Dienstag, 27. März 2012
Mögest du furzen, so schellte deinen Nachbarn
Montag, 11:34

Der Verstärkerbus 831 wieder mal genau so "pünktlich" zu spät, daß ich mich in den letzten Atemzügen durch die Tunnelfluchten kämpfe, um die Metro zu erwischen. Nur einem sozialen Leidensgenossen, der den Fuß so lange in der Lichtschranke stehen läßt, habe ich es im Vorbeiflug zu danken, daß auch ich es in letzter Sekunde noch schaffe, mich in die Metro zu hechten.

Weil man nach solchen Kurzsprints eben hechelt wie ein Hund nach erfolgloser Hasenjagd, wandere ich, so entspannt wirkend wie möglich, durch die Abteile, um meinen Puls wenigstens so weit herunterzukühlen, daß zumindest nicht der Speichel aus den Mundwinkeln trenst, sobald ich zum Sitzen komme.

Nach gefühlten 100 Metern erblicke ich eine günstige Lichtung in der Bestuhlung, heißt, mir sitzt nur ein Beobachter gegenüber, der beim Anblick meines immer noch auf Hochtouren pumpenden Herzens eigentlich augenblicklich den Notarzt rufen könnte. In solchen Fällen kann man nur von Glück sprechen, daß uns in der Stadt der Nachbar oder anderes Gegenüber einfach nicht mehr im Geringsten interessiert.

Dachte ich. Denn der Geruch, der sich seit meiner Anwesenheit nun großflächig verteilt - sei es der Fahrtwind, den es innerhalb der Züge ja nicht gibt, sei es die Schwer- oder die Korioliskraft - beginnt sich nun auch mir selbst bemerkbar zu machen. Waren hier so viele freie Plätze, weil sich die Bestuhlung noch an einen bereits ausgestiegenen, inkontinenten Fahrgast erinnert? Oder ... ich sehe mich unschuldig um ... ist ein solcher Gast noch anwesend? Offensichtlich nicht.

Ich bin frisch geduscht, und meine Kleidung eigentlich auch nicht von letzter Woche. Die Schuhe? Hatten zumindest in den letzten Monaten keine Beschwerde dieser Art. Nicht nur, daß sich nun die vielen Mitreisenden meiner Anwesenheit bewußt werden - und zwar speziell meiner - sondern auch mir geht plötzlich ein schrecklich Lichtlein auf: es ist mein schicker Kapuzenpulli, der durch die leichte Erwärmung beim Sprinten die in ihm enthaltenen Aromastoffe neu entfacht, die gestern beim Tanzen über Stunden dort ihr Zuhause fanden. Und nun rieche ich, also eigentlich er, aber schließlich wird er meinem Dasein zugerechnet, nach ... wie soll man das nennen. Frisch aufgewärmtem Nikotin in Biersoße mit einem kräftigem Spritzer Schweiß.

Da mich nun ein halbes Dutzend Fahrgäste nicht mehr aus den Augen läßt - als ob es dadurch weniger stinken würde - entschließe ich mich, die Schuld auf erfinderische Art und Weise von mir zu waschen. Ich zücke mein Notizheft in einer Art und Weise, daß auch wirklich alle mitlesen können, was ich in großen Lettern vermerke. Beginnend mit dem Satz: "Prüfung der Hygienevorschriften auf dem Asia-Markt in "sag-ich-nicht"." Ich berichte von eigentlich nicht in Worte zu fassenden Zuständen, von undefinierbaren Gewürzmischungen und Schmutzsorten, die in unseren Breitengraden eigentlich seit Jahrhunderten ausgemerzt schienen.

Und siehe da: Die mich zerfressenden Gesichtszüge der Umstehenden und Umsitzenden lösen sich auf in Wohlgefallen. Alle scheinen des Deutschen mächtig und von außergewöhnlicher Sehstärke zu sein. Nach nur zwei Stationen ernte ich Bewunderung über meinen Mut, mich an solch unerfindliche Orte zu begeben und die untragbaren Mißstände öffentlich anzuprangern. Obwohl ich immer noch stinke wie eine Güllegrube, werde ich von freundlich lächelnden Gesichtern am erreichten Zielbahnhof hinaussalutiert und mir folgt ein Hauch der Ehrerbietung.

Die Moral von der Geschicht: Wer selbst in die Grube fällt, sollte behaupten, andere hätten sie gegraben;)
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