Samstag, 21. September 2013
Der Biergärtner

- Geschichten von der Saufside -

Deutschland hat nur drei Jahreszeiten, weil es die vierte nicht sieht vor lauter Regen. Bayern allerdings darf sich einer fünften Jahreszeit rühmen, dem Oktoberfest.

Der Biertsunami steht vor der Tür und ich bin fleissig am trainieren mit der milden Orange und Linda, der Butterkartoffel. Denn die Maß geht zum Fassl bis sie sich erbricht. Das Restbier in der Flasche schiebt nach mit 7 Atü, während es sich hinabzwängt in mein Bauchfassl. Schon sehe ich die Schutzschilde der Magenwände rosten und kann nachts nicht schlafen, weil ich von Wassereinbrüchen träume, die womöglich das konsumierte Bier verwässern.

Das Ultimatum ist abgelaufen. Die Bodentruppen der hartenlinie, die Söldner der Alkoholvergiftung, die zur Erstürmung der Promillegrenzen an der gesamten Schankfront angerückt sind, schieben sich en gros in das Herz der heimlichen Hauptstadt.
Intersuff 2013, anything goes. Die Zeiten haben sich geändert. Im Großen wie im Kleinen brechen die Dämme. So wie man heute auf Genfer Konventionen scheisst, scheisst sich so manch anderer in Hosen, die er garnicht mehr trägt. Der Sacco di Monaco kann beginnen.

... und majestätisch auf dem Oberdeck die Offiziersklasse der Bodentruppen.

Wie der Maikäfer seinen Monat kennt, gibt es auch hier in München ein kriechendes Tier, das sich scheinbar Ende September mehret. Dann mag es sich anfühlen, als stünden Sie in der Innenstadt umringt von Heerscharen des Rausches. Doch glauben Sie mir, die Echten, jene, die nicht vom flambierten Apfel und der Achterbahn berauscht, jene, die sich grenzenlos der alkoholischen Verwahrlosung hingeben, die werden Sie nicht an öffentlichen Plätzen finden. Wir kriechen über Zäune und durch Hinterhöfe, immer schön im Schatten haltend - und bei Verlassen der Genußstätte ist es zumeist schon sehr schattig.

Die Wiesn ist ein Landgewinnungsprojekt für Vertriebene und alle anderen Rauschkugeln und die letzte Ehrerbietung an jene, die an den Zäunen, Hecken und Entgiftungskliniken hängengeblieben sind.


Zwischen Hopfendolden und der Ruhe einer Kastanie hält der Gott des Bieres Einkehr. Wegen seines stets übermäßigen Rausches konnte weder er sich selbst noch je ein anderer an seinen Namen erinnern. So rein volksmythologisch würde ich ihn einen Sohn des Dionysos nennen. Lärm, Extase, orgiastische Riten. Das klingt vertraut hier in der Hauptstadt der BierBewegung, der einzigen alpennahen ehemaligen Räterepublik, ausser der Schweiz vielleicht und natürlich Kolbermoor. Und dieser Biergott gerät so richtig in Bewegung, wenn ein Bierstau entsteht, wenn also im September das alte Bier raus muss, weil das neue gebraut werden will. Dann zieht er mit seinen Horden durch die Strassen ... sie sehen ja, wie es aussieht.

Marcel Duchamp, Vater der Ready Mades, wie der umgedrehten Closchüssel, erlebte 1912 in München seine totale Befreiung. Und Albert Einstein drehte 1896 auf der Wiesn die Glühbirnen beim Schottenhammel rein. Diese Qualität können wir bei den heutigen Bodentruppen der hartenlinie nicht aufbieten.

Ein Schnappschuss vom Biergott beim Abkühlen während der Trinkphase.

Die Brennstäbe heiss wie an der japanischen Küste und das Bier schon in der Hose, aber immer bereit für einen Nachleger, brütet das Bierkraftwerk und braucht mehr Kühlwasser, schweres Wasser, ein Biermeer. Und da bieten die Münchner Brauereien das schwere Märzenbier vor der neuen Brausaison ganz billig an. Keine 10 EUronen, also ungefähr doppelt so viel wie auf dem Dachauer Volksfest.

Unsere Truppen aber liegen in den Gräben und Regalen als könnte man sie für nen Euro Falschgeld mitnehmen. Täuschen Sie sich nicht. Das ist die Infantrie der Zukunft. Oft völlig platt als schlafende Schläfer verkleidet, rotten sie sich rund um das wummernde, leuchtende Bierportal, in Toillettenstrassen und in Hinterhöfen. Wie von der Rotzkrankheit befallen, wie von Parasitose und Protozoeninfektion dahingerafft trieft es aus diversen Körperöffnungen.
Und wenn der Winter nicht schon mit dem Oktoberfest angefangen hätte, wäre auch noch die Luftunterstützung der Anophelesmücken eingetroffen. So wird es hart.

Ob wir da das ganze Bier wegbekommen? Zum Glück wissen die Leute, die wegen der Wiesn kommen, dass wir hier unsere Kinder und Enkel die restlichen 50 Kalenderwochen über davon ernähren müssen. Und deshalb nehmen sie viel Geld mit, womit sich all das Bier erst finanzieren lässt, der Treibstoff des Umtriebs. Eine Gehirnzellenvernichtungsmaschine der anderen Dimension. Wir hatten das: das bayrische Tao eben, das Nichts zu denken. Nur so können wir es schaffen, auch Glühbirnen reinzudrehen und Closchüsseln verkehrtherum aufzustellen. Den Biergott allerdings kann nur besänftigen, wenn das alte Bier endlich alle ist und er wieder friedlich zwischen Hopfen und Kastanie sein Frisches bekommt, ohne Lederhosen und für die Hälfte - mit Platzgarantie.


Ich bin Biergärtner. Ich stelle hier die Fragen, die immer schon gestellt werden wollten, die sich aufdrängen. Zumindest mir. Ich pflanze Gedanken und giesse, was zu wachsen gewillt ist. Ich beschenke die Massen. Ich kredenze das flüssige Gold - etwas Schank, etwas Kellner. Die dürstenden Kehlen benetzend mit ... was denn eigentlich? Dieses Jahr mit krisengeschütteltem, also etwas ausgerauchtem Bier.

So manchem schmeckts noch nicht mal und andere kriegens nur mit Limo runter. Sitzen aber mitten auf den besten Plätzen und wedeln mit Firmengutscheinen. Schon verständlich, warum auf den Gutscheinen mal ganz gegen ihre eigentliche Art kein Firmenlogo prankt [sic!]. Diese firmenpolitische Dimension der Wiesn ist eine Unart des kapitalistischen Konsumterrors, bei der es gilt, sinnfrei möglichst viel Alkohol auf Firmenkosten in sich hineinzuschütten und im Gegenzug für ein Jahr wieder sein Maul zu halten. Die Marktwirtschaft ist ein Haus ohne Platz für Gäste und eine Wirtschaft ohne Wirt - also der natürliche Feind des Biergärtners.

Allgemein ist die Wiesn eine, von den Brauereien mal abgesehen, werbefreie Zone. Der volle Fokus liegt auf dem Bier und nur nebenbei auf seinen Konsorten, wie Fischsemmel, Lungenhering [sic!], Brezn, Schnupftabak, Mandeln, Glückslos und Fahrgeschäft.

Das einzige ausser Herzchen, Plastikrosen und Mandelbröseln in der Jackentasche, was man von der Wiesn mitnehmen kann, ist der Rausch. Einen Rausch, der oft für die nächsten Tage auch noch reicht. Für den Geschmack und die Süffigkeit des Biers und den rustikalen Sitzplatz zahlt man seine 10 Euronen, den Rausch bekommt man gratis mit.

Wenn man da einen echten Orginalrausch erwischt, dann kann es schon mal vorkommen, dass man das Vorreservieren für nächstes Jahr glatt vergisst. So ein gewichtiger Rausch, den man aus den Massen saugt, ist eine Lecktion die man so schnell nicht vergisst. Die Wiesn ist eine pädagogische Aktion, eine zweiwöchige Rauschanordnung der bayrischen Staatsregierung, ein Rauschedikt. Die Wiesn ist das bayrische Tao, bei dem es dem ein oder anderen in Ausnahmen sogar gelingt, das Nichts zu denken. Prost.


Millionen von Wohlstandsbürger sitzen dicht gedrängt an der Tränke, die besseren Mastbürger in den Boxen, der Restbürger rund um die Kapelle auf einfachen Bänken.

Die Kehlen ausgetrocknet von der rauchfreien Luft und dem Brezensalz. Und weil es eben keine zwei Bier gibt, weil die Tugend der Mittelmass noch nicht seinen gesellschaftlichen Durchbruch geschafft hat, weil das Maß halten und die Genügsamkeit mehr Aus- denn Einzug gehalten haben in unserem Denken, gewinnt auch beim Bierdesaster 2013 wieder der Wirt, wie das Binder und Krieglstein in Drink all day schön zeigen.
Das Oktoberfest ist ein Austauschprogramm der etwas anderen Art für Jung und Alt.

Magenbrot, das nicht jedem bekommt. Herzchen schenken und Herzen verlieren. Trinkgeld geben und Bier schneller bekommen. Brezn essen, länger leben. Aber oft auch unerwünschte Geschenke, die wir in Redensarten wie "des kotzt mi o", "ich piss mich an vor Lachen" und "verpiss di" wiederfinden.
Man gibt und nimmt Liebe, die durch den Magen geht. Ein Mann und fünf halbe Hendl, der kulinarische Genuss von 5 Schamlippen, ein Kuss von zweieinhalb Hendlmündern sozusagen, und drauf 7 schlecht Eingeschenkte, also fast 3 Mittelmass, bis einen die Erkenntnis, was man da gerade zu sich genommen hat, dazu zwingt, es wieder hervorzuwürgen. Die Fluchtwege zu den Toiletten völlig überfüllt und im Gedränge fliegen einem noch mehr wohlduftende halbe Hendl am schon spastischem Gedärm vorbei. Das ist doch ganz normal, dass da mal was danebengehen kann.

Schon am Wiesngrenzgebiet, da wo es auf der Wiesn noch eine Wiese gibt, erwischt mich die Druckwelle des Gestanks aus Erbrochenem und anderen Arten menschlicher Entleerung. Eine junge Dame gibt all das Hefeteiggebäck, das sie über den Tag wie eine Mastgans in sich hineingestopft haben muss, von sich, eine selbstgärende Substanz wie auch das Weißbier, was das Strassenpflaster noch lebendiger macht, biologischer wirken lässt. Diese junge Dame wäre mit Sicherheit die Nummer Eins für den Öko-Award von münchenkotzt.de. Ab einer gewissen Befüllung mutiert im Grunde jeder Wiesnbesucher zu einer Partikelschleuder und wird oft auch selbst zum Partikel.

Die Lederhose war vermutlich die erste Splitterschutzkleidung, sie soll das schützen, was drin ist, und draussen halten, was nicht hineingehört, den Hosenladen wie bei der Intifada tunlichst geschlossen.

Ordentliche Knöpfe am Hosenträger machen den vom Bier Niedergestreckten sofort transportbereit. An alles ist gedacht.

Die Besserversicherten werden nicht am Hosenträger, sondern in rollenden Zelten abtransportiert - allerdings erst nachdem das frische Magenbrot abgepumpt wurde.

Saufen und fressen, schwitzen, pissen, scheissen und kotzen, mit der Möglichkeit zu vögeln - all in one mit Gewinnchance, aber die 5 halben Hendl und sieben Mass bleiben Eigentum der Wiesnwirte und verlassen nur selten das Wiesngelände.

Auch hier findet es sich also wieder, das bullemische Grundelement des heutigen Konsums.

Bezahlen, konsumieren, aber im Grunde nie besitzen. Das Bier muss fliessen und desshalb bleibt es hier, samt Geld und Hendl.

... wenn Sie verstehen, was ich meine.


Ich darf Sie jetzt schon einladen zum Brezensalzer 2014, gleicher Ort, gleiches Gelage. Prost, Mahlzeit
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