Eine Motorbootreise von Bergkamen ueber den Ruhr-Herne-Kanal an die Ruhr, rheinabwärts - sog. Talfahrt - rechts, in der Bergfahrt in einem Land, dessen Hügel sich Abraunhalden schimpfen, den Wesel-Datteln-Kanal zurück.
Das Ruhrgebiet zwischen Uferböschung und Sportboot-Marinas, letztere mit zunehmendem Dieselpreis zu schwimmenden Dörfern mutierend. Rostende Stege an denen nicht nur die Motorjachten vergreisen, sondern auch so manch anderes abgetakelte Treibgut im Fluß des Lebens - denn wie Du, lieber Jean, wohl bemerkst, ist das Leben ein Meer, ein Meer von Flüssen und Strömungen und wir ein schwacher Motor mit feststehender Welle - manche linksgängig, andere rechtsdrehend.
So mancher Hafenmeister kennt die Welt hinter der nächsten Schleuse nur vom Hörensagen. Andere sind noch von der letzten Lackierung ihres geliebten Tuckerschiffleins so pleite, daß sie aufs nächste Hochwasser warten müssen, um sich weitertreiben zu lassen.
Schade um dieses Völkchen der Binnenschiffer mit ihren befremdlichen Zeichen und ihrer noch fremderen Sprache. Kanalmatrosen in der Curryklemme zwischen Hundsfott und Kielschwein. Da, wo auch mal die Schotten dicht gemacht werden.
Da darf es nicht wundern, daß ich die roten und grünen Tonnen anfangs für Mülleimer hielt, bis unser Kiel zuerst die Erfahrung machen durfte, daß es sich hierbei um Fahrrinnenbegrenzungstonnen handelt - grün für steuerbord, also rechts. Für mich verwirrend, da sich unser Steuerrad links befindet.
Auch als ich die österreichische Nationalflagge an einer Brücke im Ruhrpott entdecke, sind es nur noch wenige Meter, ehe ich die ethymologische Bedeutung bei Durchsicht unserer Schildertafel wiedererkenne: "Durchfahrt verboten!" Das macht nun in jeder Hinsicht Sinn, nur mir hilft das in diesem Moment wenig. Und wieder heult der Keilriemen bei voller Fahrt zurück.
Glücklicher verläuft meine erste Begegnung mit dem doch etwas ungastlichem Warnschild "Begegnen verboten",
da meine Augapfelnavigation diesmal weit und breit keinen Kohlendampfer anpeilt - in der stets latenten Angst, an die Spundwand gedrückt zu werden oder mein Kleinboot im Malstrom seiner Schraube wiederzufinden.
Das Kanalmatrosenleben hat so seine Tücken. Einzig das kappen der Leinen, der zahllosen, widerrechtlich in der Fahrrinne fischenden Freizeitangler und ihr sinnloses Fluchen läßt einem Binnenschiffer wie uns das Herz höher schlagen. Schon allein dafür lohnt die Reise. Fisch ahoi!
"Wir sind die Hannibal, Sportboot mit 12 Metern, und würden gerne aufschleusen."
"Muss noch nen Berufsschiffer abschleusen. Legt ma an der Spundwand vorne und achtern klar."
"Wos?!"
"Dat Boot an der Eisenwand mit de Seile anbinden!"
"Ok ..."
Hannibal hat grünes Licht - eigentlich zwei - kann einfahren und tut dies auch. Die Frau- und Mannschaft mit zittriger Hand vom Vorabend.
"Menno, ist das eng," als das Heck an die Schleusenwand kracht. Gut vertäut längsseits liegen wäre jetzt der Quell allen Seelenfriedens. Wir aber treiben hilflos wie ein räudiger Hund an der Vorleine, bis uns das gütige Schicksaal wieder mit dem Heck an die schleimige Schleusenwand presst und wir endlich auch dieAchterleine um den Poller bekommen.
"Allet klar?" tönt es hämisch aus der Videoüberwachung. Wir antworten wortlos mit dem uns verbliebenem Restlächeln, während der Schleusendrempel arschknapp an unserem eh schon ramponiertem Heck vorbeieiert.
Jetzt fühlen auch wir uns schiffig und schwojen halb verkatert, halb seekrank im einströmendem Wasser der Ruhr. Man könnte sagen, wir fühlen die Ruhr, die zu Wasser gewordene Shigellose - heute die Trinkwasserversorgung des Ruhrgebiets.
Kurzfristig sieht alles ganz gut aus.
Ups, warum läßt sich die Vorleine nicht fieren, sondern liegt friedlich, weil fest verzurrt mit einem engen Palsteg um den Schleusenpoller, der sich immer weiter in die Tiefe bewegt und uns demnächst auf den Schleusengrund zieht, dessen Wanne sich unerbittlich mit den Wassermassen füllt, die die gesamte Sahelzone über die Dürreperiode bringen könnte.
"Kappt die Vorleine!" für die sich natürlich keiner verantwortlich fühlt. Nicht die halbe Mannschaft, die sich im Schiffsrumpf in die Bewußtlosigkeit säuft, nicht die Damen in der Kombüse und ebensowenig die Kollegen vom Sonnendeck.
Einzig der Bootsführer, der allerdingshilflos in Vor- und Achterspring verwickelt sich mit den Zehen am Steuerrad einkrallt. Aber bei 12 Tonnen Gewicht hilft alles Stemmen und Drücken herzlich wenig.
"Volle Kraft zurück!" schreit einer der Besoffenen, die sich urplötzlich für das Geschehen an Bord interessieren. Der Keilriemen heult auf und der Motor übertönt all die gutgemeinten Ratschläge, die sich der Schleusenwärter aus der Kehle quält.
Die teuflische Vorleine endlich von einer der Kombüsendamen gekappt, wummern wir wieder quer und drohen uns an der Schleusenwand mit der Reling zu verhaken. Selbst das Bugstrahlruder zieht uns nur noch tiefer ins Verderben.
Scheiß auf den Bootslack, der doch so billig im Baumarkt zu bekommen ist. Besser Lack als Leck.
Wenn wir jetzt ein Hütchen und auch nur eine freie Hand hätten, die umherstehenden Schaulustigen würden nur allzu willig etwas zur Schadenssumme beisteuern. So schenken sie uns dennoch ein herzliches Johlen und für uns wird es nur ein teures Unvergnügen, das die nun gesamtaktive Crew mit allen noch nicht von Bord gegangenen Fendern abzufedern sucht. Wer kann sich in solchen Urmomenten noch an Webeleinsteg oder irgendeinen Knoten als an den im Hirn erinnern? Die letzte Scham geht Flöten und der Restverstand gleich mit, wenn es um die eigene Haut geht.
So tauchen wir auf aus der Schleuse als hätte sich Moby Dick mehrfach auf unser Boot geworfen. Unser Bootsführer sichtlich ergraut wie Käptain Ahab am Ende seiner Reise, die Crew verbeult wie der gesamte Bootsrumpf, mit gekenterten Gesichtern - schiffig und froh, lebendig aufgeschleust zu haben. Ahoi Ruhr.