Mittwoch, 16. Mai 2012
Mexico is auch am Arsch
... weil sie das falsche Bier trinken.


Beve, muchacho, beve mucho. Dann siehst du 98 Leichensäcke an der Schnellstraße nach Reynosa statt 49. Im Grunde tut es auch nichts zur Sache in einem Land wie Mexiko, wo jährlich rund 10.000 Menschen ein ähnliches Schicksaal erleiden.
Hingerichtet, geköpft und die Gliedmaßen abgeschnitten geht es bei den Opfern weniger um die getötete Person selbst, sondern um eine Meta-nachricht, um "narcomensajes", um eine Art der Kommunikationsform der Drogen-etc-Kartelle, bei der die Anzahl und die Darbietungsform der Leichen einen wesentlich größeren Stellenwert darstellen.

Trink, Freundchen, besauf dich bis zum umfallen. Vielleicht schaffst du es dann, einen angenehmen, so zumindest besinnungslosen Aufstieg auf den Leichenberg zu schaffen. Vielleicht stirbst du so narkotisiert, während du an deiner eigenen Kotze erstickst. Nicht an einer Brücke hängend. Drink my friend, drink. Just dont buy no drugs to deploy arms trade! Aber ... es gibt auch einen Weg, ohne trinken zu müssen.
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Bamako Blues I
Meine Unterlippe ist von einem Stich so geschwollen, daß wie halbseitig gelähmt beim Trinken die Hälfte wieder entweicht und mein verschwitztes Hemd durchtränkt. Die vom Stich geschwollene Lippe muß eine der Grundlagen der afrikansichen Sprachen sein und hat sich so vermutlich genetisch gehalten.
Meine verbrannte Haut ist so gespannt wie eine afrikanische Trommel. Leicht erhitzt, eine subkutane Hitze - hoffentlich von der Sonne und nicht von Würmern die es sich unter der Epidermis bequem gemacht haben. Ich fühle mich fiebrig unter einer Dusche von kaltem Schweiß; ein seltsames subtropisches Fieber bei leicht unterkühlter Körpertemperatur. Die Körperheizung kann mit den Außentemperaturen nicht mithalten.

Die ausgesprochen enge Koexistenz zwischen Mensch und Insekt in äquatorialen Breitengraden - die furchtlosen Kakerlaken im Abendessen und all die Käfer jeder Knopfgröße - zeichnen jeden Tag ein neues Tatoo auf meine exponierten Körperstellen.
Die Stiche sind nur schwer zu unterscheiden von den Blasen und entzündeten Stellen, an denen täglich nicht körpereigene Objekte entweichen. Letztere nützen jede Chance, sobald sich genügend Körperflüssigkeit ansammelt. Allerdings bin ich ständig dehydriert, sonst sähe ich wohl eher wie ein vereitertes Kuheuter aus. Das Gute daran: sobald ich mich verletze, schließt mein Körper dieses Einfallstor für Infektionen augenblicklich in einer Art Schockreaktion.

Ich habe vergessen, meine chronisch laufende Nase zu erwähnen, die sich in Kombination mit der subkutanen Hitze wie Erkältung anfühlt. Ein klassisches Problem für Reisende in wüstenähnlichen Gebieten und ein bizarres Gefühl bei 40 Grad im Schatten. Wüstenfieber eben. Ganz im Gegensatz zu Asien sind Taschentücher in Westafrika erhältlich, während Toilettenpapier seinen Weg hierher noch nicht gefunden hat; oder sind es die Importbeschränkungen.

Mein Bäuchlein wächst trotz Mangelernährung. Man kennt das von den Hungerkatastrophen im Sahel. Die Innereien arbeiten jedoch ganz regulär. Und obwohl wir nicht nur aus verschweißten Flaschen trinken, Salat und Früchte essen, und vorwiegend Dinge bestellen, von denen wir noch nie gehört hatten, zeigt sich bisher kein Durchfall - genannt der Banjul belly.

Nachdem wir uns mehr aus nostalgischen denn aus Kostengründen dem lupenreinem Hotel Tamana
verweigern, sind wir im Hotel Lac Debo, Ex-Majestic,
abgestiegen. Der Patio, mit seiner bemoosten Glasüberdachung, ist vollgestellt mit Reliquien, die noch aus der französischen Kolonialzeit stammen sollten.
Ganz allgemein scheint die Unterkunft mehr zu verwittern als sie jemals existiert hätte. Die einzige Putzfrau sind die lauen Lüftchen, die hin und wieder durch die Gänge streifen. Einzig koloniale Restbestände wie der ermattete Badezimmerspiegel zeugen von besseren Zeiten. Die wie ein magisches Artefakt in der Ecke lehnende Clobürste, der man nicht zu nahe kommen sollte, scheint dafür geschaffen, den Enddarm davon abzuhalten, seine Arbeit zu tun, dafür geschaffen, das Essen da zu halten, wo man es nicht sehen kann. Auch die vorhandene Seife ist diebstahlsicher mit dem Waschbecken verwachsen. Der Stoffetzen, der die Toilette vom Zimmer trennt hängt an einem Besenstil mit Nägeln, der sich wie eine Giftschlange auf einen stürzt, sobald man versucht, das stille Örtchen zu besuchen. Das Schloß an der Tür wird auch ohne Berührung keine Woche mehr überleben, ehe es komplett als staubiger Rost mit den lauen Lüftchen weiterreist. Im Zimmer ist nichts außer einer Glühbirne und zwei Betten, die von den Tonnen an Fleisch, das sich bisher über sie gequält haben, so ausgelegen ist, daß es mehr Illusion als Matratze.
Jesus hätte sich hier pudelwohl gefühlt, denn einzig die Ecken erinnern noch entfernt an Schaumstoff. Um nicht direkt auf den Holzlatten zu liegen, strecke ich mich des nachts wie ein Gekreuzigter und benütze meinen aufgeblasenen Bauch als Luftkissen.
Im Endeffekt finde ich es sehr löblich, daß in Afrika Fensterputzen unter Todesstrafe zu stehen scheint, denn so fühlt man nur, was man nicht sehen kann.

Warum man das Ex-Majestic unbedingt dem Tamana vorziehen sollte ist die Lage. Denn im alten Zentrum - heute gibt es wohl eher kein Herzstück mehr in Bamako - liegt auch das libanesisch geführte "Cafe Central",
in dem an genau jenem Tisch auch schon Pabst Johannes XII. saß.
Vermutlich hat auch er in genau jenem Bett übernachtet, in dem man sich wie Jesus am Kreuz fühlt.
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