Sonntag, 23. August 2020
Das Kapital schlägt durch
Diesmal auf den Bereich der Legislative.

Ein Interview mit dem Politkwissenschaftler Ulf Mauser über die Umwälzungen auf dem Politikmarkt.

Es war nicht anders zu erwarten. Früher oder später würden die Sparmaßnahmen auch in der Politik Einzug halten. Dass auch der Bürger als Privataktionär des Staates sein Stimmrecht einklagen würde, wurde von vielen Experten bereits lange erwartet.

"Wer zahlt, schafft an," fasst es Polikwissenschaftler Ulf Mauser zusammen. "Der unwesentliche Beitrag zum Einkommen von Politikern durch Kickbacks, Bargeldzahlungen und die Versprechen von Posten im Vorstand nimmt sich neben den Steuerabgaben im Grunde winzig aus. Seit nun auch Unternehmen vor dem Gesetz nicht mehr als natürliche Personen erachtet werden, hat das Stimmgewicht der Bürger erheblich zugenommen."

Dass die Wirtschaft zusammenbricht, wie ursprünglich von Medien und Betroffenen prophezeit, hat nicht stattgefunden. "Solange es gute Ideen gibt, wird sich der Markt immer wieder füllen. Für Leute, die sich auf Kosten anderer Fantasiegehälter zahlen oder durch Marktspekulation und - manipulation Millionen einstreichen, ist es natürlich mehr als unangenehm geworden. Dem Markt aber macht das nicht nur nichts aus, es belebt ihn vielmehr," so Mauser.

"Die versprochenen blühenden Landschaften kamen mit etwas Verspätung, doch seitdem die Beschäftigten Anteilseigner ihrer Unternehmen geworden sind, ist sich die Wirtschaft hierzulande aus einer billigen, muffigen Kaschemme zu einer geselligen Volkswirtschaft gemausert," witzelt Mauser und kann sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Ein konsequentes Nebenprodukt dieser Entwicklung sind die neuen Arbeits- und Werkverträge auf dem Feld der Politik. Probezeit und Zeitverträge, sowie die Auflösung des herkömmlichen Parteienfilzes und seiner nicht mehr zu übersehenden Verschmelzung mit Konzernmultis und Großkapital waren mehr als überfällig. "Im Spätkapitalismus bekam man ja auch keine Arbeitsstelle nur weil man bei der Gewerkschaft war."

"Dass wir heute Experten, Minister und Abgeordnete aus aller Welt einkaufen, hat nicht nur den Vorteil, dass man sie morgen wieder heimschickt, wenn sie sich wie schlechte Hausbedienstete aus der Speisekammer oder dem Geräteschuppen bedienen als wäre es ihr eigener. Ich frage mich, wie wir nur so lange die Steuergelder Leuten in die Tasche schieben konnten, die nicht für ihren Geldgeber, den Bürger, sondern für ein Clique von dunklen Hintermännern und sich selbst gearbeitet haben. Abgeordnetenrente mit 45, einen Vorstandsposten und ein dickes Sümmchen bei einer Stiftung in Lichtenstein. Wie soll man das jemandem erzählen, der 39 Stunden lang für weniger als 1500,-€ die Drecksarbeit erledigt."

" Es wäre auch nicht klug, das Lohnniveau unserer Volksvertreter auf Niedriglohn abzusenken. Gute Professoren und Spezialisten aus Wirtschaft und Wissenschaft bekommt man schließlich nicht für nen Appel und ein Ei. Dafür schreiben wir Posten für Staatssekretäre und andere Staatslenker auch nicht mehr für Profipolitiker aus, die nichts anderes gelernt haben als Mehrheiten für ihre nächste Wiederwahl zu bilden. Es schadet nicht, wenn Verkehrsminister mal in einem Verkehrsbetrieb gearbeitet haben oder Wirtschaftsminister aus dem Handwerk kommen. Die Antwort darauf, warum wir ehemals so viele Juristen in Amt und Würde hatten, das überlasse ich Ihrer Fantasie. Ich möchte da nur auf das endlich überkommene Rechtsverständnis der Politikerzunft aus jenen schmierigen Zeiten verweisen, wo Steueroasen noch mit Brunnenwasser der Industrienationen am Leben erhalten wurden. Es war ja nicht die Bank der Bahamas, sondern unsere eigenen Groß- und Staatsbanken, die den Kapitalabfluss gesteuert haben. Und die saßen bekanntlich ja an stabilen Orten wie Guernsey, Delaware oder den Niederlanden.
Ich stimme Herrn Adorno nicht zu, wenn er sagt: Mundus vult decipi - die Welt will betrogen sein. Das mag für Krebskranke stimmen, nicht aber für unser Gesellschaftssystem. Ich denke, der Mensch ist reif für die Aufklärung. Und das schon seit 1633."
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