Samstag, 18. Januar 2020
Das Unrecht auf Abwertung und die Aufwertung des Anrechts
Und schon wieder die Kopftücher! Die Welt ist also eine Scheibe, oder eine Kugel. Auf jeden Fall nicht eckig oder nur eine Linie, sondern rund. Wenn das Leben auf diesem Planeten schon ein steiniger Pfad ist, dann ein Rundweg. Es ist, als wandle man als Zweidimensionaler auf einer Möbiusschleife. So wiederholt sich alles.

Einst verbreitet bei Piraten, aber auch Seemännern, am Bau und im Sport, wo Wind und Schweiß zusammentreffen, hielt sich die Tradition des Kopftuchs hier in Bayern vorwiegend bei Frauen der unteren Schichten und im ländlichen Bereich. Meine Großmutter wäre ohne Kopftuch niemals auf die Straße, nicht mal kurz zum Müll runterbringen. Am Bau und im Sport ist das Kopftuch noch vereinzelt zu sehen. Aber bei den züchtigen wie unzüchtigen Frauen hat sich etwas verändert.

Kaum schienen sie ausgestorben hier in Bayern, die letzten Dienstmägde, Unterdirn oder Mitterdirn ihres Standes, verschrumpelt wie ein 100jähriger Apfel, in ein Kopftuch eingepackt. Stets ein Kopftuch, weil offenes Haar eben unzüchtig ist. Darunter das Haar geflochten zu Zöpfen. Diese wiederrum geflochten wie ein Hefezopf oder eine trockene Breze. Als Hexe wären sie wohl nicht mehr verbrannt worden, aber in der Kirche in der selbst zu meinen Lebzeiten die Geschlechter noch schön getrennt links und rechts saßen, hätte das zu störendem Getuschel während der Andacht und Gemunkel über den Anstand geführt.

Verpackung wertet die Dinge scheinbar auf. Bei Geschenken, bei Nahrungsmitteln und eben auch bei Mitmenschen. 'Stell dir deinen Chef einfach mal nackt vor' sagt man ja, wenns Ärger in der Arbeit gibt. Aber ein nacktes Croissant in der Auslage ist heute mehr im Trend, als ein von mehreren Lagen Weichplastik umhülltes. Selbst in edles Papier von Schleifen umrankte Geschenke scheinen ihren Lebensabend gefunden zu haben - entweder weil die Geschenke inzwischen zu voluminös geworden oder auf Grund der modischen Konsumfeindlichkeit.

Bei dem weiblichen Geschlecht allerdings will das Verpacken scheinbar nicht enden. Kopftücher und Umhänge bis über die Knöchel finden wieder Anklang in einer Gesellschaft, der es egal ist, ob man in Jeans rumläuft, die schon die Fabriktore zerrissen verlassen, oder in Röcken, die noch nicht mal die Strapsoberkante erreichen. Egal ob Feinripp-Unterhemden oder Zobelpelz, weiß-besockt in Sandalen oder knallgelbe Radlhosen. Anything goes.

Und genau hier rein puhlt der moralbesetze Zeigefinger des abermals nicht sterben wollenden Monotheismus. Kopftuch als Modeerscheinung liebend gern, aber Kopftuch als Zeichen des Anstands und der Züchtigkeit des schwachen Geschlechts. Da rumort etwas im Bauchgefühl derjenigen, die die Endlosschleife mindestens einmal durchlaufen haben.

Denn Kopftuch, wie auch Schleier oder graue Umhänge, aus Gründen der Züchtigkeit tragen auch den Umkehrschluss in sich, dass wer sich anders kleidet unzüchtig oder gar gottlos sei. Schlampe, würde man mancherorts sagen. Unzüchtige erwartet nicht nur nicht das Paradies, sondern auch die schriftbedingte Mißachtung durch die Züchtigen. Heilige Schriften beinhalten eine Regelsammlung, wo man sich nicht aussuchen kann, welchem Teil man nun zustimmt oder auch nicht. Alles oder nichts, steht da geschrieben - zumindest wird behauptet, dass es irgendwo geschrieben stand, weil es irgendjemand gesagt hätte.

Du darfst dürfen, aber du sollst nicht müssen - schon garnicht, wenn man sich auf die zweifelhaften Deutungen überlieferter Schriften eines bärtigen Propheten aus dem 8.Jahrhundert oder einer früheren Kopie beruft. Feminismus beginnt bei den Frauen und er sollte niemals bei alten Männern enden. Hierin liegt auch das Problem des Kopftuchs als Ausdruck einer Ideologie.

Die Frage für mich ist: Durfte man meiner Großmutter das Kopftuch verbieten und/oder sollte man dem zölibatärem, monotheistischem Männerverein die mehr als zweifelhafte moralische Alleinherrschaft ein für alle mal absprechen? Sollte man nicht denen, die nicht mitspielen, endlich mal sagen, dass sie nicht mitspielen?
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