Wiesn 2016 - erste Opfer der Palastrevolte

ein Livebeitrag von unserem Wiesnreporter Kalle Bargeld

Mein Spezl der Roland

- ich nenne ihn hier der Einfachheit halber Roland, denn eigentlich heißt er anders, was aber nicht aufgedeckt werden soll, um nicht ihn dumm, oder mich verprügelt dastehen zu lassen -, also eben dieser Roland ist eine Fachkraft, wie sie während des normalen Betriebsablaufes in dieser Stadt kaum zu finden ist, eben nur dort wo die Profis zu Werke gehen. Jetzt hat aber wieder die große Biersause begonnen und heuer sogar im Schutze eines Zaunes, und man sollte doch meinen, dass jetzt Rolands Stunde geschlagen habe, er endlich wieder im Glanze seines vollen Talentes blühen könne, aber nein. Was tut man? Man schmeißt den Roland raus, er muss Platz machen für irgendeine 1000-köpfige Kompetenz, die das halbe Zelt gemietet hat und zu blöd für meinen Spezl, dass er eben in der falschen Hälfte auf dem Tisch gestanden war. Bevor ich weiter aushole, sei kurz erwähnt, dass ich einen Fachkräftemangel beklage und es am Beispiel der unterqualifizierten Work-Life-Balance-Fressen versus Roland mit der "schlechten Haut" in die Gemüter drücken möchte.
Da sitzt also der Roland neben mir auf dem Gartenstuhl und es regnet. Der Freund versucht gute Miene zum zerfickten Spiel zu machen, erzählt vom Rausschmiss wie von einem Stellungskrieg, in dem er und ein paar andere von der Flanke her - also mitten im Trinken - aufgerieben wurden. Der Freund in einer tosenden Brandung aus Spezialkräften, renegatische Söldner des Wirts, die vorgestern noch in Szeged gegen die Homosexualität vorgegangen sind und heute das Bierzelt von den Alkoholikern befreien, morgen vielleicht die Welt von sich selbst. Plötzlich standen Roland und ein paar andere Profis im Regen vor verschlossenen Türen, außenrum nach wie vor der Zaun, aber der brachte ihnen jetzt auch nichts mehr, wo das Bier fort war. Dafür waren ihre Plätze jetzt eben von spezisaufenden, Geradenochangestellten besetzt, die zwar in Lederhosen und Dirndln erschienen waren, aber eben ohne Expertise und eigentlich bloß in der Absicht, nicht nicht gefehlt zu haben, wenn sie nicht erschienen wären. Eine dumme Situation innerhalb des Festungsrings, aber so war es immer schon: da gibt es diejenigen, die in die Stadt rein dürfen und dann gibt es diejenigen, die ins Schloss dürfen. Im Ansturm feindlicher Horden bildete die Stadt mit ihren Bewohner einen – vielleicht mürrischen, aber immerhin – Puffer, bevor es dem Hofstaat an den Kragen ging. Einfaches Prinzip. Bau dir einen äußeren Festungsring und überzeuge das Gevölk, das sich darin tummelt, es gelte, jene Mauern gegen etwas Äußeres zu verteidigen. Verstecke dich selbst und deine Geschäfte im zweiten, inneren Ring vorm Gevölk und dem was da eventuell irgendwann von noch weiter außen kommen möge. Und das Bier? Hilft, zu besänftigen und wo das nicht funktioniert, den Zorn zu vereinzeln.

So sitzen wir, der Roland und ich, der den Schmerz des Freundes durch die frohgemute Fassade hindurch wittert aber nichts sagt, ihm stummes Mitleid zollt. Ich erinnere mich an einen anderen Freund, den Biergärtner und an seine versprengten Truppen, die seit Jahren, oder vielleicht seit jeher, aber ganz sicher jeder für sich und geeint nur im Getränk, eine Linie zu halten trachten. Nicht die Linie, auf der man bei der Polizeikontrolle tänzelt und auch nicht die Linie, um die schielende Augen hinter ihrem 50er-Röllchen bemüht sind. Die Linie ist hart und das zeichnet sie aus. Was genau auf der Linie fährt, das spielt eine untergeordnete Rolle, wichtig ist die Stringenz, eine gewisse Deutlichkeit, die – Inhalt hin oder her – wenigstens nicht verlogen ist. In dem Sinn mach ich mir ein Bier auf. Unsere Seelen sind zermahlen, wir haben zwar Pissflecken an der Hose und Arme und Beine haben wir auch, aber keine Substanz, nichts mehr, garnichts mehr, deswegen halten wir aus auf unserer Linie. Prost und Gruß an die Wirtin Erika und an den Wirt Hias, die beide so heißen wie sie hier heißen, deren Kneipen aber zur besseren Tarnung ungenannt bleiben.

Zurück zur Sache. Roland trägt seinen Bericht vor und geht dabei erhobenen Hauptes aus einer Niederlage heraus. Was soll man dazu noch beitragen? Das ist eben das Gemeinderatige. Der eine macht das, die Nächste macht jenes und am Ende wird beschlossen, man habe es schon richtig gemacht, irgendwie, und der Betriebsablauf bleibt ungestört*.

*) Es ist mir zuwider an dieser Stelle den Bierpreis an den Pranger zu stellen. Auch wenn sich die Fachkräfte auf einmal die scheiß Mass leisten könnten, käme es zu keiner Umwälzung im Betriebsablauf. Ist eine Hypothese, also hypothetisch, aber mir fehlt der Glaube zu etwas Erfreulicherem.
Der Regen will nicht aufhören. Vorvorgestern saßen wir, der Roland und ich, unweit von hier und haben einem jungen Kerl zugesehen, wie er versucht hatte, seinen Körper zu stählen für das was vor ihm lag. Der hatte ein Sprungseil und Kopfhörer, Schuhe und eine Hose, aber kein T-Shirt, und da ist er also in der Sonne die noch geschienen hatte herumgehüpft, in unkonventionellen, also professionellen Schlenkern, nur dass es hier eine andere Professionalität war, als die oben beschriebene. Der Junge hatte heftig geschwitzt, das Tempo seiner Schwünge immer weiter erhöht, Fetzen von einem schäbigen Pop-Lied mitgesungen, "I´m gonna make it…" und irgendwas von Stärke oder Zusammengehörigkeit, wenn es das Wort überhaupt gibt. Dieser Typ hatte wohl nie etwas vom osmotischen Druck gehört, vom Alkohol, der in die Zellen selbst dringt, der sich, wenn der Muskel eine Stadt ist, in jedes einzelne Gemüt von deren Bewohnern zwängt, egal wie stark die Festungsmauern sind. Solche Heinis kommen also aus aller Welt angereist, um sich ins Getümmel zu stürzen, eine Ödnis zu bezwingen, die schon mit dem viele Stunden dauernden Herflug für sie aufgehört hatte zu existieren – "Wer alleine losgeht, bleibt auf der Strecke, die bleiben alle liegen, allesamt." Und morgen soll es schöner werden, was das Wetter angeht. Vielleicht tut sich dann ja was, vielleicht beschließen wir etwas zur Autobahnausfahrt, zum neuen Möbelhaus, oder doch zur Betriebsstörung.