Samstag, 30. April 2011
die hartelinie erhebt sich
Neben mich setzt sich eine, vermutlich dem Ostural entschwundene Dame in Samt und Sonders. Sie kannte das älteste Gewerbe der Welt und war von Anfang an dabei. Ihrer Fülle nach zu urteilen, hatte sie so manchen aber auch schon gefressen.
"Ist diese Platz noch frei?" reißt sie mich aus dem Schlaf des Beobachtenden und es erscheint, als erwarte sie eine Aufforderung. Soll ich ihr das Pfötchen reichen? Ich gebe ihr mit ausholender Handbewegung zu verstehen, daß es sich hier um ein, jedem Fahrgast, ob dick oder dünn, zugängliches Örtchen der Entspannung handle. "Aber bitte." fiel es mir eher zufällig hinterher. Als sich meine neue Begleiterin alsdann in ihr neues Nestchen zurückfallen läßt, schoß ich unvermutet in die Höhe. Mein sonst so lebloser Plastiksitz war aufgepumpt wie eine pralle Tomate und ich oben drauf. Wie erhebend ;(
Ich fand Interesse, mich dieser gewichtigen Belästigung entgegenzusetzen. Ausreichend Erfahrung im sitzenden Gewerbe konnten wir beide aufweisen. "Könntens nicht a bisserl levitieren?!" Das war der richtige Ansatz. Sie bläßt entsetzt die Gesichtsbacken auf. Ein Schelm, wer dem Quaken nun lausche. "So nach oben." füge ich hinzu, als ich mit beiden Armen meinem 'so' ein wenig Ausdruck zu verleihen suche. Nun regt sich auch noch ihre übermannshohe Brust und sie versucht mich mit ihrem rotgeädertem Gesichtsfeld frontal zu erwischen. Selbst Medusa hätte sich angewidert abgedreht.
Auf einer roten Tomate inthronisiert sitze ich noch immer ein Stockwerk tiefer als die Matrone.
"Wie ein kleiner Vogel fliegen ... " Ich beginne ein Lied zu trällern, während ich mit den Händen flattere. Bis jetzt hatte sie noch nicht viel gesagt. Irgendwie musste es wohl ins Peinliche abgerutscht sein, so schloss ich zumindest und ließ mich wieder in mein Fensterplätzchen zurücksinken.
Wenn ich das Land aus S-Bahnfenstern betrachte, kann ich mich einer gewissen terroristischen Grundhaltung nicht erwehren.
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