Von Kufstein auf die Salzburger - ein Parallelslalom im Geschwindigkeitsschilderwaldmissstandsrennen
Brütende Hitze im September und das Auto voll mit Kindern. Selbst fiebrig erkältet und bereits 5 Stunden Fahrt auf dem Pedal. Der CD-Spieler im Arsch und die frische Obsternte aus Versehen oben im Heck verstaut. Die Ohren vom ewigen Auf und Ab durch die Alpen und der Erkältung dicht, bin ich schon mehr Teil des Motors als der lärmenden Fahrerkabine.
Der Rückreiseverkehr auf den alpenländischen Autoputs lässt sich grösstenteils umgehen, indem man die oft kürzere Landstrassenvariante wählt. Glücklicherweise verwerfen Lastwägen und die meisten schlechten Autofahrer selbst mit Navi diese auch landschaftlich schönen Routen - scheinbar aus Angst vor den Pässen.
Ab Kufstein Süd allerdings, der letzten pickerlfreien Zone Europas, lässt mich der Inn nicht mehr anders durch. Und der Gedanke, auf den Landstrassen in der Prärie Südbayerns notfallmässig anhalten zu müssen, übersteigt bei mir das Vorstellungsvermögen und die Schmerzgrenze. So kommt es, dass eine schöne Rückfahrt stets im Wahnsinn endet.
Wie fährt man diese Ausgeburt der Zivilisation, diesen Tumor der Sozialisation, dieses Abbild dessen, worin wir eigentlich leben? Mein inneres Spurnavi schlägt von Kufstein bis McCraw-Graben Folgendes vor:
Die Baustelle von Kufstein bis Inntal-Dreick, also die gesamte A 93 links vorziehen, denn die Dicken müssen aufgrund der Spurbreite alle rechts bleiben - und das sind inzwischen die meisten. Das klappt im Grunde immer, es sei denn, einer der Laster beschliesst, etwas mittiger dahinzuschwänzeln. Dieser Missstand blieb mir heute seltsamerweise erspart. So mache ich hier bereits meine Kilometer. Und zumindest in meiner Phantasie sind dann schon 50 unberechenbare, latente Halbwahnsinnige nicht mehr vor mir.
Ab Rosenheim wird die Situation schliesslich richtig verteufelt. Was für Menschen, sind das, die da bereits auf der A 3 angeschossen kommen? Wo machen die Urlaub? Ab hier treten alle Gesetze der Strasse ausser Kraft. Ich glaube, es ist die Gruppengrösse. Ab hier mutieren die Dicken und die ängstlichen Dummen aufgrund der erweiterten Spurbreite, also volle Spur für Vollbürger, zu dieser Masse, diesem einzigen Lebewesen, das es schafft, sich im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte freiwillig und dafür auch noch Eintritt zahlend zusammenzutun, um sich gemeinsam so zu behindern, dass am Ende keiner zufrieden ist und der ein oder andere sein Leben lässt. Ganz spurunabhängig.
Das Formel-I-Gefühl, vermutlich das einzig nationale Element der Deutschen, kommt eben nur so auf, denn eigentlich ginge es auch mit 120 durch wenn sich alle an die sonst üblichen Regeln hielten. Anstatt schneller und sicher anzukommen, stürzen sich alle wie Lemminge im Massenwahn in ein selbstinszeniertes Gladiatorenrennen.
Während die A 96 aufgrund der langjährigen Dauerbaustellensituation bereits familiär wirkt, ist es auf der teils vierspurig befahrbaren Salzburger der Respekt vor der Masse, der verhindert, dass so mancher mal die Spur wechselt, insbesondere nach rechts herüber. Ein Parallelslalom der anderen Dimension.
In einer etwas merkwürdigen Disziplin, die ich für sehr gefährlich halte, die Parallelfahrer. Der grösste Teil hiervon jene, die einfach nur vor wollen mit ihren knapp 200PS. Vermutlich sind jene hauptberuflich garnicht Lehrer, die meinen mal allen zu zeigen, dass man auch ganz links eigentlich nur genau 100 fahren darf. Bei vielen Italienern hingegen scheint es eine Art genussorientierte Ignoranz zu sein, die sie zwingt die Mittelspur unter keinen Umständen zu verlassen. Die meisten fühlen sich hier rätselhafterweise sicherer als anderswo, obwohl sie selbst die Hauptverursacher dieser blockierten Blechlawine sind und von beiden Seiten angreifbar.
Dazwischen die Slalomfahrer. Die agressive Antwort auf die Mittelspur- und Parallelfahrer. Jene, die durch das Nadelöhr der rechtesten Spur nicht mehr durchkommen prasseln von hinten auf das schleichende Chaos ein und verteilen sich über die restlichen Spuren. Und so wird rechts überholen zur Definitionsfrage, wann denn hier schleichender Verkehr bestehe. Wie die Hornissen fliegen sie immer neue Angriffe auf die paralysierte Masse.
Bei Tempo 100 ist das mit Kind und Kegel an Bord kein Spass und Angst nicht der beste Begleiter. Wie fährt man das?
Einfach auf die rechte Spur, en passant, Brunntal-Dreieck gut durchrutschen bis der letzte Schback weiss, wo er hin will, dann den Zieher mit, seit neuestem, 80, wegen Lärmschutz für die Felder, oder was eigentlich, links fahren, weil die meisten hier in Anbetracht des Geschwindigkeitsschilderwaldes (das Wort so wie der Wald) gleich mit 60 auf der rechten Spur runterbremsen und abwarten bis zum McGraw-Graben, wo dann alle statt 50 plötzlich 70 wollen. Nach dem Autobahnzieher hat man vorwiegend rechtsfahrend gute zehn Minuten gewonnen und holt sich keinen Blitzer, wenn man im McCraw-Graben dann mal die anderen vorlässt.
Mit dieser Spurführung fährt man nicht nur relativ risikofrei und steht am Ende doch noch mit auf dem Siegertreppchen, so man da mit den halbwahnsinnigen Totschlägern stehen will.
einemaria am 10. September 13
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