Sonntag, 23. Juni 2013
Im roten Dirndl nach Feuerland
- eine imaginäre Reise durch die Fjorde des negativen Horzionts

"Der Mann ist Passagier der Frau, nicht nur bei der Geburt, sondern auch bei ihren sexuellen Beziehungen, ... In diesem Sinne ist die Frau das erste Transportmittel der Gattung, ihr allererstes Vehikel, das zweite wäre das Reittier, ... Von der Jagd auf das Tier zur unmittelbaren Nahrungsbeschaffung geht man zur Jagd auf die Frau in Erwartung der Jagd auf den Mann über."(* S.29)

Wir aber fahren nicht in den Krieg, sondern nach Feuerland, und essen blutige Steaks. Eine Reise in Rot, von Kopf bis Fuß.

"Es liegt nahe, drei Paare zu unterscheiden, wobei das dritte selten Erwähnung findet:
- das homosexuelle Paar des Duells;
- das heterosexuelle Paar der Ehe;
- das transsexuelle Paar der Reise."(* S.49-50)

"Kurzum, das Verlangen des Passagiers nach Verpaarung mit seinem Reittier ist mit dem Übergangsritus der Heirat vergleichbar; ... Die Frau kommt von anderswoher, sie wird entführt, wobei zuweilen der tierische Vektor als Mittel solcher Übereignung dient; im alten China beispielsweise stellte der Transport der Verlobten im rituellen Wagen juristisch gesehen den eigentlichen Heiratsakt dar, was ein Hinweis darauf ist, in welchem Maße Reise und Hochzeit zusammengehören, als ob eine exogame Heirat lediglich Emblem einer gemeinsamen Reise von Fremden wäre."(* S.48)

An einer engen Biegung des Fjords erwischt Dich mein Seitenarm an der Mündung. Wir genießen die Stille in der Fahrgastzelle. In meiner blinden Phantasie sehe ich wie Du das Auto wild peitschend weitertreibst, spüre wie der Motorblock unter mir jegliche Hemmung verliert und der schreckhafte Horizont erneut in die Ferne flüchtet. Mit Vollgas auf den Wellenkämmen nach Feuerland.

"Im Führerstand ist unmittelbare Nähe ziemlich belanglos; es zählt einzig und allein, was in der Ferne liegt; im Verlauf der Reise wird die Vorwärtsbewegung von dem gesteuert, was vorne befindlich ist, wobei die Antriebsgeschwindigkeit ihren eigenen Horizont erzeugt; Je höher sie ist, desto ferner ist der Horizont."(* S.141)

Doch weil federleicht an Bord der Fähre wir nur schweben, legt das lila Blau der Kornblumen am Wegesrand sich über uns. Um den zarten Finger den Gummiring der ersten Nacht , über den wie Blütenblätter die Strahlen der Abendsonne Dir auf die Schenkel fallen. Die engen Ufer weiten sich zu breiten fruchtbaren Äckern und grünen Wiesen. Eine Autofahrt durch das Fjordland hat ihren Reiz. Atemberaubend: der Blick zurück ins tiefe Fjordtal.


* aus: Paul Virilio - Der negative Horziont Bewegung/Geschwindigkeit/Beschleunigung, 1989, Edition Akzente, Carl Hanser Verlag
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