Die Wiesn FAQs - Bauchbuch 1.Teil
Schon bevor man das große Tor der Glückseligkeit, den Haupteingang zur Wiesn, durchschreitet, wird der Geruchsnerv mehr als aktiv. Verschüttetes und receyceltes Bier, Aus- und Abwürfe aller Art durchströmen das Gelände rund um den Bavaria-Ring. Wäre da nicht der alles durchdringende Geruch von gerösteten Mandeln könnte man denken, die öffentlichen Toiletten hätten sich nach außen gestülpt. Bei der liegengelassenen Roßkacke vom Wiesneinzug kann es sich nur um ein Ablenkungsmanöver handeln, da sich deren Restgeruch geradezu als Aufwertung des allgemeinen olifaktorischen Oktoberfestcharakters werten läßt. Wenn Sie ein schwaches Zittern in den Geruchsorganen verspüren, so handelt es sich um den hilflosen Versuch der muskellosen Nasenflügel sich zusammenzuziehen. Weil aber die Sehnsucht nach Eindrücken und die Flut von Lichtern und rätselhaften Geräuschen das körperliche Sensorium auf Hochspannung halten, wird man auch noch nach Betreten von den Wolken aus Hopfen und Malz in die Zelte hineingesaugt.
Das Oktoberfest füllt das Vakuum der Lusträume, die in unserer immer sterilisierteren Welt nicht mehr bedient werden. Die Wildsau vor der Gaststätte Grünwalder Einkehr repräsentiert keineswegs eine Hauptspeise, sondern vielmehr unser Es, das sich nach wilder, exzessiver Lustbefriedigung sehnt, das fressen, saufen und ficken will, ohne sich vorher mit den Vorgaben eines Über-Ich abzustimmen. Der Körper, der sich das ganze magere Jahr über in Fitnesscentern mit Muskeln bepackt hat, will sich endlich zeigen - mit Schweiß und Bier überströmt. Er will die Pheromone herauspumpen ohne Rücksickt auf die Deo-Grenze. Was hilft ein Porsche im Stau, ohne eine Garmischer Autobahn ohne Tempolimit. Was hilft ein Martyrium der Heiligen, wenn sie nicht später in den Himmel dürfen - im Falle des Oktoberfests in den Bierhimmel der Bayern.
Der wiedererstarkte Oktoberfest-Hype läßt sich eigentlich nur auf die zunehmende Lustfeindlichkeit und werbeinfizierte Körperlichkeit zurückführen. Wer würde sich schon freiwillig mit Tausenden verschwitzten Leibern in ein von Volksmusik beschalltes Zelt drängen, um für mehr als 25 Euro einen Liter Bier und ein nach Fisch schmeckendes halbes Hendl ohne Beilage zu erwerben, während man von besoffenen Fremden angerempelt und begrapscht wird, wenn sie einem nicht auch gleich noch in die teuren Speisen stürzen. Es ist die Lust auf den Exzess, das Ausbrechen aus den sozialen Grenzen, die man 50 Wochen im Jahr akzeptiert, um dann endlich die Sau rauszulassen. In den zwei Wochen Ende September möchte man endlich auch tun, was man früher in jedem bayrischem Dorf noch jedes Wochenende tat, nur daß man es eben in zwei Wochen konzentrierter angehen muss.
Es ist der Krieg der Gefühle, bei dem diesmal das Es gewinnt. In diesem Konflikt wird das Gewissen mit Bierfassbomben und Schweinkopfgranaten niedergekämpft - koste es was es wolle. So zahlt man dann auch gerne die hundert Euro für ein üppiges Abendmahl in einer Umgebung die eher der Steinzeit als einer Gaststätte gleichkommt. Mit den musikalischen Klängen von spotify oder was einen sonst so im Alltag berieselt würde das garnicht gelingen. Dafür braucht es Umpfdada-Mucke aus der Tuba und dann lohnt es sich auch gleich noch 100 Euronen für die entsprechende folkloristische Verkleidung hinzublättern, um die Flucht aus der gehemmten, erdrückenden Wirklichkeit komplett zu machen.
Die Maß repräsentiert hierbei die übermäßige Lust auf mehr am Mehr. Mich wundert eigentlich nur, daß die Tradition bisher eine zwei oder drei Liter Maß verhindern konnte. Mit dieser Tatwaffe des Es möchte man endlich auf andere Maßen stossen, die einem sonst nur stillschweigend, in ihr Handy-Display verkrochen in der S-Bahn gegenübersitzen. Mit diesen Massen, deren Blickkontakt man 50 Wochen fürchtet, möchte man jetzt sinnentleerte Schlager und eine Trinkaufforderung nach der anderen hinausgrölen.
einemaria am 01. Juli 18
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