Freitag, 13. April 2012
Von Dakar nach Keur Ayip oder warum es besser ist, Wassermusik erst hinterher zu lesen
Ich kann es bis heute nicht erklären, wie wir es in unserer europäischen Überheblichkeit wagen konnten, uns gegen die Bedingungen zu stellen, wie wir es wagen konnten, eine andere Strecke als von A nach B zu fahren, wie wir glauben konnten, es uns leisten zu können, einen Abstecher zu machen - nach Saint Louis nördlich von Dakar. Weil eben so fremd, ist es beim ersten mal im Sept-place noch irgendwie bequem.
Und selbst die ersten Warnsignale (siehe später bei "Hellride in Dogon Country") huschen wie die Teletubbies an einem vorbei.
Alles in Anbetracht der der ungesehen Tatsache, daß wir noch tausende von Kilometern vor uns hatten, mit einer auch sehr europäischen Bürde, dem Zeitlimit.

Anfangs überwiegt allerdings die Schönheit des Landes.
Affenbrotbäume und Zikaden, so beschreibt es schon Ryszard Kapuściński in "Afrikanisches Fieber", in einer schier endlosen Steppe, deren Horizont seltsam weiter als in good old Europe,
einer Welt die uns größer erscheint als wir sie bisher sehen konnten.
Wie oft in der Dritten Welt ist es berauschend durchzufahren, aber weniger berauschend dort für immer als Einheimischer gefangen zu sein. Unbemerkt hält sich unser Unterbewußtsein krampfhaft an der Wasserflasche fest, während wir schon mal den ersten Staub schlucken dürfen.

Unsere Dürreperiode dauert maximal von einer Wasserflasche bis zur nächsten und bei uns trinken auch keine Herden und Felder mit. Abends gibt es wie so oft Fisch und Reis, den wir allerdings nicht selbst aus dem Meer holen.
Wir schlagen uns nicht mit den Fischereiflotten der EU herum, die den Fang vor der Nase wegschnappen, die nachts in die 6-Meilen-Zone eindringen und unsere Netze oder gar unsere Boote mit der Schiffsschraube auf den Meeresgrund schicken.

Das Hintergründige - wie es die Doku über die Straßenkinder gut beschreibt - bleibt vorerst da, wo wir es haben wollen und so erquicken wir uns an "Fanta Cocktail" und anderen Dingen, die nur wir uns leisten können und deren Inhaltsstoffe, sicherlich aus gutem Grund, nie den europäischen Markt betreten durften. Die eigentliche Grundlage unserer Reise,"Wassermusik" von T.C.Boyle, lagert weiterhin ungelesen am Grunde meines Rucksacks und wir finden alles einzigartig freundlich, lebendig und so lieb.

Selbst die Gefangeneninsel Goree,
einer der Hauptumschlagsplätze für Sklaven wirkt ohne Inhalt irgendwie sauber und kolonial verklärt.
"Hier würd ich auch gerne wohnen ..." nachdem all der Kot, Urin und das Blut weggewischt, die Schreie verhallt und die Wände neu gestrichen. Selbstverständlich auch von der EU
- keep the spirit up. Der Letzte, der mir noch versucht hinterherzurufen ist T.C.Boyle, der hier seine zweite Expedition startete.

Der Sklavenhandel hat eine seltsame Wendung genommen, seit die Tür ohne Widerkehr nicht mehr durchschritten wird, durch die tausende von Sklaven getrieben wurden.
Die Flüchtlingsboote sind noch ähnlich voll, aber ihre Insassen bezahlen heute die Überfahrt selbst, so sie es denn schaffen, quer durch die Wüste ans andere Ufer und dann noch über den Forex-Zaun in die Festung Europa.
Weil man es sich aber auch in der stumpfsinnigen Armut ein wenig gemütlich einrichten könnte,
mussten wir dem Trikont noch seine Fische wegfischen, die Preisspirale für Getreide und andere "Soft Commodities" hochsubventionieren und seine Kultur mit westlichen Begehrlickeiten versauen.

Aber weil das immer noch nicht genügend Lohnsklaven übers Meer treibt, korrumpieren und schmieren wir noch einen Diktator an die Macht, der ihm das Leben final zur Hölle macht, das Land aussaugt und den Gewinn vor Steuer in die Schweiz transferiert. Ob sich das mit dem Ende des vielgehassten Abdoulaye Wade unter Macky Sall ändern wird, bleibt fraglich. Selbst mit dem weltbekanntem Musiker Youssou N'dour als Kulturminister.

Noch ein Wort zur wundersamen Welt der Tiere Westafrikas.
Lassen Sie sich nicht von den entzückenden Tieraufnahmen täuschen, denn seit der Jagdsaison des 19.Jahrhunderts gibt es in Westafrika Großwild nur noch in den open-area Zoos, wo sie seltsamerweise immer im Paar und sehr gesittet auftreten
sowie in privater Großkäfighaltung. Keine Giraffen oder Zebras, keine Löwen oder ähnliches.
Nashörner will man wenn möglich mit dem Fernglas sehen, denn ihre Attacken sind fürchterlich und selbst ihre Erwähnung läßt den "park guide" erbleichen, als würden die Sirenen zum Atomangriff rufen.
Hierzu ein kleiner Tip, falls es doch mal auf einen zunashornt: Sie sind schnell, aber nicht wendig. Und weil sie vor jeder Richtungsänderung komplett zum Stillstand kommen müssen, ist der Zickzackkurs das Mittel der Wahl.

Und Krokodile sind flinker als man meinen möchte, so daß hier ein Zickzackkurs meist schon in den Startlöchern ein jähes Ende findet - schließlich geht es in freier Wildbahn vorwiegend ums Essen.
Die wenigen Relikte, die es noch ins 20.Jahrhundert geschafft haben, wurden spätestens dann von den dürregeplagten Mäulern der hungrigen Einwohner verspeist.
Fleisch ist Luxus. Wer sich hier noch richtig sattsehen kann, sind Insektenforscher. An Mücken und Fliegen fehlt es nicht - Plagegeister und Krankheitsüberträger, aber für die Kamera nur im Makro genießbar. Wir hatten nicht nur das Kapitel über die Tierwelt bei unseren flüchtigen Reisevorbereitungen in den AGBs Westafrikas nicht so genau gelesen. Einzig der Arzt im Tropeninstitut - spätestens hier hätten wir hellhörig werden sollen - hat sich ob unseres Reiseziels kaum mehr eingekriegt und den großen Atlas der schlimmsten Krankheiten aus dem verstaubtem Nebenzimmer hervorgekramt. "Vergessen Sie den Amazonas und Indien ... Westafrika, da gibt es alles," waren seine letzten Worte - doch dazu später.
Erst müssen wir uns durch den Senegal kämpfen ... immer weiter weg von einer möglichen Rettung im Ernstfall. Noch nagt Malaria, Dengue alles, was Westafrika noch so zu bieten hat, erst an den äußeren Schichten der Immunität und der rote Staub frißt sich erst langsam in jede Pore. Doch für solche Signale besitzt der westliche Reisende keine Sinnesorgane, so you got to learn it the hard way.
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