Dirndl und Bierpreis, Sex und Rausch, C-Stoff und T-Stoff, das Triebgemisch des Nationalsozialismus
Was soll man der Wiesn schon wünschen zum 180.Geburtstag. Wie meine Oma mit über 100 Jahren auf dem Buckel sehr weise bemerkt hat: 'Gott hat mich vergessen'. Man sieht nix mehr, man hört nix mehr und zum Glück riecht man auch nicht mehr viel. Es ist an der Zeit derselben zu folgen.

Aber weil wir in München immer noch Wohnungsnot haben und auch die Straßenzustände in Anbetracht der endlosen Baustellen scheinbar nicht die besten sind, brauchen wir Geld, Geld, Geld. Und wo fließt das am reichlisten? Vom Bottich ins Faß ins Glas und zurück in den Münchner Geldbeutel - wenngleich nicht in jeden, sondern vorwiegend zu den wenigen Reichlichsten.

Leider hat man nicht auf mich gehört vor gut 20 Jahren, als ich vorschlug, doch die Rechte auf "made in Germany" zu verkaufen, so lange es noch den entsprechenden Ruf hat. Jetzt wäre es an der Zeit, auch die Wiesn zum Höchstpreis abzustoßen und das Geld an alle Leidtragenden zu verteilen. Denn bei aller Konsumorientierung braucht man auch Konsumenten, die ausreichend verdienen, um ihre Konsumgier zu befriedigen. Da hilft es wenig, Millionen Touristen für drei Wochen nach München zu locken.

Zwischen Dirne und Dirndl - zwischen Saloon Kitty und KZ-Bordellen

Das Dirndlwird ab etwa 1870 als Trachtenkopie beim städtischen Sommerfrischepublikum immer beliebter. Es dauert rund 50 Jahre bis das Dirndl nun zunehmend auch von den Bürgerinnen der weniger gehobenen Schichten getragen wird. Entscheidend dafür ist nicht nur der günstige Preis, vor allem in Anbetracht der Weltwirtschaftskrise 1929, sondern auch das Gefühl, sich städtisch-modern kleiden zu wollen. Mit der Operette "Im weißen Rössl" von 1930 kam dann der bundesweite Trend und die von den Gebrüdern Wallach in München entworfenen Stoffe, übrigens auch auf Hitlers Berghof, so richtig ins Rollen, bis das Unternehmen 1938 arisiert wurde.

Richtungsweisend nachgefragt wird diese Entwicklung in dem höchst aufschlussreichem Interview von Reinhard Jellen mit Elsbeth Wallnöfer in Telepolis vom 27.Sept 2012: "Wenn man heutzutage die Lederhosn- und Dirndl-Brigaden wohlgemut zum Oktoberfest marschieren sieht, kommen ganz klar Assoziationen an eine für den Spaß uniformierte Gesellschaft auf. Sehen Sie irgendwelche mentale Konvergenzen zwischen dem hochkommerzialisierten Sauf-, Brunz, Kotz- und Fickfest auf der Theresienwiese und der Nazi-Ideologie?"

Mit der Übernahme durch die Reichsbeauftragte für Trachenarbeit, Gertrud Pesendorfer, von der Mittelstelle Deutsche Tracht, wurde nicht nur Juden das Tragen des germanischen Kleides verboten, sondern wurde das Dirndl auch von scheinbar Artfremdem wie Krägen und Ärmeln befreit, entkatholisiert und wurzelecht arisiert. Man möchte fast sagen, es wurde der in ihrem Unterbewußtem entmannten Sexualität des Nationalsozialismus gleichgestellt, um nicht zu sagen pädophilisiert, wie wir das auch bei Hitlers 'Liebe' zu seiner Nichte Geli Raubal oder seiner asexuellen Bindung mit der 23 Jahre jüngeren Eva Braun beobachten können.

Der totale Rausch

Nicht von ungefähr war es ein Bierhaus-Putsch, der in einen krankhaften, todbringenden Rausch der Massen überging.
So wurde auch der Bierpreis auf der Wiesn das erste mal in seiner Geschichte 1925 mit Einführung der postinflationären Mark von 50 Reichsmark (1922) auf 1 Mark (1925) 'herabgesetzt'. 1933 im Zuge des Ermächtigungsgesetzes geschah dies ein zweites und letztesmal in seiner Geschichte (von 1,10 Mark auf 90 Pfenning).
Es ist zu vermuten, daß es ohne einen massiven Rauschzustand nicht geklappt hätte, die folgende Massenvernichtung menschlichen Materials auszulösen, wie man das in Norman Ohlers Buch "Der totale Rausch. Drogen im Dritten Reich" sehr schön nachlesen kann. Bier und Schnaps für die Massen, Crystal Meth/Panzerschokolade für die Soldaten und Kokain für die Führungsriege.

Dem Vegetarier und Nichttrinker, aber Kokser und Tablettenfreak Adolf Schicklgruber, genannt Hitler, hat das Oktoberfest sicher nicht geschmeckt, seinem verfressenem Stellvertreter Göring natürlich schon. 'Sie ist für den Münchner etwas Heiliges und darf nicht angetastet werden', hieß es allerdings aus des Führers Munde und so wurde sie schlicht in "Großdeutsches Volksfest" umgetauft und mit deml braunen Geist dermaßen infiziert, daß der Emigrant Rudi Hiller von einer Veranlagung des Übersprung des Funkens von Volkstümlichkeit zur Tierischkeit spricht (siehe Spiegel-Artikel 'Wie Hitler das Oktoberfest stahl').

Die Schießbuden kommen ganz groß in Mode unter dem Motto "Üb Aug und Hand fürs Vaterland" und 1935 reitet die SS mit dem Münchner Kindl an der Spitze auf dem Oktoberfest ein. 1937 werden 175 Tausend Besucher aus dem gesamten Reich mit "Kraft durch Freude"-Sonderzügen herangekarrt. 1942 ist es dann aber auch mit der laut Goebbels zur "Rummelbewegung" verkommenen Kraft durch Freude vorbei, die doch mehr Kraft als Freude bringen sollte. 1938 werden die Abnomitäten-Shows aufgrund der Erb- und Rassenpflege verboten und es findet ein Umzug unter dem Titel "Tausend Jahre Jagd und Tausend Jahre Tracht" statt, während der uniforme Faschismus selbst den weiß-blauen Anstrich von Maibäumen verbietet. Für die jüdischen Teilnehmer ist es natürlich schnell vorbei mit einem Besuch auf der Wiesn oder gar dort zu arbeiten. Nur die Zigarettenfirma Reemtsma, dem späteren Vertreiber der Wehrmachts-Zigarette, bleibt es erlaubt, mit der "Salem-Schau" noch orientalische Aspekte auf der Wiesn zu zeigen.

Ein Wahl in Blau - die erschreckende Wiederkehr

Auf der ersten Nachkriegswiesn 1949 wurden die Schießbuden durch Wurfball-Geschäfte ersetzt und auch das Dirndl verabschiedete sich aus dem Alltag. Ich musste mich zu meiner Schulzeit zwar noch in die grauenvolle, kurze Krachlederne zwängen, doch wenn möglich trugen die Frauen Nylonstrümpfe und jeder normale Münchner ganz normale Hosen.

Über Jahrzehnte konnte man mehr und mehr das Gefühl bekommen, daß es vorbei war mit dem Nazi-Wahnsinn, mit der Komformität und dem Willen aus dem Schützengraben heraus gegen die bleierne Front des Volksfeindes in den Tod zu stürmen. Auf der Wiesn gab es auch am Wochenende Plätze in den Zelten und während sich die Erwachsenen der neuen Gemütlichkeit hingeben konnten, liefen die Kinder auch mal alleine mit 10 Mark zu den Fahrgeschäften. Selbst die Totale Vernichtung des Geistes wurde vorwiegend vor die Stadtmauern ausgelagert - wie dem Dachauer Volksfest und dem Germeringer Weinfest.

Die Zivilgesellschaft hielt wieder Einzug in die ehemalige Hauptstadt der Bewegung. Noch 1970 trug kaum jemand ein Dirndl auf Volksfesten, wie das trachtenheimat.de feststellt, ... ab den 1990er Jahren jedoch änderte sich dies schlagartig: Die Dirndl kamen wieder mehr und mehr in Mode.
Auch dem zunehmdem Zulauf auf das Oktoberfest konnte selbst der für das Münchner Verständnis unverschämt stark steigende Bierpreis kaum Einhalt gebieten.

Eine neue Art gefühlter Faschismus scheint sich durch die Stadttore zu drängen. Ein Konsumfaschismus, wo mehr einfach immer besser ist.

Wie der mit der Großindustrie verheiratete Nationalsozialismus schon damals seinen perversen Trieb zu untermauern wußte, indem er unter anderem die althergebrachte lokale Tracht durch ein allgermanisches Dirndl ausschaltete, wird auch jetzt wieder der Markt mit einer falschen Tradition überschwemmt, um seine neoliberale, menschenverachtende Ideologie an den Mann und die Frau zu bringen.

Wenn sich bei dieser Sachlage die CSU dann wundert, daß ihnen die AFD in Bayern die absolute Mehrheit abzwackt bei einer Bundestagswahl an einem Wiesnsonntag, muß man sich wundern. Und einem dem Volkswillen scheinbar nahestehendem Wiesn-Chef und zweitem Bürgermeister Josef Schmid (CSU) könnte man fehlenden geschichtlichen Überblick unterstellen, wenn zeitgleich noch die Deckelung des Bierpreises einfordert, wo man doch eigentlich weiß, daß billiges Bier zumindest in Wahljahren in einer Krisenzeit nicht zwangsläufig zu einem guten Wahlergebnis führt.

Der hemmungslose Großkapitalismus wirds ihm zwar danken, aber die Belohnung bekommt trotzdem Gelb-Blau.


lalol am 21.Okt 17  |  Permalink
Danke
für unermüdlichen Einsatz auf der Wiesn

einemaria am 23.Okt 17  |  Permalink
Danke
für den einen Kommentar, der all die anderen unwichtig macht.