Sonntag, 29. Dezember 2019
Richtgeschwindigkeit - ein Wort ohne Inhalt
Ich sehe im Rückspiegel immer nur Lichtgeschwindigkeit, sobald ich die Reichsgrenze bei meiner Heimkehr aus dem zivilisierten Umland überschritten habe. Aber gemeint ist wohl eher die Richtgeschwindigkeit. Ein Begriff, der mir in meiner fast schon jahrhundertelangen Autobahnerfahrung noch nie untergekommen ist. Da hätten wir gute Erfahrungen mit gemacht ... mit der Richtgeschwindigkeit? Vermutlich ähnliche gute Erfahrungen wie mit dem Rechtsfahrgebot. Mir dünkt, dass bei den großartigen Könnte-Gesetzen auf deutschen Autobahnen das fliegende Spaghettimonster seine Tentakel im Spiel hatte. Unter Tempolimit versteht man in Deutschland, dass man nicht mehr als eine Packung Taschentücher dabei hat.

Nach dem Angriff auf die deutsche Leidkultur, die Autoindustrie, wird nun also auch noch auf die freie Fahrt für freie Bürger scharf geschossen. Kaum hat man sich aus den 30-Zonen der betuchten Vororte irgendwie herausgequält, will man das Ding auch mal durchblasen, dass es nicht versottet. Man wäre ja wahrlich bescheuert, wenn man sich da an allen anderen Ländern dieser Welt orientieren würde. Selbst in Saudi Arabien nur 120 km/h max! Wie kulturfeindlich ist das denn?

Wer zahlt, schafft an, sagt der Volksmund, und plötzlich erscheint die erneute Ablehung einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf Autobahnen durch Union, SPD, AfD und FDP in einem anderen Licht. Ich frag mich heimlich, ob meine Steuerzahlungen nicht eigentlich auch als Lobbyismus zu werten seien. Ihrer Wirkkraft nach zu urteilen scheinbar nicht.

Ist ja nicht so, dass das immer so gewesen wäre. Alle Geschwindigkeitsbeschränkungen der Weimarer Republik wurden mit Beginn des Dritten Reichs im Rahmen der ersten Reichs-Straßenverkehrsordnung komplett aufgehoben. Mann wollte ja schnell an die Grenzen des zu klein geratenen Lebensraums. Nach Kriegsbeginn, als man die Truppen bereits an die Front verlegt hatte, wurde die Reisegeschwindigkeit auf Autobahnen schnell wieder auf 80 km/h beschränkt, wohlwissend dass die Grenzenlosigkeit auch mal schnell nach hinten losgehen könnte.
Kaum war die Besatzungsmacht nach dem Krieg wieder einigermaßen ausgedünnt, wurden 1953 erneut alle Geschwindigkeitsbeschränkungen aufgehoben. Kein Ding also, mal auf dem Kurfürstendamm mit 170 Sachen dahinzubrettern, so man am Steuer eines 1,5 litrigen Porsche 356 saß, da ein innerörtliches Tempolimit erst 1957 wieder eingeführt wurde.

Man muss die Dromologie Paul Virilios gelesen haben, um zu verstehen, warum die Gewalt der Geschwindigkeit nichts ist als die Auslöschung. "Der Passagier, der sein Pferd bestiegen hat, ... ist nur ein reitender Tod." (S.85 "Fahren, fahren, fahren") In der Geschwindigkeit setzt sich Reichtum, Macht und Herrschaft fort. So versteht man den 'road rage', die Persönlichkeitsveränderung, sobald sich der Körper in einer hochmotorisierten Karosserie in ein fatales und beinahe bösartiges Geschoss verwandelt. Der berittene Krieger und der Streitwagen waren es, die die Blitzkriege der Bronzezeit und damit Großreiche wie Babylon und Ägypten schufen und auch wieder begruben.

Wirklich gute Erfahrung haben wir mit der Lichtgeschwindigkeit gemacht. Die ist nämlich begrenzt, womit sich das Argument, auf deutschen Autobahnen gäbe es keine Höchstgeschwindigkeit locker widerlegen läßt. Und wer sich ein wenig in die Fachliteratur einließt, wird sehen, dass es da ganz pragmatische Lösungen gäbe für alle Gemüter gäbe ... um den Bewegungsdrang der Deutschen auf die Autobahnen zu reduzieren.
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