Meine Frau ist mit ihren Freunden vom Chor des Pilzfreundevereins in den rumänischen Karpaten unterwegs. Fungologen auf friedlicher Streif durch die Höhen und Tiefen im zentralen Osteuropa. In ihrer Rolle als Leitwolf zieht sie das im Abendkleid mit High-Heels durch. So wie andere das mit grellen Regenschirmen oder Grubenlampen versuchen, leuchtet sie durch den Glanz ihrer Schönheit den Weg. Stolze Schultern, so stolz dass sich die Arme hinterrücks schon wieder berühren, denen man blind zu folgen in der Lage ist und auf denen auch meine Zukunft ruht.
Er, der Bär, oder, ich will meiner Frau da nicht Unrecht tun, aber schließlich gibt es das auch, eine Bärin, hat gestern meiner Frau den Zeh abgerissen oder abgebissen. Hab selbst nur ne kurze SMS bekommen, dass sie die Stöckelschuhe jetzt schon unten im Ruchsack verstaut hat, wohlwissend dass das mit einem Zeh weniger etwas schwierig wird und nicht besonders stylisch aussieht.
Meine süße kleine Maus ist jetzt weniger. Vermutlich haben darunter auch die High-Heels gelitten. Und ich weiss noch nicht mal, welcher Zeh es ist, oder war. Sie sagt, dass es die Dur wär. Zeh-Moll wär noch dran. Die Frage ist zentral, denn schließlich gibt sie den Ton an - nicht nur in den Karpaten, sondern vorwiegend den ganzen kommenden Winter über hier zuhause.
Aber da kennt der Bär meine Frau nicht. Natur ist oftmals grausam und in dieser Hinsicht ist meine Frau ganz sicher naturnah. Bin ich mal froh, dass ich mit all meiner Körperbehaarung hier im sicheren Westeuropa weile, während sich meine Muse in eine Furie verwandelt, dass ich hier ausserhalb der Kampfzone meinen Kaffee schlürfe, wenn das von mir so geliebte
Rutheniumtetroxid zur vollen Entfaltung kommt und zum Bärenmassaker ansetzt. Wäre sie am Morgen nach dem Zehverlust unter 3 Promille neben mir aufgewacht, sie hätte mir augenblicklich den Mageninhalt mit dem Campinglöffel ausgekratzt. Cave Ruthenium ... dann ist Polen offen.
Meine Frau hat das ja letztens selbst schon hier zu Protokoll gebracht. Sie ist Alkoholikerin, bzw ich Kiffer, sagt sie. Ich kann nur bestätigen, dass sie alle Voraussetzungen hat, zur Hydra, diese lemäische Schlange, dieser an der Tatzel verletzte Lindwurm.
Ich müsste lügen, zu behaupten, ich hätte nicht kurz daran gedacht, dass sie den Ausflug als Vorwand nutzt, um sich eigentlich in Bukarest billig die nekrotischen Körperteile entfernen zu lassen. Schuld wär dann der Bär. Aber solange es nur der Zeh ist und all die anderen abgestorbenen Körperteile noch dran sind, will ich das mit den Bären mal glauben.
Eigentlich ein modernes Märchen, wenn einem das überflüssige Fleisch am Körper von zu Fabeltieren verkommenen Karnivoren abgefressen wird. Ich fänds ganz lässig, meine süsse Frau sieht das anders. Der Zeh ist von ihr gegangen und zwar nicht von allein. Sie wird ihn finden, tot oder anverdaut, und im Zuge dessen wird die Treibjagd auf die Konkurrenz, die europäische Bärenjagd, nun ihr Ende finden, finalisiert. Im Rundbogen der Karpaten wird der letzte Bär von meiner Frau im übertragenem Sinne zu Grabe getragen werden, für den Gegenwert eines gestohlenen Zehen, und das von einer eingefleischten Vegetarierin. Wenn Sie 'Auslöschung' von Thomas Bernhard gelesen haben werden sie ihn besser verstehen, diesen trockenen weiblichen Jagdinstinkt. Der Zeh, die geraubte Helena, das Troja in den Karpaten.
Da muss man schon ein echter Vollfuss sein, wenn man glaubt, dass man, nur weil man einer der letzten europäischen Braunbären ist, sich einfach einen Zeh vom westeuropäischen Kuchen abbeissen dürfte. Das geht ganz sicher in die Hosen oder ins Fell. Ein Zeh ist keine Transferleistung. Da seh ich selbst bei mir Rauch aufsteigen, es kochen und brodeln, das Bärenragout. Natur will getötet werden. Sie steht im Weg, lässt mit sich schwer reden und ist stur wie ein Esel. Sie ist der Bringer des Schmutzes, die Wurzel allen Übels. Sie raubt uns das Leben und oftmals auch den Zeh.
Man spricht von 3000 Rumänen pro Bär, doch das wird bald Geschichte sein, sobald meine Muse zur Massenvernichtungswaffe mutiert und mit der Ausdünnung der Bärenpopulation beginnt. Sobald ihre Tanks ausreichend mit Palinka angefüllt sein werden, wird es in den Karpaten kein Loch mehr geben, in das sich die der Auslöschung Preisgegebenen flüchten könnten.
Das Abendkleid in Ameisenpisse getränkt schiebt sich meine blonde Kampfmaschine durch den rumänischen Busch, auf der Suche nach dem bewegtem Fell, das ihren Zeh gestohlen.
Reiseklassiker Hotelbetten
Vielleicht kennen Sie die Situation ja: Man kommt vom Stadtausflug ins Hotel zurueck - ein Gute-Nacht-Bier hinter der Binde, wegen der 12koepfigen Familie von nebenan, dem Freier vom Zimmer gegenueber, bei dem mitternachts erst die Besuchszeiten beginnen, der Karaoke-Bar aus dem Erdgeschoss oder anderen naechtlichen Stoergeraeuschen - und findet das Bett in einem Zustand vor, als haette das Zimmermaedchen damit eine Origami-Meisterschaft veranstaltet. Die Bettdecke wurde, vermutlich mit mechanischen Hilfsmitteln, so zwischen Matratze und Bettgestell gestopft, dass sie dank ihrer Oberflaechenspannung fast zu reissen droht. So tief hinein in die Ritze, dass sie sich beim ersten Befreiungsversuch keinen Millimeter bewegt. Ich stehe auf dem Bett, schwankend vom Bier, und reisse und zerre, aber sie scheint verklebt zu sein. Warum und wozu?
Es muss sich um ein neurotisches Relikt handeln. Ich vermute, aus der Pruederie des Viktorianismus. Vielleicht wird erwartet, dass ich sie so belasse und mich selbst in dieses Grab aus Bettwaesche zwaenge. Vermutlich unterliegt dies einer aehnlichen Logik, wie die Krawatte. Ein sozialer Abgrenzungsversuch zu billigen Absteigen und Privatunterkuenften, wo niemand die Zeit findet, sich mit solcher Art von Sinnlosigkeit zu beschaeftigen. Man tut's, weil es kein anderer tut?
Dessen nicht genug ist diese Zwangshandlung des gehobenen Bettenmachens eine der Hauptursachen fuer Arbeitsunfaelle, da sich die Zimmermaedchen und -jungs hierbei regelmaessig den Ringfinger brechen. Leider ist mir der Fachausdruck hierfuer entfallen.