracht hat. In unseren Kreisen ist es noch nie von Vorteil gewesen zu reagieren. Regieren heißt agieren, ohne Re und Contra.
Inwiefern uns der wackelnde heilige Stuhl einen Schritt weiterbringt, werden wir noch heute auszuloten versuchen. Ich und Vincenzo unsererseits und der kammerbediente Papst Benedikt, sowie sein Kammerjäger Adolfo Nicolas auf jener anderen, ich möchte fast sagen, erleuchteten Seite.

Als sich die schwimmende Leiche Formosus, aufgeschwemmt vom vielen ins Wasser werfen, sich in den Fluten des Tiber treibend mir plötzlich mir zuwendet, sehe ich kurz das Gesicht von Bernd Schlömer, auch einem auf Wasser Treibendem, weil Piraten, und zugleich Regierungsdirektor im Bundesministerium der Verteidigung. In Rom wirkt alles wie das Zeichen eines Gottes, an den ich nicht zu glauben gewillt bin. Was soll's, schließlich sind beide nicht eingeladen zu unserer heutigen Soiree und schnell verfliegt das Bild, als Vincenzo mich aus dem bremsendem Auto heraus mit einem "Buon Giorno, Signore Falcon!" aus meinem Tagtraum reißt.
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Montag, 2. Juli 2012
Der Tod ist eine Endung - Kapitel 1 Absatz 1
Hier stehe ich zwischen Jack Parsons und Enrico De Pedis, der mir ein stark ausgebleichtes Foto von Emanuela Orlandi vor Augen hält als wäre es das Ausrufezeichen eines Satzes, den er noch nicht geäußert hat. "Sehen Sie ...?".

Nein, ich sehe nichts, denn das, was ich zu hören gezwungen bin, widert mich eigentlich schon genug an, als daß ich den Ton zum Film missen würde. "Wissen Sie," entgegne ich,"Scientology ist für mich eine bereits leicht angefaulte Lyoner-Ringelwurst ohne Zukunft und mit einer eher fadenscheinigen Vergangenheit, die beide Enden zusammenhält - Wissenschaft und Religion - zwei Glaubenssystemen mit der denkbar schlechtesten Reputation und dem einzigen Unterschied, daß sich das eine möglichst nie ändert und sich das andere möglichst täglich widerlegt. Ich saufe lieber." Da kann der Honigmann schreiben, und Paolo Gabriele sagen, was er will. Mir geht das entgegen den triebverhinderten Schwarzkutten und Pressemäulern am Arsch vorbei.
Vincenzo, der unserer Unterhaltung bisher nur scheinbar zu folgen schien, zieht sich aus dem tiefen Ledersessel und beginnt langsam durch die Bibliothek zu wandeln, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. "Sehen Sie, es ist eigentlich ganz einfach. Alles was Gut ist, ist schlecht, und alles was Schlecht war, ist gut." Er tritt ein Papierknäuel quer durch den Raum. "Sie sprechen von Terroristen. Das ist falsch und doch richtig. Wir sind mit dem Begriff bisher leichtfertig umgegangen. In unserem bisherigen Verständnis zielten die Operationen von Terroristen gegen die Macht oder Unschuldige. Das unterscheidet den zivilen Terrorismus vom militärischem Staatsterrorismus. Dieser wendet sich vorwiegend gegen Ziele aus den eigenen Reihen oder gegen seine eigenen Unterstützer. Kurz, um die ängstliche Wählerschaft auf seine Seite zu bekommen, muss sich der Terror zwangsläufig gegen diese Ängstlichen wenden. Sprich, bei der dirty bomb kurz vor Gorleben sollte es weniger die Atomwirtschaft treffen, als die 2122 Demonstranten rund um den Castor. Die Minen auf den Ringstrassen und Dinger für die Fußgänger wage ich als Akt der Vertuschung zu bezeichnen. Wir haben es nicht mit klassischen Terroristen zu tun. Und schlußendlich schließe ich fremdstaatliches Wirken nicht aus. Ich vermute es sogar."

Das klingt schon mehr nach einem potentiellem Trinkbruder und weckt mein Interesse, nicht etwa weil er es so meint - er scheint sich bereits die Presseformulierung im Geiste bereitzulegen, sondern weil mich der Mann hinter dieser Stimme schon öfter positiv überrascht hatte. Ich kenne Vincenzo noch aus unserer gemeinsamen Zeit bei der NATO, aus der Strategie der Spannung. "Haben Sie eine Vermutung? Was sagt ihr Bauchgefühl?" will ich von ihm wissen, nachdem meine Frage, ob wir das etwa nicht selbst gewesen wären, bemerkungslos an ihm abperlt.

"Bewunderung? Ich spüre Bewunderung, wie auch schon bei den Twin Towers. Schwere Betroffenheit," lacht," Getroffenheit. Es ist der Moment, in dem sich der Schmerz des Schlages mit der Bewunderung für den akuraten feindlichen Angriff mischt." Diesmal gräbt sich sein Schuh kurz vor dem Papierknäuel unter den Teppich. "Ein lebensbedrohliches Moment ... wir rufen Anton an. Wen können wir schützen? Wer ist am meisten bedroht? Ich vermute, jeder Bürgerrechtler, jeder Held des Volkes, Günther Wallraff. Lebt der noch?"

Seine Ausdrucksweise erinnert mich stets an schlecht geschriebene Soaps. Inzwischen weiß ich allerdings, daß er auch so denkt. Das letzte Interview, an das ich mich erinnere, ist von 1976. "Ach ne, Herr Vinciguerra, das is jetzt echt der beschissenste Job meiner Laufbahn. Sie gedenken doch nicht, die ganze Rotwein-Fraktion der Ökoaktivisten unter Polizeischutz zu stellen. Man wird von uns eine aktive Haltung erwarten, einen Schritt nach vorne. Aushebung von Waffenlagern, Fluchtfahrzeuge, Kameraaufzeichnungen. Wie 911 meinetwegen gleich heute den Hauptschuldigen ..."

De Piedis und Parsons stehen neben ihm wie die Säulen neben dem Tempeleingang. "Natürlich werden wir auf allen Ebenen operieren. Wir sollten uns erstmal im größeren Kreis zusammenfinden und die Stimmung ausloten." Vincenzos Stimme klingt beinahe resigniert, aber es scheint eher als lauere er auf irgend etwas.

"Die Art und Weise, wie wir unsere Leute von der NSU verbraten haben, ... fahrlässig, würde ich mal sagen, nicht besonders effektiv.
Auch pressetechnisch nicht der Renner. Ähnlich der Aktion in München 1980. Wir haben zu wenig Bauern auf dem Brett, die wir opfern könnten. Vielleicht wollen uns die krisengeschüttelten Kumpels aus Italien," was Parsons einen Pruster entlockt," nach der verlorenen EM," jetzt hält er nicht mehr an sich und verschüttet sein restlichen Cidre," uns das Dilemma abkaufen, um sich aus der Vertrauenskrise zu retten. Monti halte ich durchaus für fähig genug, das zu 'handeln'."

"Ich setze den Vorschlag mal auf die Agenda. Das könnte selbst den hundertjährigen Licio aus der Reserve locken, so daß er vielleicht auf die letzten Tage nochmals die Alpenrepublik verläßt." Seine Lauer scheint eine Fährte aufgenommen zu haben. "Wir sehen uns morgen bei Adolfo in der Borgo Santo Spirito. Und versuchen Sie, zumindest einmal nicht nach diesem abartigen Gerstensaft zu riechen, mein Bester." Aha.
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