Mittwoch, 23. Mai 2012
Mensch ohne Eigenschaft
Ich verstehe jetzt warum man Latex beim Sex verwendet: daß man wenigstens ein bißchen Grip und Halt in all der Gleitcreme findet, in der Splattergruppe der Ü40, wo die Soße schon beim Anschauen fließt. Es wirkt bullemisch, dieses Ausrotzen aller möglichen Körperflüssigkeiten. Viele vergessen all den Talg, der Raum sucht, der hinaus will in die ungesunde Welt. Der Körper hat gute Gründe, Dinge auszuscheiden. Wer hebt schon Fingernägel auf? Obwohl, das Haar im Brief der ersten Freundin, die Genprobe, die Spermarückstellung und ähnliche Absonderlichkeiten.



Es ist die Vergänglichkeit, unsere Vergänglichkeit, der wir Einhalt zu gebieten versuchen, indem wir den sich verändernden, fließenden Körper in Lack und Leder pressen wie Chicken-Mc-Nuggets-Preßformfleisch, auf daß wir jeden Tag wie gestern aussehen.

Die letzten werden die ersten sein, sprach der Meeresgrund zum Berg. Eine plattentektonische Herangehensweise an unser Sein käme unserem Wohlgefühl zu Gute, denn wer früher stirbt, ist eben auch wirklich länger tot. Ohne Gestern kein Heute. Oder ist es wirklich so, daß wer mit der Zeit geht, sich nicht bewegt, únd was dem Fahrradschlauch die Pumpe ist unserer Haut die Faltencreme?

Wer sich aber dem Älterwerden verwehrt, wäre im Grunde immer ein Embryo, der sich im Fruchtwasser verspreizt. Eine Art Lebensverweigerung, die dem Erlebnis eine Absage erteilt - eine Made im ewigen Babyspeck, eine Frucht, die niemals reift, krumm wie eine geschwefelte Banane, die nach nichts schmeckt, weil sie niemals wurde, was sie hätte sein können, eine Hülse ohne Inhalt, die personifizierte Angst vor der Eigenschaft.
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