Montag, 7. November 2022
Betriebsklimaschützer im Tempo real
Schade eigentlich, dass man viele Teile seines Körpers erst im Alter kennenlernt. Oberschenkelhalspfanne, Belker-Zyste, Mittelhandknochen etc. Dann aber oft gleich mit lateinischen Namen. Da zahlt sich der jahrelange Lateinunterricht endlich aus, wenn man durch das Geschwurbel hindurchblicken kann und weiß, das Knie hält nicht mehr lang. Man wundert sich, wenn ältere Damen wie ich im Hochsommer stets mit dicken Herbstmänteln die Straßen durchwandern. Aber uns ist immer kalt. An unseren Knochen hängt, so man sich nicht von Pralinen und deftiger bayrischer Küche, sondern vorwiegend von Sauerkraut, Klosterfraumelissengeist und einer kleinen Packung Antidepressiva ernährt, nur noch Haut. Keine Adipozyten mehr, nur noch Epidermis in ihrer trockensten Zustandsform. Kann man schon froh sein, wenn einem bei starkem Wind nicht die Haut abblättert.

Aber was erzähl ich. Das muss man selbst erleben, vorher glaubt man's nicht. Mein Wort gilt vorwiegend meinen Kampfgenossinnen in den post-coronaren Alters- und Pflegeheimen, sowie allen Leser von "Eine Frau bei 1000 Grad".

Ich erwähne das alles, weil der kommende Abfall von Raumtemperatur und das bevorstehende lauwarme Duschen sich vermutlich nicht unbedingt positiv auf meinen degenerierten Körper auswirken wird. Ich war nie Eisbaden in Sibirien und setze nun große Hoffnung auf die Klimaerwärmung. Wenn ich schon nicht mehr fliegen soll, dann kommt die Karibik eben zu mir, sonst wird es eng mit dem Schreiben. Wenn die auf Tischtennisballgröße angefrorenen Gichtknöchel beim Tippen aneinenderstoßen.


Die ich mich eh schon kaum mehr auskenne. Ich weiß garnicht, welche Knöpfe ich drücken muss, um in einen Bus hinein- und hinauszugelangen. Bakalit kennt keiner mehr, dafür leuchtet und summt es in jeder Ecke und an jeder Stange. Neuerdings finden sich selbst kleine blau beleuchtete Schlitze in der Businnenverkleidung, deren Funktion ich bisher nicht eruieren konnte. Warum gibt's eigentlich noch kein Jahresabo-Tatoo für den öffentlichen Verkehr, wo man nur noch mit seinem tätowiertem Unterarm in der Luft herumfuchtelt und alle Türen gehen auf. Ein 49?-Sesam-Tatoo. So was Idiotisches wünscht man sich, wenn man nächtelang denkt, statt zu schlafen. Nicht nur, dass bereits ein trockener Winter mein Jahresabo-Tatoo sofort abblättern ließe, auch hätte mein Barcode aufgrund meiner Hautfaltenanzahl die doppelte Strichanzahl, die unlesbar in den Kratern und Furchen meiner Haut verborgen blieben.

Ich habe scheinbar Lerndefizite entwickelt in den letzten Jahren, wo ich mehrfach zum angeblichen Selbstschutz gesellschaftlich abisoliert wurde. Erst wegsperren und dann totfrieren lassen aus Solidarität mit einem Land, zu dem ich bezugsloser nicht sein könnte. Das ist nicht das Ende, das man sich gewünscht hat. Das sind die ersten zwei der sieben Höllen, die man durchlaufen muss, bis man endlich wirklich tot ist.

Wenn man jung und ungestüm ist, will man nicht nur die Welt, man will gleich drei davon. Im Alter wünscht man sich maximal eine Welt, überschaubar klein, einen Schaltertypus, Smartphones mit Bakalittasten, wegen den Gichtknöcheln, und nicht schon wieder neue Nachbarn. Vieles ist verlorengegangen auf einem so langen Lebensweg. Aber ich will auch nichts Neues. Ich erwähne beispielhaft einfach mal das Tarifsystem des Münchner Verkehrsverbundes. Und bitte auch keine neuen Trambahnen, wo viele Sitzmöglichkeiten scheinbar nur Beinlosen zugedacht sind. Nein, nichts Neues.

Pitralon und Irisch Moos, zentrale Duftmarken meiner bescheidenen Menschheitsgeschichte, das sichere Gefühl beim Berühren eines Bakalitschalters, wo man noch multisensorisch das Gefühl von Macht über das Licht vermittelt bekommt. Tempi passati. Heute werden Prada-Handtaschen gemietet, die Software abboniert. Selbst die Sitzheizung in moderneren Autos kann man neuerdings zur Monatspauschale von 17 Euro mieten. Immerhin unsere Kommunikationskanäle konnte die Privatwirtschaft monopolisieren.

Weil eben alles im Fluss und nicht tempi rigidi, zum Abschluss ein paar Regierungsgedanken von mir.
- Ganz oben steht der Verlust des Wahlrechts mit 75.
- Zudem der Soli postmortem - wer es nicht bis zum Renteneintritt schafft, dem werden die restlichen Rentenbeitragszahlungen vom verbleibenden Erbe abgezogen.
- Und noch was 'Grünes' für's gute Gewissen und die Wokeness: Betriebsklimaschützer. Da hat man Alles in Einem. Der Dienstwagen ist dann natürlich ein Betriebsklimaschützenpanzer. Und der Job ist auch für körperlich instabile Persönlichkeitsstrukturen geeignet. Top.
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