Duldungsstarre
Es wäre gelogen zu behaupten, dass sich der Berufsverkehr nicht etwas entschlackt hat. Aber von Lockdown ist im Berufsleben wenig zu spüren. Gut, die städtischen Angestellten sind im HomeOffice, die meisten staatlichen Leistungen wie Schwimmbäder, Schulen, Ämter etc sind geschlossen oder auf ein Minimum reduziert. Buchhandlungen müssen geclickt und collectet werden, aber bei Amazon rammeln ganze Horden durch die Lieferhallen, die Wirtschaften zu, aber Lieferandoo und Co sind die Könige der Nacht, wo wir (Abgeordnete ausgenommen) dank der Ausgangssperre nach 21 Uhr abgetasert und strafverfolgt werden. Kein Frisbee-Spielen oder Kicken zu Dritt ist mehr erlaubt, aber Gladbach gegen Manchester in der ungarischen Puskas Arena.
Den Kurzzeitarbeiter*innen wird auch der magere Rest nachträglich noch versteuert, weil sie bei Vorabbesteuerung bereits zu Aufstockern geworden wären. Die Hierarchie der Not zeigt noch deutlicher auf, wer seine Schäfchen ins Trockne bekommt. Die Caritas lehnt die Einführung eines Tariflohns für Pflegekräfte ab - das ist es also, was mit Klatsche gemeint war. Die Kassierer müssen sich hinten anstellen beim Impfen, aber ihrem ehemaligen Vorstand Herrn Spahn finanziert die Bank eine 4,25-Millionen-Villa ohne Eigenkapitalleistung. Kein Problem für ihn, denn die Rückzahlung wird bei einer inflationstreibenden 240-Milliarden-Euro Corona-Hilfe ein Klacks. Selbst die Staatsverschuldung erledigt sich so fast von selbst. Hinten raus kommt ein Höhenflug des DAX mit großartigen Dividenden mit einer verängstigten, verarmten Bevölkerung für neue Höhenflüge des Großkapitals, an deren Corona-Hilfen man aus Rücksicht bloß keine Auflagen knüpfen möchte. Währenddessen fordern die Lobbyverbände genau jener Unternehmen , wie "Die Familienunternehmer e.V." (BMW, Oetker, Merck etc), für sich ein Belastungsmoratorium, während ihre Kernforderung die Erhöhung des Rentenalters (für Arbeitnehmer) ist. Wer sich für die Arbeitgeberseite großer Unternehmen interessiert, sollte sich mal den Forderungskatalog der "Familienunternehmer" zu Gemüte führen, die sich aktuell auch gegen die Testpflicht am Arbeitsplatz, der keineswegs ein Infektionstreiber sei, aussprechen. Ein Lobbyverein, der Vermögens- und Erbschaftssteuer, sowie ein Transparenzregister der Briefkastenfirmen für ein Teufelswerk hält. Das sind unsere momentanen Corona-Experten.

Die Kanzlerin kündigt einen harten Lockdown an, aber jeder in Bayern gefangene Bürger wundert sich, was sich da nun geändert haben soll. Corona ist nur der Sammelbegriff für die Übernahme des Kleinhandels und des Durchschnittsbürgers durch das Großkapitel, für das Ausreizen der maximalen Kürzung von Freiheiten und Rechten bei gleichzeitiger Einführung von neuen Pflichten. Wer hier von "wir schaffen das", Solidarität und Zusammenhalten spricht, ruft im Grunde zur Revolution auf, denn was sonst könnte mit Solidarität in diesem Zusammenhang gemeint sein. Mit Blick auf die personelle Besetzung der Corona-Expertenräte kann es sich bei der deutschen Lockdown-Politik nur um die endgültige Vernichtung einer bereits vom Kopf herabfaulenden Solidargemeinschaft handeln.
Es kann eigentlich nur eine Lösung geben: Die Yes Men regeln die Welt.


sid am 18.Apr 21  |  Permalink
Die Caritas lehnt die Einführung eines Tariflohns für Pflegekräfte ab - hab ich letztens auch gehört.
Sollte das wirklich stimmen - shame on you.
Wo Solidarität und Nächstenliebe bei der kath. Kirche anfängt, möcht ich gar net fragen, aber dann ist klar, wo die aufhört.
Sehr unschön.

Mich fragte vorgestern der mittlerweile Ex-Betriebsrat - stillschweigend geschah das, ich weiß nicht mal wann und daher gibts keinen mehr! Darauf stieß ich zufällig in der Karwoche ... - warum ich denn für einen BR wäre.
Ich war so baff, daß mir erst später wieder einfällt, daß die ganzen hübschen Corona-Home Office-Regeln nur für Betriebe MIT BR gelten.
Wobei es lächerlich ist, daß wir pro Standort (in einer Stadt!!) einen jeweils zuständigen BR brauchen. Warum der nicht insgesamt agieren kann, muß ich ihn demnächst fragen. Hoffentlich seh ich ihn bald wieder - da lagen jetzt nämlich auch gut 5 Monate dazwischen...
Eh leicht pervers - wir arbeiten mit Kundenbetrieb, obwohl im strengen Lockdown, aber meine Schmerzthera darf nicht. Dort gehen die Leute aber nur einzeln mit zeitl. Abstand ein/aus.
Verstehe eineR die Welt. Aber ohne BR kommen wir damit eh net sehr weit *seufz*

einemaria am 18.Apr 21  |  Permalink
Vielleicht liegt eines der Hauptübel in unserer Sprache, wo 'etwas versprechen' und 'sich versprechen' sehr nahe liegen, wo nach dem 'Beklatschen' die 'Klatsche' folgt. Die Sprache eines Volkes (ethymologisch: Kriegsschar) also, das nicht weiß, ob es lieber Kriegsschar oder Plebs - Volks- bzw. (lat: plere) Füllmenge - sein möchte. Selbst der Populist steht nicht mehr hoch im Range. Wirtschaftslenker und Wirtschaftsgelenkte in einem Land, wo Wirte nicht mehr schaffen können.
Kein Wunder, dass wir nun ausweichen auf flache Anglizismen, die sich von der indogermanischen Sprachfamilie so weit entfernt haben wie von den Sonneten eines Shakespeare. Wie anders ließe sich erklären, dass sich die politischen Visionen dieses Landes auf Lithiumbatterien und zwei Prozent Militärausgaben reduzieren.

Ich sag nur: Guter Rat ist teuer. Vor allem im Betrieb.

einemaria am 18.Apr 21  |  Permalink
Weil ich mich eigentlich für jeden realpolitischen Text in meinem Blog schäme, der eigentlich mehr der Sprache denn der widerlichen Tagespolitik gewidmet sein sollte, möchte ich mich mit dem Hinweis auf das Pamphlet 'Empört Euch' von Stephane Hessel auch für diesen Beitrag entschuldigen.

uwe sak am 28.Apr 21  |  Permalink
Familienunternehmen
Es ist gut, dass hier auch mal die Familienunternehmen ins Fadenkreuz geraten. Die primitive Unterscheidung zwischen dem bösen Großkapital und den ach so sozialen Familienunternehmen geht mir schon immer auf dem Geist.