Sonntag, 9. Juni 2013

Geliebtes Gletscherguddi,
ich möchte mit dir durchschmelzen


Was hat denn das mit dem Küssen auf sich? Angeknabbere oder Speichelaustausch. Heute küsst man sich ja schnell mal überall hin, auch ganz ohne Grund. Wie bereits erwähnt, stamme ich aus einem Guss, wo, bei aller Liebe, Berührungen eher als negativ gewertet wurden. 'De Hand konnst ma gebn, wenn i stirb.' Bei der Einführung in meine mexikanische Gastfamilie war diese haptische Unterlegenheit denn auch der Grund, dass ich die Familienmama bei der kussreichen Begrüßung gleich mit einer Kopfnuss halb hingestreckt hatte. Wollen wir mal hoffen, daß Handabschlecken nur von Hunden betrieben wird, denn Handkuss ist wohl im Aussterben begriffen.

Aber klassisches Küssen, auf Lippen und/oder Mund. Welche Form der Kommunikation findet da statt? Chemisch, haptisch, fast wie bei Schnecken vermutlich.

Ein tiefer Blick in die verträumten Augen, schon fällt man über sich her, küßt sich, packt sich, presst die Lippen aufeinander und dringt dann gegenseitig in die Mundhöhle ein. Hier spalten sich die Gemüter. Denn wo beginnt er, der Spass, und wo hört er auf? Eine Art Degenfechten der Zungenmuskeln. So mancher versucht augenblicklich zum Gaumenzäpfchen in die Rachenhöhle vorzudringen, andere züngeln schon abwehrbereit auf der Lippeninnenseite. Oben wird mit der Zunge gerungen, unten bewegen sich die Leiber und Gliedmaßen entsprechend. Die Zunge mutiert zum Schwanz und vice versa, also andersrum.

Das geht mir zu schnell, will oft heissen, das werd ich nie tun. Wenn der unten so ist wie oben, oje. Wie ein magersüchtiges Chamäleon tastet er meine Mundhöhle ab, die Zunge schneller als Zorro's Degen. Andererseits durchweichen hormons&friends mit der Zeit mein Körpergewebe in einem Maße, daß selbst die ein oder andere Psychoschwelle negativer Erfahrungen überschritten wird. Ich habe Wunder gesehen, brennende Schiffe vor den Toren Orions, Scheidenkrämpfe und Gaumensegel im Samensturm. Nichts ist unmöglich.
Ein grantiges Servus muss auch mal genügen. Schon wirft sich der Gegenüber mit seinem Gemütstorso über mich und drückt mich wie einer dieser tödlichen Seebullen. Er wirft sich auf mich als wollte er mich niederringen und gleich hier nehmen. Er presst sein fremdes, schwabbliges Gesicht gegen das meine. Will er in mich hineinhören? Von hinten prasseln seine flachen Hände knapp über die Nieren. Entweder will er mir die Rippenansätze zersplittern oder er hat es auf meine Bandscheiben abgesehen. Dann löst er sich urplötzlich und gleitet wie ein toter Fisch an mir herunter, springt einen Schritt zurück und lächelt mich an mit einem mir immer noch fremden Honigkuchenlächeln. wie aus dem Nichts schießt seine Faust gegen meine und trifft sie mitten im Hängen, so dass sie wie ein Boxsack nach hinten ausschwingt.

Nee, diese moderne Nähe. Umschlingen, abschlecken, die Fäuste knallen lassen, High-5-s und Down-lows. Rette sich wer kann. Ich muss Sie warnen. Beim Küssen können Sie heutzutage auf so allerhand und allermund treffen. Menschliche Schlangenzungen, Metallringe und ähnliches Gestänge, lockere Brücken und hoffentlich nie ein Milchzahn. Nochmal für alle deutlich: Milchzähne küsst man nicht.

Der eine beisst, die andere hat Lippenkrämpfe, manche Herpes, wo man nicht genau weiss, ob man sich anhaften möchte. Wie Sie merken, spare ich die wirklich ekligen Sachen bewusst aus.
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